Sebastian Bohrn Mena: "Hohe Preise sind keine Qualitätsgarantie"

Sein Tierschutzvolksbegehren unterschrieben 210.000. In seinem Buch "Besser essen" erklärt Sebastian Bohrn Mena, wie wir mit unserem Essverhalten die Welt gestalten können

von
Fleisch - Sebastian Bohrn Mena: "Hohe Preise sind keine Qualitätsgarantie"

Fleisch war seit seiner Kindheit eines der Grundnahrungsmittel von Sebastian Bohrn Mena. Als er erkannte, dass Tiere fühlende Wesen sind, wurde der heute 35-jährige studierte Psychotherapeut Vegetarier. 2019 initiierte er ein Tierschutz-Volksbegehren und rekrutierte in wenigen Monaten 210.000 Unterstützer. In diesen Tagen erscheint sein Buch "Besser essen. Wie wir über unseren Teller die Welt gestalten" im Goldegg Verlag. Im Gespräch erklärt er, was wir bestens Gewissens essen können und warum Veganer nicht immer die besseren Tier-und Umweltschützer sind.

Sebastian Bohrn Mena wurde am 21. März 1985 in Wien geboren. Bohrn Mena ist studierter Psychotherapeut. Von 2015 kandidierte er für die SPÖ bei der Gemeinderatswahl in Wien, 2017 bis 2018 war er Sprecher für Kinderrechte und Tierschutz der Liste "Jetzt". 2019 initiierte er ein Tierschutzvolksbegehren. Für sein Engagement wurde ihm die Albert-Schweitzer-Medaille für humanitäre Verdienste verliehen. Bohrn Mena ist politischer Kommentator bei OE24 und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Wien.

News: Herr Bohrn Mena, in Ihrem Buch "Besser essen" behaupten Sie, dass wir über unseren Teller die Welt gestalten können. Wie ist das möglich?
Sebastian Bohrn Mena:
Meine Oma hat mir das vorgelebt. Die Sommerferien verbrachte ich meist bei ihr in Kobersdorf im Burgenland. Noch heute erinnere mich an ihre Speisekammer, die wir "die Speis" nannten. Dort hat sie die Lebensmittel aufbewahrt. Denn sie warf nichts weg und verwertete alles. Aus dem Fett von Schweinefleisch machte sie Schmalz und Grammeln, auch Blunzn machte sie selbst. Das Fleisch kaufte sie nur bei einem bestimmten Fleischhauer im Ort, von dem sie wusste, woher der seine Ware bezog. Ich war dabei, wie sie den Hühnern die Köpfe abschlug. Das war für mich als Kind ganz natürlich. Eines aber erkannte ich schon damals: Sie behandelte jedes Tier mit Respekt. Der fehlt im System unserer Tierhaltung.

Die meisten leben nicht wie Ihre Großmutter auf dem Land, sondern müssen ihre Lebensmittel im Supermarkt einkaufen. Sie schreiben selbst, dass es eine Mär sei, dass wir durch unser Konsumverhalten etwas beeinflussen können. Was kann man also besten Gewissens essen?
Alles, wenn wir wissen, dass es das Gütesiegel "Tierwohl" verdient. Dazu aber braucht es eine gesetzliche Verpflichtung der Kennzeichnung von Lebensmitteln.

»Ich will nicht, dass die Menschen aufhören, Fleisch zu essen«

Das ist eine der Forderungen des Tierschutzvolksbegehrens. 210.000 haben bereits die Unterstützungserklärung unterschrieben. Haben Sie damit bereits etwas erreicht?
Wir haben im Regierungsprogramm einiges erreicht. Wir haben es geschafft, dass die ÖVP Gensoja ablehnt. Jetzt blockieren nur noch die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung. Die Problematik ist aber, dass Lebensmittel nicht ausführlich gekennzeichnet werden müssen. Weder in öffentlichen Küchen noch in der Gastronomie noch im Handel. Durch die Werbung erleben wir eine Form von Gehirnwäsche, die uns mit idyllischen Bildern von Schweinen in der Natur suggeriert, dass alles in Ordnung sei. Warum aber kann es dann sein, dass in den Verpackungen Fleisch steckt, von dem man nicht sagen kann, woher es stammt? Es gibt in Österreich aber Höfe, wo die Tiere im Familienverbund leben und behutsam an den Ort ihrer Schlachtung geführt werden. Ein Betrieb in Oberösterreich ließ sich sogar eidesstattlich verifizieren, dass er kein genmanipuliertes Soja verwendet und dass seine Tiere nicht länger als 60 Minuten zum Schlachthof transportiert werden.

Neues Buch Wie die Nahrungsmittelindustrie agiert und was zu verbessern ist, erklärt Sebastian Bohrn Mena in "Besser essen. Wie wir die Welt über unseren Teller gestalten".* Mit einem Vorwort von Jane Goddall Goldegg

Wer kann sich dieses Fleisch leisten?
Dieser Betrieb beliefert Tankstellen mit Leberkäse. Das ist wahrlich kein Luxusessen. Es kann mir also niemand erzählen, dass Tierwohl nicht leistbar ist. Das zeigt, dass die Gleichung teuer ist gut, und billig ist schlecht nicht aufgeht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Spitzengastronomie. Ein österreichisches Traditionsrestaurant hat zur Wiedereröffnung nach dem Lockdown mit verbilligten Kalbsschnitzeln geworben. Da es auch in Restaurants keine Kennzeichnung geben muss, woher die Speisen stammen, fragte ich nach, woher das Fleisch kommt, und staunte nicht wenig: das Kalbsfleisch stammte aus Holland. Noch ein Beispiel kann ich Ihnen nennen, warum die Kennzeichnung von Lebensmitteln gesetzlich vorgeschrieben werden muss: Vor Kurzem prüfte die Landwirtschaftskammer in der Steiermark in vier großen Handelsketten einen Monat lang 250 Milchprodukte. Es ging um Butter, Frischkäse und Mozzarella aus Österreich. Das Ergebnis war, dass 77 Prozent der Frischkäse-Produkte nicht aus heimischer Milch produziert waren. Bei Mozzarella waren es sogar 100 Prozent. Wir haben in Österreich einen Überschuss an Milch. Trotzdem ist es billiger, Milch aus dem Ausland zu verarbeiten, weil diese billiger ist. Es ist auch noch immer günstiger, österreichische Kälber in Holland und Spanien mästen zu lassen. Dort stehen sie auf Spaltböden in dunklen Ställen ohne Tageslicht. In Rekordzeit werden sie mit palmölhaltigen Produkten aufgefüttert. Wir importieren dann das weiße Kalbfleisch, das ein Zeichen dafür ist, dass das Fleisch nicht gesund ist, denn es sollte eigentlich rosa sein. Das ist ein verrückter Kreislauf.

Kann man überhaupt noch mit gutem Gewissen Fleisch essen?

Ist Fleischkonsum also grundsätzlich abzulehnen, oder können auch Menschen, die Fleisch essen, glaubwürdig für Tierschutz eintreten?
Ich will nicht, dass die Menschen aufhören, Fleisch zu essen. Mein Buch richtet sich auch an Fleischkonsumenten, denn ich will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass heimisches Fleisch konsumiert wird, das klimafreundlich generiert wird. Das ist möglich, davon bin ich zutiefst überzeugt. Je mehr Menschen bewusst konsumieren, umso mehr wird in der Landwirtschaft eine Umstellung erfolgen.

Das ist Veganern und Vegetariern nicht genug.
Manche Menschen verteufeln Fleischkonsum auf eine Art und Weise, dass niemand daraus etwas Konstruktives mitnehmen kann. Es ist doch verständlich, dass man jemanden als Spinner ansieht, wenn er andere Mörder nennt, nur weil sie Schnitzel essen. Aber natürlich ist eine fleischarme Kost für die Umwelt und das Klima besser. Veganismus ist aber nicht von vornherein klimaschonend.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Konsum einer Avocado, eines beliebten Fleischersatzes, auch nicht unbedenklich ist. Sind Veganer also genauso umweltfeindlich wie Fleischesser?
Es kommt darauf an, wie sich ein Veganer ernährt. Wenn er ausschließlich von Fleischersatzprodukte zu sich nimmt, die Palmöl, chemische Verbindungen und Mineralölrückstände enthalten, dann haben wir keinen Mehrwert für die Umwelt. Aber man kann sich auch vegan saisonal und regional ernähren. Es gibt genug Obst und Gemüse. Das wäre für das Klima und die Natur das Beste. Die Avocado ist in Lateinamerika ein fixer Bestandteil auf jedem Speiseplan. Da meine Mutter aus Chile stammt (Aida Alejandra Bohrn Mena ist die Tochter des chilenischen Politikers Gregorio Mena Barrales, eines Unterstützers von Salvador Allende, Anm.), habe ich sie auch als Kind oft gegessen. In meinem Buch wollte ich zeigen, dass die chilenische Avocado, die wir nach Österreich importieren, auch aus ökologischer und menschenrechtlicher Sicht höchst fragwürdig ist. Es muss zwar kein Tier dafür sterben, aber man sollte wissen, wie sie produziert wird. Zwei Früchte brauchen bis zur Ernte 1.000 Liter Wasser. Das aber ist in Chile seit der Militärdiktatur privatisiert und im Besitz der Großkonzerne. Die bewässern damit ihre Plantagen, während die Landbevölkerung auf die Tankwagen warten muss, die ihnen nur einmal in der Woche Wasser liefern. Bei uns verurteilen dann die Konsumenten dieser Früchte jene, die eine heimische Bio-Gans essen. Da stellt sich mir die Frage, wer mehr Übel anrichtet. Aber ich will niemanden anklangen. Es geht darum einen ganzheitlichen Blick auf unser Essen zu haben. Auch vegetarische Produkte sind nicht immer unbedenklich zu konsumieren. Nicht wenige Produkte werden mit Palmöl hergestellt. Und dafür müssen Orang-Utans sterben.

Die Ölpalmen-Plantagen kosten diese Tieren den Lebensraum. Auch für den Anbau von Soja lässt Brasiliens Präsident Bolsonaro Regenwälder niederbrennen. Ihr Buch vermittelt den Eindruck, dass wir auch das verhindern können. Wie kann das ein kleines Land wie Österreich schaffen?
Der brennende Regenwald ist ein gutes Beispiel. Denn er brennt für die Herstellung von billigem Kraftfutter und in der Folge von billigem Fleisch. Wenn wir uns vor Augen halten, dass wir mitten in den Mercosur-Verhandlungen stecken, also dem Freihandelsabkommen mit Südamerika, sehen wir, dass 500 Millionen Kilogramm zum Großteil genmanipuliertes Soja, das dort produziert wird, in der österreichischen Schweinemast verwendet werden. Es gäbe jedoch genug genfreies Soja in Europa. Natürlich können wir Bolsonaro in Österreich nicht abwählen, aber wir können genug Druck auf die österreichische Regierung und Unternehmen machen, dieses Abkommen nicht zu unterschreiben. Das geschieht über unsere Teller. Das wäre ganz einfach: Man müsste die Verwendung von genmanipuliertem Soja in Produkten, die das AMA-Gütesiegel tragen, verbieten. Da würden mit einem Schnipp 500 Millionen Kilogramm Soja nicht mehr gebracht. Das ändert natürlich noch nicht die ganze Welt, aber es wäre ein erster wichtiger Schritt.

Sind wir also doch nicht ganz machtlos?
Wir dürfen uns als Konsumenten nicht komplett aus der Verantwortung stehlen. Es geht darum, sich zu informieren. Jeder kann versuchen, im eigenen Umfeld für einen Wandel zu sorgen. Die Politik, das sehen wir an der ÖVP sehr gut, ist hoch adaptiv, wenn es um Stimmungslagen in der Bevölkerung geht. Man braucht nur genügend Druck, dass jene 183 Menschen im Parlament die Gesetze verändern. Die meisten Gesetze entstehen nicht aus Überzeugung, sondern aus Opportunismus. Das weiß ich aus meiner Erfahrung in der Politik (Bohrn Mena kandiderte für die SPÖ in Wien und war von 2017 bis 2018 Tierschutzsprecher der Liste "Jetzt" von Peter Pilz, Anm.). Parteien beschließen Gesetze, um wieder gewählt zu werden. Das ist jedoch nur zu erreichen, wenn man als Bürger gehört wird. In Zeiten von Social Media ist das ganz einfach. Jeder Klick erhöht die Wahrnehmung. Wir alle können Content generieren und sollten das auch. Aber man sollte sich auch die Frage stellen, ob man wirklich immer alles haben muss? Das sollten wir uns auch bewusst machen. Bei aller Kritik an der Politik, diese Entscheidungen müssen wir selbst treffen. Es ist für jeden von uns ganz leicht, herauszufinden, welche Lebensmittel wann verfügbar sind. Aber dafür müssen wir uns bewusst werden, wie wichtig das ist.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der "News" Ausgabe Nr. 39/2020

Kommentare