Die Unersetzlichkeit der Präsidentin

26 Jahre lang präsidierte Helga Rabl-Stadler die Salzburger Festspiele. Sie hat das Spektakel über katastrophale Zeiten gerettet und wird jetzt zur Sicherung der Hochblüte gebraucht.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Festspielpräsident in Salzburg: Das war in der Erinnerung reiferer Mitbürger über lange Zeit ein Hybrid aus Schammes und Ausputzer, beides im Dienst des einfachen Direktoriumsmitglieds Herbert von Karajan, dessen Wünsche effizient und unauffällig zu exekutieren waren. Drei Jahre nach Karajans Tod, der das Spektakel in einer fundamentalen Existenzkrise versenkte, wurden die bis dahin im Scheinkollektiv betriebenen Festspiele erstmals einem Intendanten überantwortet. Der Belgier Gerard Mortier gab mit tumultöser Außen-und folgenreicher Innenwirkung den Radikalreformer. Den überlebensnotwendigen Minimalkonsens mit der hermetischen Salzburger Gesellschaft stellte nobel und souverän der eingesessene Bankier Heinrich Wiesmüller her. Drei Jahre später, 1995, zog er sich als Präsident zurück, und über die Nachfolgerin entspannen sich schrille Dispute: Helga Rabl-Stadler war das, Journalistin, ÖVP-Abgeordnete und Inhaberin des Salzburger Modehauses Resmann.

Mortier befeuerte sich unverzüglich zur gutgelaunten Fundamentalopposition gegen die Stimme der Vernunft, die ihn bei Bedarf unerschrocken in die Schranken wies. Mortier legte Sprengladungen an Brückenpfeiler, Rabl-Stadler schnitt die Zündschnur durch, wenn der Minimalkonsens mit Politikern und Journalisten in Gefahr geriet. Mindestens einmal pro Sommer bat mich Mortier zu einem konspirativen Mittagessen, um mich für Strategien zum Präsidentinnenmord zu begeistern. Aber in Wahrheit waren die beiden ideal für einander.

Als 2002 der rampenabstinente Opernmanager und Komponist Peter Ruzicka auf Mortier folgte, war die Präsidentin auch wieder für das Auftreten der Festspiele zuständig und rekrutierte, woran sich bis zur Stunde nichts geändert hat, immense Sponsorenzuwendungen. Dafür hob Ruzicka mit seinem Besetzungsdirektor Josef Hussek vier Jahre lang die künftige Elite des Operngesangs in die Weltliga: Anna Netrebko, Elina Garanca, Nina Stemme, Anja Harteros und Jonas Kaufmann waren nur avancierten Opernfreunden bekannt, als sie in Salzburg debütierten. Heute repräsentieren sie nahezu konkurrenzloses Format.

Die Katastrophe, in deren Verlauf die Präsidentin zur Gnadenmutter im Überlebenssegment wuchs, nahm 2007 ihren Anfang und artete in einen zehnjährigen Krieg aus. Ruzicka wurde in einer Machtdemonstration des roten Bürgermeisters gegen den schwarzen Landeshauptmann Schausberger aus dem Amt terrorisiert. Unter Schausbergers roter Nachfolgerin Gabi Burgstaller blockierten die beiden Großparteien mit verheerenden Folgen qualifizierte Kandidaten der Gegenseite (unter ihnen Franz Welser-Möst), bis der große Theatermann Jürgen Flimm, kein Opernfanatiker, im Minimalkonsens übernahm. In dieser Zeit verkörperte das Konzertprogramm des Pianisten Markus Hinterhäuser innerhalb des Festspielprogramms einsamen Status. Flimm warf vorzeitig hin, doch statt, wie allseits erwartet, Hinterhäuser zu inthronisieren, entschied man sich für den Zürcher Opernintendanten Alexander Pereira, einen barocken Absolutisten, der alsbald im Konflikt mit der Politik demissionierte.

Damals waren die Festspiele schon in einer der tiefsten Krisen ihres Bestehens versunken. Dass sie zwei quälende Übergangsjahre regenerierbar überstanden, war das Verdienst der Präsidentin, die mit dem todesmutigen Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf übernahm. In Wahrheit war damals, wie schon anno Flimm, die Präsidentin der opernkundigste Teil.

Und als der zehnjährige Krieg 2017 mit Hinterhäusers überfälliger Bestellung sein Ende fand, war, wie anno Mortier, wieder die ideale Konstellation im Amt. Nur, dass sie sich nicht aus dem Konflikt, sondern aus der Aufgabenteilung verstand. Der feinsinnige Intellektuelle Hinterhäuser brachte das Programm quasi über Nacht auf großartige Höhe. Die Präsidentin beschützte den Gesundungsprozess im Vollbesitz ihres Wissens und ihrer Leidenschaft mit ihrem Löwenherzen.

Und als die Pandemie die Welt der Kunst verfinsterte und die Politik andere Interessen verfolgte, verweigerten sich die Festspiele dem Grundkonsens des sudernden Wartens auf bessere Zeiten: Sie waren die besseren Zeiten, als sie auf der Basis eines in die Welt leuchtenden Präventionskonzeptes aufsperrten. Die Präsidentin weigerte sich über Monate, abzusagen. Und der Intendant zauberte dann ein Programm, das die Seelen genesen ließ.

Was nun ganz und gar unbegreiflich scheint, ist der mehrfach bekräftigte Abschied der Präsidentin. Jetzt, wo es nach einem deplorablen Jahrzehnt besser kaum sein könnte? Der mehrfach für den Nachfolger gehaltene Landeshauptmann Haslauer will vorerst nicht. Doch die Gefahr ist nicht gering, dass er eine Substitutin im Rang der Grüßaugustine inthronisiert, bis er selbst frei ist. Die Person, die auch ein Gschaftlhuber aus Gesellschaft oder Kunstmanagement sein kann, muss wissen, was von ihr verlangt wird: Sie muss viel, sehr viel Geld heranschaffen, muss die Festspiele auf mehreren Kontinenten glaubhaft repräsentieren und, vor allem, gegen Begehrlichkeiten und Inkompetenzen der Politik verteidigen, statt sich Letztgenannter verpflichtet zu wähnen. Besser, Helga Rabl-Stadler entschlösse sich, vom Blitz der Erkenntnis ihrer Schwerentbehrlichkeit getroffen, doch zum Verbleib.

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