Femizide: Enorme Gewalt gegen Frauen in Österreich

Wieso kann der Staat die Frauen nicht besser schützen?

In Österreich werden mehr Frauen als Männer ermordet - meist sind die Täter die eigenen Partner. Viele dieser Verbrechen ließen sich verhindern, doch die Politik tut zu wenig, um den Nährboden solcher Femizide zu vernichten.

von Femizide: Enorme Gewalt gegen Frauen in Österreich © Bild: Matt Observe News

Es ist der 30. Juli 2016, 3.40 Uhr in der Früh. Zwei Polizisten stehen vor der Wohnungstür von Alexandra Leitner in Sankt Valentin in Niederösterreich. Die Beamten läuten Sturm. Als Alexandra Leitner, damals 34 Jahre alt, die Tür öffnet, ist ihr erster Gedanke: "Der Vater lebt nicht mehr." Sie glaubt, er hat seine Warnung wahr gemacht und Suizid begangen. Sie fragt: "Ist er tot?" Der Polizist schüttelt den Kopf und sagt: Nein, in der Wohnung der Mutter habe es eine Auseinandersetzung zwischen den Eltern gegeben. Alexandra Leitner protestiert. "Meine Mutter würde meinen Vater niemals hineinlassen, schon gar nicht in der Nacht." Der Polizist sagt, der Vater war in der Wohnung und jetzt sei die Mutter tot.

»Ein Bekanntschaftsverhältnis zwischen Täter und Opfer lag bei 71,7 Prozent vor«

Männer werden überall auf der Welt deutlich häufiger ermordet als Frauen. Das belegen Zahlen einer globalen Studie des UN Büros für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC). In Österreich aber starben im vergangenen Jahr 23 Männer und 31 Frauen eines gewaltsamen Todes. Ein Bekanntschaftsverhältnis zwischen Täter und Opfer lag bei 71,7 Prozent vor. Ob die Frauen von ihren (Ex )Partnern getötet wurden, wird vom Bundeskriminalamt nicht erhoben. Diese Aufgabe übernehmen Gewaltschutzzentren anhand von Medienberichten. Ihre Zählung ist öffentlich einsehbar. Darin heißt es dann: "Mann hat Ehefrau mit Messer getötet, Mann hat Ehefrau mit Faustfeuerwaffe erschossen, Mann ersticht Ehefrau." Heuer waren bei aktuell drei von über 20 Femiziden die Täter nicht die eignen Partner.

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Alexandra Leitner

Alexandra Leitner war sechs Jahre jung, als sie zum ersten Mal mitbekam, dass der Vater die Mutter schlug. Damals bügelte die Mutter die Wäsche in der Küche. Der Vater schmiss die gebügelten Hemden aus dem Fenster und schlug auf die Mutter ein. Als sie am Boden lag, trat er zu. An diesem Tag war die Kindheit von Alexandra Leitner vorbei. Sie fühlte sich ohnmächtig und wollte helfen. In der Folge versuchte sie, sich vor ihre Mutter zu stellen, aber dann trafen sie die Schläge. Also versteckte sie sich bei den Prügelattacken des Vaters im Kleiderschrank und nahm ihren Bruder mit. Er war noch ein Säugling. Als Alexandra Leitner neun Jahre war, rannte ihr der Vater mit dem Messer hinterher. Eine Anzeige hatten sie nie gemacht.

Wenn es zu einer Anzeige kommt, kann die Polizei ein Betretungs- oder Annäherungsverbot aussprechen. Personen, die gewalttätig geworden sind, werden dann für zwei Wochen aus der Wohnung verbannt oder dürfen sich dem Opfer nicht annähern. Bis zum 31. Oktober dieses Jahres wurden 11.281 dieser Verbote ausgesprochen. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 11.652. In den meisten Fällen sind die Gefährder männlich. "Die Dunkelziffer von Frauen, die von ihren Männern bedroht werden, ist deutlich höher", sagt Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF).

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Sieben Versuche bis zur Freiheit

Als Jugendliche bekniete Alexandra Leitner ihre Mutter, den brutalen Vater zu verlassen. Die Mutter wollte das nicht. Der Vater drohte, der Mutter die Kinder wegzunehmen. Er drohte ihr, die Familie umzubringen. Die Mutter blieb. Mit 17 Jahren hielt es Alexandra Leitner nicht mehr Zuhause aus. Die Prügelattacken des Vaters wurden weniger. Er wurde älter und verlor die Kraft, die Geschwister wurden stärker und beschützen die Mutter. Jetzt endlich traute sich die damals 49 Jährige, arbeiten zu gehen. Sie jobbte in einer Tankstelle. Endlich ein bisschen rauskommen. Das Geld, das sie verdiente, musste sie ihm geben. Oft stand er vor der Tankstelle und beobachtete sie. Mit wem sprach sie zulange? Wen lächelte sie an? Wann kam sie zu spät nach Hause? Dann schrie er sie an. Antworten durfte sie nicht.

Als die jüngste Schwester 18 Jahre wurde, entschloss sich die Mutter, die Scheidung einzureichen. Sie zog zu ihrer Tochter. Nach drei Wochen ging sie wieder zurück. Weihnachten stand vor der Tür und sie hatte kein Geld und sie wünschte sich eine heile Familie. Der zweite Versucher folgte ein Jahr später. Da war sie eine Woche weg von zu Hause. Den dritten Versuch unternahm sie im Februar 2016. Dieses Mal nahm sie sich eine eigene kleine Wohnung. Sie suchte sich Hilfe bei einer Organisation gegen Frauengewalt. Sie begann eine Psychotherapie. Das alles zehrte an ihren Kräften. Sie hatte viele Fragen und viel Angst. Würde sie finanziell über die Runden kommen? Würde er sie irgendwann in Ruhe lassen? Würde er die Familie leben lassen? Weglaufen, das ging nicht. Das wusste sie. Wenn er wollte, würde er sie überall finden.

In einer umfangreichen Studie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland, in Auftrag gegeben vom Familienministerium 2004, schreiben die Autorinnen, dass Betroffene im Schnitt sieben Versuche benötigen, um sich aus einer gewalttätigen Beziehung endgültig zu lösen.

Im April 2016 wagte sich die Mutter von Alexandra Leitner ein letztes Mal in die ehemals gemeinsame Wohnung, um persönliche Dinge zu holen. Der Vater rastete aus und würgte die Mutter so lange, bis sie fast das Bewusstsein verlor. Im letzten Moment bekam sie eine herumstehende Kaminkerze zu fassen und schlug ihm damit auf den Kopf. Zwei Wochen später erstattete die Mutter eine Anzeige gegen ihn. Zum ersten Mal und nur auf Druck von Alexandra Leitner. Danach passierte nichts, sagt die Tochter heute. Der Prozesstermin war für den 7. August 2016 angesetzt. Die Situation spitzte sich zu.

Panische Angst

Der Vater beobachtete die Mutter rund um die Uhr. Er stand vor der Tankstelle, erstand vor ihrem Wohnhaus, er fuhr ihr mit dem Auto langsam hinterher. Er drohte, sich das Leben zu nehmen. Ende Mai 2016 machte er ernst. Die Mutter von Alexandra Leitner fand ihn bewusstlos an einem Strick. Die Mutter rettete ihn.

Am 29. Juli sah Alexandra Leitner ihre Mutter zum letzten Mal. Sie habe panische Angst gehabt. Schaute ständig aus dem Fenster, kontrollierte, ob die Tür versperrt war. Sie sagte: "Das überleben wir alle nicht." Alexandra Leitner wurde wütend. Sie wollte, dass ihre Mutter endlich zu ihr zieht, zumindest bis zum Prozesstermin. Aber die Mutter lehnte ab. Sie wolle das Leben von Alexandra Leitners Familie nicht gefährden. Sie wolle nicht mehr weglaufen. Alexandra Leitner gab auf, sie verabschiedete sich mit einer festen Umarmung bei ihrer Mutter.

Stunden später, nachdem der Polizist die Nachricht vom Tod der Mutter überbracht hatte, fuhr Alexandra Leitner mit zwei Frauen vom Roten Kreuz zu ihren Geschwistern. Im Auto telefonierte sie mit dem zuständigen Kriminalbeamten. Der sagte, ihr Vater habe den Haustürschlüssel zur Wohnung der Mutter von der jüngsten Schwester gestohlen. Damit sei er rein. Er habe 21 Mal auf die Mutter eingestochen. Mehrmals mit einer Axt den Kopf getroffen. Schwer verletzt sei die Mutter noch ins Stiegenhaus gekrochen, habe dort um Hilfe geschrien. Die Nachbarin hätte sie gefunden. Die Mutter habe noch gelebt und gesagt: "Mein Mann hat mich umgebracht." 20 Minuten später starb sie. Kornelia F., Mutter von vier Kindern, war 36 Jahre mit ihrem Mörder verheiratet.

Am 1. Februar 2017 verurteilte das Landgericht Steyr Josef F. zu lebenslanger Haft wegen Mordes.

"Männer-Herrschaft"

Die Frauenrechtlerin Maria Rösslhumer sagt, dass besonders in Österreich die "Männer-Herrschaft" überall spürbar ist. Sie bemerke eine Verrohung der Gesellschaft. "Ich würde mir von der Politik viel mehr Empörung wünschen", sagt Maria Rösslhumer. Bis 2018 habe die Regierung Wert auf die Einschätzung von Expertinnen und Experten der Gewaltschutzzentren gelegt. "Beim letzten Gipfel hatten wir gerade mal fünf Minuten, um unsere Ideen darzustellen, und dann wurde ein Ergebnis präsentiert, das nicht mit uns ausverhandelt wurde." Bis 2020 wurden pro Jahr für Gewaltschutz und Prävention etwa zehn Millionen Euro ausgegeben. Diese Summe wurde heuer auf 24,5 Millionen Euro erhöht. Was sich viel anhört, ist im Vergleich zu den Folgekosten von häuslicher Gewalt gegen Frauen wenig. Die belaufen sich auf mehr als drei Milliarden Euro jährlich für Polizeieinsätze, Arztrechnungen und Gerichtsverhandlungen.

Manuela Kreutzer

Die Rechtsanwaltskanzlei von Johannes Öhlböck liegt in einer Seitenstraße im achten Wiener Gemeindebezirk. Direkt neben dem Straflandesgericht. Draußen wird es an diesem Mittwoch im November früh dunkel. Drinnen hängt Kunst an den Wänden, Regale voller juristischer Bücher reichen bis zur Decke. Im Besprechungsraum steht ein runder Holztisch, darauf eine Karaffe mit Wasser und Gläser, daneben liegen Taschentücher. Manuela Kreutzer nimmt neben Johannes Öhlböck und ihrem Verteidiger Florian Höllwarth Platz. Der eine Anwalt kämpft in einem Verfahren um die Ansprüche von Manuela Kreutzer, der andere um die ihrer Kinder.

Am 13. Jänner 2019 starb Manuela Kreutzers 16-jährige Tochter. Sie nimmt ihr Handy in die Hand und öffnet die Foto-App, um Bilder von ihr zu zeigen. Auf einem Foto lacht die Tochter, Manuela- Carina, in die Kamera. Sie hält ihre kleine Schwester im Arm. Das nächste Bild ist ein Selfie von Manuela-Carina. Sie hat es selbst aufgenommen, um es auf ihrer Instagram-Seite zu posten. Ein zierliches Mädchen mit großen, dunklen Augen. Die braunen Haare fallen ihr locker über die Schulter. Sie hat ein offenes Lächeln. Die Mutter sagt, dass sie gerne gesungen hat, am liebste Lieder von Adele. Die kann die Mutter heute nicht mehr hören. Manuela- Carina interessierte sich für fremde Kulturen, arbeitete zwischendurch beim Bundesasylamt für Fremdenwesen in Traiskirchen.

2016 lernte sie Yazan kennen. Auch von dem hat Manuela Kreutzer Fotos. Ein junger Mann mit dunklen Haaren, dunklen Augen, markanten Gesichtszügen und Dreitagebart. Auf dem Bild trägt er ein hellblaues Hemd. Ein Schwiegermuttertyp. Ein Jahr bevor sich Yazan und Manuela- Carina kennenlernten, war er aus Syrien geflohen. Die Schülerin brachte ihm Deutsch bei. Irgendwann nahm sie ihn mit zu sich nach Hause. Manuela Kreutzer sagt, dass der damals 17-Jährige freundlich und hilfsbereit war. Er habe auch das Schweinefleisch gegessen, wenn es das zum Mittag gab. Er fuhr sogar mit Familie Kreutzer in den Skiurlaub. Aus den Freunden Manuela-Carina und Yazan wurde ein Liebespaar.

Das erste Mal, dass Manuela Kreutzer skeptisch wurde, war an dem Tag, als sie ein Foto von ihrer Tochter machen wollte. Das Mädchen trug eine kurze Hose. Manuela- Carina bat ihre Mutter, das Foto so zu machen, dass man ihre Beine nicht sehen konnte. Yazan mochte keine kurzen Hosen. Irgendwann verbot er Manuela-Carina die Freunde. Die seien alle schlecht für sie, soll er gesagt haben. Yazan nahm sich immer wieder das Handy seiner Freundin und las ungefragt ihre Nachrichten. Ihre Tochter sei nie ängstlich gewesen, sagt Manuela Kreutzer, aber sie war genervt von der Kontrolle. Im Frühjahr 2018 trennte sie sich von Yazan.

»Wie gebildet einer ist, wie viel einer verdient, aus welchem Land einer stammt, das alles spielt bei Gewalt in Beziehungen keine Rolle.«

Über Männer, die ihren Frauen Gewalt antun, weiß man: Wie gebildet einer ist, wie viel einer verdient, aus welchem Land einer stammt, das alles spielt bei Gewalt in Beziehungen keine Rolle. Die Kriminologin Isabel Haider sagt, dass es unterschiedliche Motive für solche Taten gebe. Eindeutig sei das nicht zu beantworten, weil die Tätermotive von Behörden nicht immer gezielt ermittelt würden bzw. sich unterschiedlich interpretieren ließen. Eine Theorie sei aber, dass ein sexuelles Besitzdenken bei vielen dieser Männern vorherrsche. "Ganz nach dem Motto:'Wenn ich dich nicht haben darf, soll dich kein anderer haben.'"

Jede Übertretung melden

Familie Kreutzer versuchte Manuela-Carina immer wieder zu helfen. Ihr Stiefbruder und der Cousin besuchten Yazan kurz nach der Trennung und baten ihn, die Handyfotos des Mädchens zu löschen, auf denen es leicht bekleidet war. Yazan drohte, diese Bilder zu veröffentlichen. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt steht, dass Yazan daraufhin ein "Messer mit einer Klingenlänge von zumindest zehn Zentimeter" zückte und versuchte, auf den Stiefbruder einzustechen. Der Cousin ging dazwischen und wurde verletzt. Danach begann der Telefonterror bei Manuela-Carina. Immer wieder rief Yazan sie an und beschimpfte sie, das Mädchen ließ sich eine neue Telefonnummer geben. Er schrieb sie über Facebook an. Sie blockierte ihn. Er wartete vor der Haustür und bespuckte sie, Manuela-Carina ging nur noch selten raus. Ihre Mutter sagt, dass ihre Tochter auch zu diesem Zeitpunkt nie Angst hatte, aber sie habe sich geschämt.

Im August 2018 lauerte er ihr in einem Park auf. Gegen ihren Willen küsste er sie. Als sie sich wehrte, warf er sie zu Boden und schlug auf Manuela-Carina ein. Danach erstatte sie eine Anzeige gegen Yazan wegen sexueller Belästigung und Körperverletzung. Die Polizistin, die die Anzeige damals aufnahm, ist heute eine Freundin von Manuela Kreutzer. Sie klärte die Familie auf, dass sie jede Übertretung der Polizei melden solle. Jede SMS, jeden Telefonanruf, jedes Stalking. Manuela Kreutzer erwirkte für ihre Tochter eine einstweilige Verfügung. Damit durfte sich Yazan seiner Ex-Freundin auf nicht mehr als 100 Meter annähern. Yazan hielt sich nicht daran. Er stalkte weiter. Da, wo Manuela-Carina war, da war Yazan nicht weit.

Am Abend des 12. Jänner 2019 traf sich Manuela-Carina mit Freunden in der Innenstadt von Wiener Neustadt. Yazan beobachtete sie. Videoaufnahmen der Restaurants belegen das. Sie zeigen, wie sich Yazan und Manuela-Carina vor einem Lokal unterhielten, wie sie die Arme verschränkte und sich von ihm abwandte.

Manuela Kreutzer erinnert sich, wie sie am nächsten Tag gegen halb acht Uhr wach wurde, wie sie ins Zimmer ihrer Tochter schaute und wie sie bemerkte, dass ihr Bett leer war. Panik stieg in ihr auf. Sie weckte ihren Lebensgefährten, telefonierte sämtliche Freunde durch und rief sogar Yazan an. Der nahm das Gespräch entgegen und stellte sich unwissend. Dann zog sich Manuela Kreutzer an und lief zur Polizei. Sie bat um Hilfe und wurde weggeschickt. Ein Beamter versuchte sie zu beruhigen, dass es normal sei, dass eine 16-Jährige nicht immer nach Hause kommt. Manuela Kreutzer gab nicht auf, gemeinsam mit ihrem Sohn suchte sie in der Umgebung, in jedem Park.

Mehr Polizei für die Prävention

Um 9.48 Uhr fand eine Freundin von Manuela Kreutzer den Leichnam ihrer Tochter. Als die Mutter in den Anton-Wodica-Park kam, war die Polizei schon da. Der Beamte, der sie kurz zuvor noch abgewimmelt hatte, hielt nun Manuela Kreutzer fest und sagte: "Dies ist ein Tatort."

Yazan wurde noch am selben Tag festgenommen. Im Oktober 2019 wurde er am Landesgericht Wiener Neustadt zu 15 Jahren Haft plus Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt.

Experten kritisieren häufig, dass Polizisten zu unsensibel auf Frauen reagieren, die von häuslicher Gewalt bedroht sind. Die Politik kündigte deshalb für das Jahr 2021 eine Erhöhung der besonders geschulten Präventionsbediensteten von 500 auf 700 an. "Ob es sich bei der kolportierten Erhöhung der Präventionsbeamtinnen und -beamten um tatsächlich diese Anzahl handelt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen", meint Franziska Tkavc. Sie ist stellvertretende Fachbereichsleiterin für die Gruppe Kinderschutz und verantwortlich für Frauensicherheit im Landeskriminalamt.

Sofern möglich, würde immer versucht werden, dass die Anzeige von einer weiblichen Beamtin durchgeführt wird. "Prinzipiell hat jede Streifenpolizistin, jeder Polizist in der Grundausbildung Kommunikation", sagt Tkavc. Zudem kritisiert sie die Sanktionsmöglichkeiten, etwa dass die Geldstrafen für Täter häufig nicht ausreichen würden, weil die Betroffenen diese vielleicht überhaupt nicht bezahlen könnten. Sie plädiert für direkte und einschränkende Strafen wie etwa Führerscheinentzug. Da könne man argumentieren, dass ein Gewalttäter sich eventuell auch im Straßenverkehr nicht unter Kontrolle habe. Franziska Tkavc meint, dass die Politik nicht nur bei der Polizei nachschärfen müsste. Es sei ja ein Zusammenspiel von so vielen Punkten. Damit meint sie vor allem die Opfer- oder Täterarbeit von Gewaltschutzzentren, die sie für extrem wichtig hält und die mehr Unterstützung bräuchte.

Karin Pfolz

Im Büro des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) sitzt Karin Pfolz am Besprechungstisch. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, ihre langen Haare hat sie seitlich locker zu einem Zopf zusammengenommen. Sie spricht mit einer lauten, festen Stimme. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein rotes Buch mit dem Titel: "Manchmal erdrückt es mich, das Leben". Sie hat es selbst geschrieben. Es ist die Geschichte ihres Kampfes. Darin beschreibt sie das Leben mit einem gewalttätigen Ehemann. Sie sagt, dass es am Anfang niemand kaufen wollte. Die Realität sei eben schwer zu ertragen. Erst als sie es als Thriller betitelte, verkaufte sich das Buch, dessen Erlös sie an die AÖF spendet.

Sie war 21 Jahre jung, als sie ihren Ex-Mann kennenlernte. Er sei charmant und hilfsbereit gewesen. Zwei Jahre voller Romantik vergingen, dann machte er ihr einen Antrag. Sie schwebte im siebten Himmel. Doch bereits in der Nacht vor der Hochzeit hatte sie das Gefühl, dass diese Ehe böse enden würde. Der Mann kam gefrustet von einer Verabredung mit Freunden nach Hause, er schrie sie an, wirkte aggressiv. Sie erinnert sich daran, dass sie schon damals Angst hatte, einfach aufzustehen und zu gehen. Als er schlief, rief sie ihre Mutter an und bat um Rat. Die versuchte zu beruhigen, dass es wahrscheinlich nur ein Ausrutscher gewesen sei und dass man die Gäste nicht ausladen könne.

Keine Worte

Bis heute kann Karin Pfolz nur schwer über die Taten sprechen, die ihr Ex-Mann ihr angetan hat, aber sie kann aus ihrem Buch vorlesen. Das macht sie in Schulen, bei Frauenberatungsstellen und sogar in Unternehmen, die ihre Mitarbeiter für dieses Thema sensibilisieren wollen. Dann liest sie solche Passagen vor: "Er verpasst mir einen so festen Schlag, dass ich den Halt verliere und die Stiege in den Keller hinunterfalle. Wie an einem Rettungsring klammere ich mich an der Tasche fest, um vielleicht so meinen Sturz zu bremsen. In der Mitte der Stiege verklemmt sich die Tasche, so dass ich liegenbleiben kann." Kurz nach der Hochzeit wurde der gemeinsame Sohn geboren. Ab diesem Zeitpunkt hatte Karin Pfolz nicht mehr nur Angst um sich, sondern vor allem um das Leben ihres Kindes. Sie wusste, dass sie Geld für eine Trennung brauchte. Also sparte sie jeden Groschen, den sie mit heimlichen Näharbeiten dazuverdiente. Viel mehr hatte sie nicht. Er kontrollierte die Finanzen. Ließ sich jede Rechnung vorlegen. Karin Pfolz liest: "Er beendet die nächtlichen Angriffe immer erst, wenn ich mich nicht mehr zurückhalten kann und die Tränen aus meinen Augen rinnen, mein Körper sich im Schmerz verkrampft und es klar und sicher ist, dass er sein Ziel erreicht hat."

Verpflichtende Beratungsgespräche

Seit diesem September gibt es in Österreich die "verpflichtende Täterberatung". Wenn die Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen einen Mann verhängt hat, muss dieser innerhalb von zwei Wochen nach der Tat eine Präventionsberatung absolvieren. Ausmaß: sechs Stunden. Der Verein Neustart führt diese Gespräche in fünf Bundesländern durch. Seit September zählte er bereits 1.750 Zuweisungen, 90 Prozent davon seien Männer. Bei diesen Gesprächen geht es um die Konfrontation mit der Tat und um das Verdeutlichen von möglichen rechtlichen Konsequenzen. Zum Beispiel, dass Betroffenen der Kontakt zu ihren Kindern untersagt werden kann, wenn sie so weitermachten, erzählt Thomas Marecek vom Verein Neustart. Er hält diese Gespräche für einen guten Beginn, um an einer Verhaltensänderung zu arbeiten. Einige könnten danach an andere Beratungsstellen weitervermittelt werden. Die Täter, die nicht erscheinen, bekommen Post von der Polizei.

»Wie von Sinnen schlägt er auf mich ein. Wild brüllend und unverständlich. Voller Schock bewege ich mich nicht mehr, ich bleibe in der Lage, in der ich bin, und warte, bis es vorbei ist.«

Karin Pfolz kann sich nicht erinnern, ob sich die Gewalt ihres Ehemannes über die Jahre verändert hatte. Mit der Hochzeit sei sie zum Küchenkastl mutiert, sagt sie und liest vor: "Wie von Sinnen schlägt er auf mich ein. Wild brüllend und unverständlich. Voller Schock bewege ich mich nicht mehr, ich bleibe in der Lage, in der ich bin, und warte, bis es vorbei ist." Es musste nicht immer einen konkreten Anlass für seine Wutanfälle geben. Mal war es ein bunter Teller, der zwischen den weißen stand, mal war es ein Stau nach der Arbeit. Der Grund für seine Wutanfälle war für Karin Pfolz oft nicht ersichtlich. Immer wieder sagte er ihr, dass sie selber schuld sei, dass er sie verprügeln musste. Vor ihren Kollegen verheimlichte sie die Schläge mit Make-up. Freunde hatte sie keine mehr, die waren ihr verboten. Nach zehn Jahren Ehe hatte Karin Pfolz 10.000 Schilling - rund 700 Euro - für den Scheidungsanwalt gespart. Das war ihr Ziel. Karin Pfolz weiß, was andere Leute über ihr Schicksal denken: Warum blieb sie so lange mit diesem Mann zusammen? Zehn Jahre würden verfliegen, sagt sie, wenn man versuche zu überleben, wenn man versuche, ständig alles richtig zu machen. Sie sei permanent unter Druck gestanden.

Die Dauer ihrer Ehe habe sie selbst nicht mehr mitbekommen. Heimlich engagierte sie einen Anwalt und bat ihn, die Briefe nur an ihre Arbeitsstelle zu schicken. Einer kam trotzdem zu Hause an. Karin Pfolz liest aus dem Buch vor: "Wutentbrannt und ohne ein Wort stürzt er sich auf mich und wirf mich mit aller Kraft auf das hinter mir an der Wand befestigte Bord." Danach ging Karin Pfolz zum ersten Mal in ihrer Ehe zur Polizei und erstattete Anzeige. Als sie wieder nach Hause kam, saß ihr Mann vor dem Fernseher. Dort blieb er bis weit nach der Scheidung. Er ging einfach nicht, und sie hatte keine Kraft, ihn rauszuschmeißen oder die Polizei zu alarmieren. Es waren ihre Arbeitskollegen, die ihr schließlich halfen. Einer lieh ihr ein Auto, eine andere ließ sie und ihren Sohn bei sich wohnen.

Femizide Österreich
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Eine Zukunft ohne Gewalt

Die Leiterin der Dachorganisation der autonomen Frauenhäuser, Maria Rösslhumer, meint, dass die Politik wesentlich mehr Geld in Bewusstseinskampagnen stecken müsste. Die Nachbarschaftsinitiative "StoP -Stadtteile ohne Partnergewalt" wäre so ein Projekt. Dabei ginge es darum, Nachbarinnen und Nachbarn erst mal für das Thema zu sensibilisieren. Viele Frauen und Männer wüssten nicht, wann Gewalt überhaupt beginne. Wann ein Streit nicht mehr "normal" sei. Das Gesundheits- und Sozialministerium unterstützt das Projekt aktuell in vier Wiener Bezirken und an weiteren acht Standorten in sieben Bundesländern. Alexandra Leitner macht heute eine Umschulung zu Gewaltpräventionstrainerin. Kürzlich hielt sie einen Vortrag und erzählte ihre Geschichte. Sie will sich nicht verstecken und sie will anderen Frauen Mut machen. Ihre Botschaft: "Verlasst eure Männer, sprecht über die Taten und schützt damit eure Kinder."

Manuela Kreutzer und ihre Kinder sind heute in psychologischer Behandlung. Für ihre kleine Tochter will sie kämpfen. Sie fordert schnellere Maßnahmen, damit sich Frauen, die sich bedroht fühlen, besser schützen können.

Unglaublich starke Frauen

Karin Pfolz berät Frauen, die von Gewalt bedroht sind, wie sie Beweise sammeln können. Dazu gehören Tipps, wie Bekannte ins Vertrauen zu ziehen, vielleicht auch Arbeitskollegen. Ganz wichtig wären auch Fotos von Verletzungen, Tat- Tagebücher und Dokumente außer Haus zu bringen. Denn Betroffene müssten die Taten vor Gerichten beweisen. Sie selbst versucht zu helfen, wo sie kann. Karin Pfolz sagt: Frauen, die Gewalt erfahren und überlebt haben, wären unglaublich stark. "Die schaffen alles."

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin (Nr. 46/2021).