Bayern brachten Kurz in Endspiel
mit Merkel um EU-Flüchtlingspolitik

Es scheint, als könnte nur der ÖVP-Chef Sebastian Kurz die deutsche Regierungschefin retten - Doch warum sollte er?

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Flüchtlingspolitik - Bayern brachten Kurz in Endspiel
mit Merkel um EU-Flüchtlingspolitik

Der legendäre Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) beschrieb seine Liebe zu Bayern einst folgendermaßen: "Wenn ich Urlaub mache, fahre ich am liebsten nach Bayern. Da bin ich nicht mehr in Österreich und noch nicht in Deutschland." Kreiskys Nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP) ist kein Freund von halben Sachen. München, das ist für ihn bestenfalls ein Etappenziel auf dem politischen Weg nach Berlin.

Bei der feierlichen gemeinsamen Sitzung der bayerischen Landesregierung mit der österreichischen Bundesregierung ließ sich Kurz freilich nichts davon anmerken. Der Kanzler hat am Mittwoch seine ganze türkise Regierungsmannschaft mit einem Railjet nach Linz gebracht, um die rot-weiß-rot/blau-weiße Freundschaft zu bekräftigen.

Um Begründungen für die doch ungewöhnliche Veranstaltung war man im Bundeskanzleramt nicht verlegen. Man plane ähnliche Sitzungen auch mit anderen Nachbarländern, außerdem sei Bayern ein ganz wichtiger wirtschaftlicher Partner Österreichs. So würde fast die Hälfte aller österreichischen Exporte nach Deutschland in Bayern landen.

"Wunderwuzzi" Kurz

Die eigentlichen Gründe für die Zusammenkunft sind freilich politische. Der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder sucht die Nähe zum österreichischen "Wunderwuzzi" Kurz, der ein Rezept zur Eindämmung des Rechtspopulismus gefunden zu haben scheint. Söders CSU hat diese Medizin bitter nötig, droht ihr doch bei der Landtagswahl im Oktober eine verheerende Niederlage zugunsten der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD). Kurz wiederum braucht die CSU zur Durchsetzung seiner Flüchtlingspolitik in Deutschland, wobei sich die bayerische Schwesterpartei derzeit geradezu als Rammbock betätigt.

Es ist die CSU, die den Bundeskanzler wenige Tage vor Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft in ein Endspiel mit der deutschen Regierungschefin Angela Merkel um die künftige europäische Flüchtlingspolitik gebracht hat, das am Sonntag bei einem Mini-Gipfel in Brüssel seinen Höhepunkt erreichen wird. Staunenden Beobachtern zeigt sich derzeit ein Bild, das noch vor wenigen Monaten undenkbar schien. Die mächtigste Frau Europas macht im Wettlauf gegen die Zeit geradezu hektische Züge, während sich Kurz durch mannigfaltige Kontakte bedächtig die Oberhand zu erarbeiten scheint.

Gerade erst hat Merkel den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte in Berlin empfangen, da werden Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) beim eigentlichen starken Mann in Rom, Lega-Chef Matteo Salvini, vorstellig. Während die deutsche Kanzlerin am gestrigen Dienstag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron das Tandem Berlin-Paris aufpolierte, sucht Kurz am Donnerstag in Budapest den Schulterschluss mit den aufmüpfigen Visegrad-Staaten.

Flüchtlings-Obergrenzen

Doch Salvini und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban liefern derzeit bestenfalls die Begleitmusik, entscheidend ist die in Berlin mitregierende CSU. Nachdem sie die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin bereits in den vergangenen zwei Jahren scheibchenweise abgeräumt hat, will sie nun den letzten Rest von Merkels humanitärer Politik auf den Misthaufen der Geschichte werfen. CSU-Chef Horst Seehofer ist unerbittlich: Flüchtlinge, die schon in einem anderen EU-Staat registriert sind, sollen künftig an den deutschen Grenzen abgewiesen werden. Anders als im monatelangen Streit um die Flüchtlings-Obergrenzen ist der nunmehrige Innenminister zu keinem Kompromiss mit der Kanzlerin bereit, die ihrerseits nicht nachgeben will. Nachdem der Crash schon unabwendbar schien, konnte sich Merkel am Montag noch eine Gnadenfrist von zwei Wochen ausbedingen. Bis zum EU-Gipfel Ende kommender Woche soll sie eine rudimentäre europäische Lösung, basierend auf bilateralen Abkommen, finden.

Die CSU-Granden machten klar, dass sie nicht an eine Lösung glauben. Kurz, der sich noch in der Vorwoche im Beisein Merkels aus dem "innerdeutschen" Streit herausreklamierte, um tags darauf mit Merkels Gegner Seehofer eine "Achse der Willigen" zu zimmern, wagt sich indes immer stärker aus der Deckung. Der Zwist zwischen den beiden deutschen Parteien habe eine "neue Dynamik" in der europäischen Flüchtlingspolitik erzeugt, frohlockte er am gestrigen Dienstag im Beisein von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. In Linz legte er nach und sagte, diejenigen, die im Jahr 2015 die Grenzen geöffnet hätten, "haben es verschuldet, dass es heute Grenzkontrollen gibt".

Nüchtern betrachtet kann derzeit wohl nur Kurz der deutschen Kanzlerin aus der Patsche helfen, indem er sich als Brückenbauer zu den Visegrad-Staaten und Italien betätigt. Doch warum sollte er das tun? Warum sollte er seine Verbündeten in der CSU und Teilen der CDU, die sich nichts sehnlicher wünschen als den Sturz Merkels, enttäuschen? Zumal Merkels Nachfolger oder Nachfolgerin kaum etwas anderes übrig bleiben wird, als auf die Kurz-Linie einzuschwenken. Ein für diesen Fall wahrscheinlicher Koalitionsausstieg der SPD könnte Berlin dann sogar eine bürgerliche Regierung, geduldet von der rechtspopulistischen AfD, bekommen.

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