Finanzminister Hartwig Löger:
"Ich will niemanden bestrafen"

Finanzminister Hartwig Löger stellt eine Erhöhung der Budgetmittel wegen des Wegfalls des Pflegeregresses in Aussicht und sieht die neuen Deutschförderklassen mit 300 Millionen Euro abgesichert. Außerdem dürfen Klein-und Mittelverdiener auf eine Steuerreform hoffen.

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Politik - Finanzminister Hartwig Löger:
"Ich will niemanden bestrafen"

Vom Manager zum Minister - wie fühlt sich das nach vier Monaten an?
Der auffälligste Unterschied sind Intensität und Geschwindigkeit. Im privatwirtschaftlichen Bereich ist einem auch nicht fad, aber es gibt eine linearere Planung. In der Politik ist man von der ersten Minute an gefordert - vor allem, wenn es gleich um ein Doppelbudget und eine neue Regierungskonstellation geht.

Noch jeder Finanzminister war erleichtert, wenn sein Budget beschlossen wurde. Doch bald kommen die Beschwerden. Wie aus dem Justizbereich, der glaubt, zu wenig zu bekommen. Wie gehen Sie damit um?
Der wichtigste Pfeiler des ganzen Prozesses war, dass wir im Jänner bei der ersten Regierungsklausur geschafft haben, die Eckpunkte zu definieren. Diese Grundlage hat die Detailgespräche in den Wochen danach geleitet. Was aber nicht heißt, dass damit alles geklärt war. Es ist, wenn Sie mich fragen, auch keiner wirklich zufrieden mit seinem Ressortbudget, und da nehme ich mich selber nicht aus.

Heißt das, dass der eine oder andere Minister nicht richtig aufgepasst hat, etwa Justizminister Josef Moser?
Auf der operativen Ebene, wo die Detailverhandlungen gewaren, sind teilweise Missverständnisse entstanden, die wir aber jedes Mal relativ rasch ausräumen konnten. Etwa beim Thema Erwachsenenschutzgesetz, wo zwischen Josef Moser und mir von vornherein klar war, dass das Thema realisiert wird. Dazu gab es bereits im Juni 2017 eine schriftliche Zusage vom Finanzministerium, damals unter Hans Jörg Schelling (ÖVP, Anm.).

Hat es eine Aussprache zwischen Ihnen und dem Kollegen Moser gegeben?
Es hat keine explizite Aussprache gegeben und auch nicht gebraucht, weil ja alles dazu gesagt war. Im Zuge eines Ministerrats haben wir die Themen besprochen und erkannt, dass die Missverständnisse zwischen Justiz-und Finanzministerium ausmerzbar sind. Die kurzzeitig entstandene Verwirrung begann intern, wurde aber auf medialer Ebene unverhältnismäßig verstärkt, behaupte ich. Kommentierungen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu den Planstellen (Er ist als Beamtenminister zuständig, Anm.) wurden als Budgetdiskussion interpretiert. Und das, obwohl wir seit zwei Monaten wussten, in welcher Form wir das Justizbudget definieren. So gesehen gibt es seit Wochen keine Neuigkeit zu dem Thema. Aber eine permanente Diskussion.

Aber gibt es nun genug Geld für die Justiz?
Ja. Wir haben im Budget die Basis für den Grundbedarf gesichert und vereinbart, dass für projektbezogene Kosten und bei etwaigem Mittelbedarf aus der unabhängigen Rechtssprechung -in Einklang mit den haushaltsrechtlichen Bestimmungen -Rücklagen des Justizministeriums aufgelöst werden. Auch bei den Planstellen ist man auf einem guten Wege, eine Lösung zu finden.

Im Bildungsbereich wird über geringere Integrationsmittel versus Deutschförderklassen diskutiert. Haben wir auch genug Geld für die Bildung?
Das ist im Regierungsprogramm klar definiert und mit vielen Maßnahmen hinterlegt. Wir haben deutlich gesagt, dass wir im Bereich Bildung, wie auch ergänzend bei Wissenschaft und Forschung, Investitionen für die Zukunft legen werden. Das ist im Budgetrahmen für die kommenden zwei Jahre und im mittleren Budgetrahmen bis 2022 sehr deutlich erkennbar. Deutschförderklassen werden im Rahmen des Gesamtbudgets des Bildungsressorts direkt finanziert. Es geht nicht um eingesparte Fördertöpfe, sondern um eine Umschichtung.

Minister Faßmann spricht sich aber auch dafür aus, dass dort, wo es Probleme gibt, wie in Wien, die Länder mitzahlen. Denken Sie an diese Form der Umschichtung?
Natürlich gibt es auch die Notwendigkeit, einen gemeinsamen Weg zu gehen, was Umsetzung und Verantwortung betrifft. Aber um eine Frage vorwegzunehmen: Wir haben im Budget mit 300 Millionen Euro die Basis gelegt, dass die Deutschförderklassen finanziell abgedeckt sind. Das ist die Grundlage, auf die Heinz Faßmann zugreifen kann -und sie ist deutlich höher als die Budgets der Vergangenheit.

Was passiert beim Pflegeregress?
Die Aufhebung des Pflegeregresses ist ein gemeinsamer Beschluss, der Mitte vorigen Jahres gesetzt wurde, zu dem wir auch als neue Bundesregierung stehen. Der frühere Sozialminister Alois Stöger (SPÖ, Anm.), der diesen Antrag im Ministerrat eingebracht hat, ist von 100 Millionen Euro an Mehrkosten ausgegangen. Das betone ich deshalb, weil ich es extrem spannend finde, dass - von der SPÖ ausgehend -Fantasiezahlen entwickelt wurden, die ein Vielfaches dieser Kalkulation bedeuten.

Woher kommen diese unterschiedlichen Zahlen?
Es gibt Rückmeldungen einzelner Länder über ihre Vorstellungen. Und diese Zahlen waren nicht wie Äpfel und Birnen, sondern wie Nüsse und Melonen - also ein völliges Durcheinander in der Argumentation. Daraufhin haben wir alle Beteiligten, auch auf Länder-und Gemeindeebene, zusammengeholt und uns mit ihnen auf einen gemeinsamen Prozess geeinigt. Wir nehmen uns Zeit bis Ende April, um die Faktoren festzulegen, nach denen eine einheitliche Bewertung möglich wird. Im Mai sollen diese Bewertungen in ein einheitliches Modell gebracht werden. Zeitgerecht mit Juni sollte sich dann eine transparente Grundlage ergeben.

Man hört aber, dass nichts weitergeht in dieser Sache.
Spannend ist für mich, dass das Thema permanent präsent ist. Vor allem beim Treffen der Finanzlandesräte und der Finanzlandesrätin (SPÖ-Stadträtin Renate Brauner, Anm.), mit der besonderen Betonung "Er spricht nicht mit uns". Ich habe mich durchaus davon angesprochen gefühlt. Das zu sagen, obwohl wir schon seit Langem für den 25. April eine Sitzung geplant haben, ist irritierend gewesen. Aber ich habe es zur Kenntnis genommen, da der Aufbau von Positionierungen in der Politik offenbar notwendig ist -im privatwirtschaftlichen Bereich habe ich es so nicht kennengelernt. Ich verstehe es zum Teil, aber ich sage auch ganz brutal in die andere Richtung: Den Vorwurf an mich, dass ich Ängste schüre, den gebe ich direkt retour, auch an die Frau Stadträtin. Wenn wir es sachlich, fachlich abarbeiten, wie wir es vereinbart haben, und in aller Ruhe eine transparente Grundlage schaffen, ist für alle Beteiligten, vor allem für die betroffenen Menschen, Klarheit gegeben.

Welche Zahlen stimmen jetzt? Die 100 Millionen oder die 700 Millionen, wie Stadträtin Brauner sagt?
Ich habe sogar eine Milliarde gehört. Es wurde schon im Vorjahr festgelegt, dass man die Bewertung auf die Kapazitäten mit Stichtag 31.12.2017 legt. Wenn wir das als Grundlage nehmen, erkennen auch wir, dass es wahrscheinlich zu einer leichten Erhöhung der Wertbasis -die 2017 mit 100 Millionen Euro gelegt wurde -kommen kann. Wissen tun wir es nicht, denn es gab bereits Rückmeldungen aus den Bundesländern über die Nachfrage bei den Heimplätzen. Es gibt Länder, die Reduktionen gemeldet haben. Und es gibt zwei Länder, die Steigerungen deklarieren, eines davon ist Wien mit einem Plus von über 20 Prozent oder über 300 Anmeldungen. Wie es kommt, dass man für diese rund 3oo Plätze kolportierte 111 Millionen Mehrkosten deklariert, verstehe ich absolut nicht. Aber ich gehe davon aus, dass sich nächste Woche die Chance ergeben wird, wieder auf einer sachlichen Ebene agieren zu können.

Wie wird diese aussehen?
Die Abschaffung des Pflegeregresses ist nicht gefährdet, nicht in Diskussion oder in Frage gestellt. Die Finanzierung der Differenz werden wir sichern. Mein Vorgänger Hans Jörg Schelling hat im Finanzausgleich 2017 den Ländern und Gemeinden pauschal 300 Millionen Euro zusätzliche Mittel für Pflege, Gesundheit, Soziales zugesprochen. Wir haben den Pflegefonds im Finanzausgleich gestaffelt und in Summe um 50 Millionen erhöht. Da ist einiges an Vorleistung erbracht worden. Und wir haben im Budget eine deutliche Steigerung im Bereich Soziales und den Pflegefonds deutlich höher dotiert. Zusammen ist das eine Stärkung des sozialen Systems. Das geht in der Diskussion völlig unter.

Wäre es nicht besser, die Pflege zu zentralisieren?
Ich glaube, dass es notwendig sein wird, eine klare Verantwortung zwischen Gemeinde, Land und Bund zu finden. Was für mich nicht automatisch bedeutet, dass man alles in Richtung Bund einer Zentralisierung zuführen soll. Es muss nur geklärt sein, wer was macht. Denn derzeit machen wir es zeitweise doppelt und dreifach. Beim Thema Pflege bin ich auch selbstkritisch, was den Bund betrifft, auch aus den Gesprächen mit den Ländern. Denn hier orte ich eine sehr hohe Sensibilität und Professionalität. Wir werden in einem zweiten Schritt eine gesamtheitlichere Diskussion brauchen. Da orte ich in einzelnen Ländern eine sehr gute Grundlage, um auch das Thema der privaten Pflege begleiten und lösen zu können.

Wien haben Sie damit vermutlich jetzt nicht gemeint.
Das war jetzt nicht mein erster Gedanke.

Bei Doppelgleisigkeiten kommen wir zur AUVA. Ist die Unfallversicherung ein Versuchsballon für die Reduzierung der Sozialversicherungsträger? Und was bringt diese Zerschlagung?
Es geht bei der AUVA nicht darum, Spitäler und Gesundheitseinrichtungen zu schließen. Das ist wichtig, weil in einem ersten Reflex Ängste geschürt werden. Es geht darum, dass wir eine gesamte Reform der Sozialversicherungsträger umsetzen werden. Es ist schwer erklärbar, dass man in Österreich über die Sozialversicherungsabgaben von Vorarlberg bis Wien linear die gleichen Abgaben leistet. Aber je nachdem, welchem Bundesland ich zugeordnet bin, bekomme ich unterschiedliche Leistungen dafür. Das passt irgendwo nicht. Die geplante Zusammenlegung basiert nicht nur auf der Kostenfrage, es geht auch um Fairness. Und es ist klar, dass es Synergien auf Ebene der Verwaltung und der Strukturen gibt. Das sind keine Milliarden, aber es ist wichtig, diese Potenziale und Kosten zu heben. Die AUVA, da bin ich bei Ihnen, ist etwas abrupt nach vorne gebracht worden.

Die gesamte Reform startet im Mai?
Ja, es gibt den Bedarf, das weiter zu diskutieren, zu erarbeiten und die Grundlage zu schaffen.

Dann haben wir nur noch zwei oder drei Sozialversicherungsträger?
Ich kann es nicht vorweg definieren, aber wir haben eine Zielgröße von fünf Trägern (anstelle von 22, Anm.).

Wann wird es spruchreif?
So wie alles, was wir im Regierungsprogramm stehen haben, gehen wir davon aus, dass es in dieser Legislaturperiode gemacht wird. So schnell wie möglich, ist mein Erwartungsmanagement als Finanzminister. Wenn es Kosteneffekte gibt, dann hätte ich diese lieber früher als später. Das ist keine Sache, die man aus dem Ärmel schüttelt, aber wir werden sie konsequent verfolgen.

Bei der AUVA bleibt vieles aber noch im Unklaren...
Ich gestehe, auch ich hatte zwei Behandlungen als Jugendlicher im Unfallkrankenhaus Kalwang, weil ich viel Sport betrieben habe. Die leisten dort fantastische Arbeit. Es gibt auch keinen Grund zur Sorge, dass die Qualität der Leistung für Patienten leiden wird.

Können Sie ausschließen, dass es für die Patienten teurer wird?
Das ist die Hauptzielrichtung. Wir wollen Entlastungen durch Einsparungen im System geben. Es wird keinen Bereich geben, wo wir die Leute wieder belasten werden.

Die befürchteten Kürzungen im Bereich von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe finden sich noch nicht im Budget. Wartet man noch ab?
Wir haben im Regierungsprogramm klar festgelegt, dass wir im Bereich des Arbeitslosengeldes mehr Fairness leben wollen. Also dass wir ein System schaffen, das Menschen, die über längere Zeit in das System einzahlen, stärker unterstützt. Das passt zu meiner beruflichen Vergangenheit im Sinne einer Versicherungslogik. Aber Menschen, die sehr kurzfristig, oder, brutal formuliert, noch gar nicht ins System einzahlen konnten, sollen keinen permanenten, dauerhaften Anspruch haben. Bis Ende des Jahres sollen die Rahmenbedingungen für diese neue Logik stehen. Die Diskussion, die komische Vergleiche mit Deutschland und den Modellen dort bringt, ist absolut nicht unser Ziel. Wenn wir das als Ziel hätten, hätten wir ganz anders angefangen. Ich nehme für mich in Anspruch, dass Österreich die positiven sozialen Komponenten weiterentwickelt, das sieht man auch im Budget. Von 80 Milliarden Euro gehen über 40 Milliarden in die soziale Sicherheit, mehr als 50 Prozent des Budgets wie bisher auch. Entlastungen wie der Familienbonus kommen noch dazu.

Ein Vorwurf der Wirtschaftsforscher ist, dass diese Regierung wie die vorhergehenden keine Strukturreformen angeht.
Was aber schon ein bisschen überzogen in der Erwartung ist. Dass eine neue Regierung mit neuen Regierungspartnern mit dem Anspruch, aktuelle Themen inhaltlich auf einen Nenner zu bringen, alles, was in den vergangenen Jahrzehnten nicht an Konkretisierungen drinnen war, in nur 100 Tagen schafft, ist unmöglich.

Die Erhöhung der Tabaksteuer ist kein Thema?
Ich bin nicht bereit, von der linken Tasche in die rechte Tasche zu schaufeln. Wir machen eine Entlastung, und zwar nicht mit einer neuen Steuer.

Aber wer weiter raucht, könnte doch mehr zahlen...
Da bin ich anders gestrickt: Ich will niemanden über eine Steuer bestrafen, ich stimuliere lieber positiv.

Eine Steuerreform wäre eine positive Stimulierung. Wann wird diese kommen?
Wir haben das klare Ziel mit Wirkung Jänner 2020 und arbeiten jetzt schon mit einer Taskforce an der Umsetzung. Wir werden einen weiteren großen Entlastungsschritt setzen bei den kleinen und mittleren Einkommen, also bei den drei unteren Tarifstufen. Wir haben uns vorgenommen, mindestens drei Milliarden an Entlastung auf der steuerlichen Ebene, dem Tarif, in Wirkung zu bringen. Darüber hinaus ist die Körperschaftssteuer ein Thema. Ob das über eine lineare Senkung oder eine Senkung der nicht entnommenen Gewinne gehen soll, ist noch offen. Und eine ökologische Steuerung, aber auch hier sehe ich keine Strafsteuer. Unser zweites Ziel ist eine Vereinfachung des Systems, wir wollen eine echte Tarifreform machen. 30 Jahre lang wurde mit 160 Novellen das Steuergesetz wie ein Monster entwickelt. Ein Beispiel: Mir hat noch niemand erklären können, wofür wir sieben Einkunftsarten brauchen.

Finanzminister werden geliebt oder gehasst. Welches Gefühl haben Sie stärker mitbekommen?
In erster Linie bin ich gefordert. Man kommt in die Kritik, aber bis auf wenige Ausnahmen ist sie konstruktiv. Und es gibt eine gute Zustimmung. Es würde mich überraschen, wenn mir alle gratulieren, dann würde ich nachdenken. Wenn mich alle kritisieren, ebenso.

Zur Person: Der 52-Jährige wuchs im steirischen Selzthal auf. Nach der Matura am Stiftsgymnasium Admont wollte Löger die Offizierslaufbahn einschlagen, musste diese verletzungsbedingt aber abbrechen. Der verheiratete Vater zweier Kinder war danach 33 Jahre lang in der Versicherungsbranche tätig, zuletzt als Vorstandsvorsitzender der Uniqa Österreich Versicherungen AG.

Das Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 16/2018)