Konsensprinzip bei Verteilungsquoten

EU-Gipfel: "Emotionale" Wortgefechte und Vorwürfe mangelnder Solidarität

von Bundesasylamt/Erstaufnahmestelle in Traiskirchen © Bild: APA/Techt

40.000 Flüchtlinge sollen in den kommenden beiden Jahren aus den Mittelmeerländern Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten verteilt werden, wie der Gipfel beschloss. Teilnehmen sollen grundsätzlich "alle Mitgliedstaaten". Großbritannien nutzte aber schon seine Sonderrechte in dem Bereich, um sich dem zu entziehen. Auch Irland und Dänemark könnten dies tun. Wie viele Flüchtlinge pro Land aufgenommen werden, sollen die EU-Innenminister bis Ende Juli aushandeln. Darüber hinaus sollen 20.000 Flüchtlinge von außerhalb der EU Aufnahme finden - etwa aus Flüchtlingslagern rund um Syrien.

Emotional geführte Debatte

Die laut Diplomaten "emotional" geführte Debatte über die Flüchtlingspolitik nahm auf dem Gipfel mehrere Stunden in Anspruch. Österreich ist laut Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bereit, einer Quote zuzustimmen, wenn Nachbarländer Fingerabdrücke von Migranten nehmen und Verfahren ordnungsgemäß abwickeln. "Es ist dann ein Vorteil für Österreich, wenn es bedeutet, dass Weniger einfach so zu uns kommen."

Grundsätzlich unterstützt Deutschland verbindliche Quoten. Neben Großbritannien machten in den vergangenen Wochen auch mehrere osteuropäische Staaten gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagene Aufnahme über Pflichtquoten mobil.

"Wenn dies Eure Idee von Europa ist, dann könnt Ihr sie behalten", sagte Italiens Regierungschef Matteo Renzi Diplomaten zufolge. "Zeigt entweder Solidarität oder verschwendet nicht unsere Zeit." Am Freitagvormittag bezeichnete Renzi die beschlossene Umverteilung dann als "kleinen Schritt nach vorne", dem weitere folgen müssten.

Merkel nannte die Flüchtlingsfrage eine der "größten Herausforderungen, die ich in meiner Amtszeit bezüglich der Europäischen Union gesehen habe". Europa müsse zeigen, ob es dieser Aufgabe gewachsen sei. Die Kanzlerin zeigte sich aber zuversichtlich, dass auch über die freiwillige Verteilung die Zahl von 40.000 Flüchtlingen erreicht wird.

"Keine sehr angenehme Diskussion"

Es sei "keine sehr angenehme Diskussion" gewesen, sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite. "Ich denke, wir haben etwas unterschiedliche Vorstellungen von Solidarität." Der belgische Regierungschef Charles Michel sprach von einer "betrüblichen Entscheidung".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, angesichts der Dimension des Problems sei die Verteilung von 60.000 Menschen eine "bescheidene Anstrengung". Europa sei damit "nicht auf Höhe der Prinzipien, die es fordert". Trotzdem zeigte sich Juncker zugleich "zufrieden über das Ergebnis" des EU-Gipfels beim Thema Migration und Verteilung.

EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, die Flüchtlingskrise betreffe nicht nur Italien und Griechenland. "Seit Beginn des Jahres wurden ein Drittel der Asylbewerber in Ungarn registriert - das ist mehr als in Italien." Zudem verteidigte Tusk die sechs Stunden lange Debatte über die Begriffe freiwillig oder verbindlich.

Dem Vernehmen nach waren es die osteuropäischen EU-Staaten, die das Konsensprinzip urgiert hatten, um nicht überstimmt werden zu können. Diese Forderung soll Tusk, sehr zum Missfallen von Juncker, mitgetragen haben.

Hintertür für einzelne Staaten

Die Formulierung, die Verteilung erfolge "unter Berücksichtigung der besonderen Situationen der Mitgliedsstaaten", eröffnet eine Hintertür für einzelne Staaten, die den Verteilungsschlüssel nicht mittragen wollen. Dies gilt nach Angaben von Luxemburgs Premier Xavier Bettel für Ungarn; Tusk sprach sogar von Ungarn und Bulgarien.

Die Hilfsorganisation Pro Asyl sah einen "faulen Kompromiss auf Kosten der Flüchtlinge". Angesichts der Krise in Staaten wie Griechenland seien die Beschlüsse völlig unzureichend, erklärte ihr Geschäftsführer Günter Burkhardt. Dadurch würden Ankunftsstaaten am Rand der EU dazu gebracht, ihre Grenzen zu Bollwerken gegen Flüchtlinge auszubauen.

Neben der Verteilung wollen die EU-Länder auch die Voraussetzungen für eine schnellere Abschiebung von Wirtschaftsflüchtlingen schaffen. Dazu sollen mit Hilfe von EU-Behörden "Empfangszentren" in den Hauptankunftsländern eingerichtet werden, in denen "die rasche Identifizierung, Registrierung und die Abnahme von Fingerabdrücken" sichergestellt werden. "Dies wird die Entscheidung ermöglichen, wer internationalen Schutz braucht und wer nicht", heißt es. Die EU-Grenzagentur Frontex soll dann auch selbst Abschiebungen einleiten können.

Zudem soll die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern bei der Wiederaufnahme von Migranten, beim Grenzschutz und der Bekämpfung von Fluchtursachen verstärkt werden. Dabei soll es nach einem "Mehr für mehr"-Prinzip stärkere Entwicklungshilfe für kooperationsbereite Länder geben.

Kommentare

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nicht nur dass der € gehörig wackelt, selbst die EU selber bröckelt immer mehr und steht offenbar vor unlösbaren Problemen sogar in Fragen die angesichts der gemeinsam definierten Menschenrechtskonvention usw. eigentlich leicht beantwortbar sein sollten.

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"Dem Vernehmen nach waren es die osteuropäischen EU-Staaten, die das Konsensprinzip urgiert hatten, um nicht überstimmt werden zu können."
Das ist also der Dank dafür, dass die Netto-zahler-Staaten wie Österreich zuerst dafür gesorgt haben den Ostblock viel zu früh in die EU zu bringen und ihnen dann noch jahrelang Millionen € an Steuergeldern zukommen ließen...

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