Hannah Winkler: "Ich bin
im falschen Körper geboren"

Die 25-Jährige erzählt über ihren langen Kampf, endlich als Frau anerkannt zu werden

von Hannah Winkler: "Ich bin im falschen Körper geboren worden." © Bild: Stefanie Brandenburg

NEWS.AT: Sie schreiben, dass Ihr Buch auf Tagebucheintragungen beruht. Wie schwierig war es für Sie Ihre persönlichsten und intimsten Gedanken in "Fe-Male" wiederzugeben?
Hannah Winkler: Es war gar nicht so schwierig. Ich wollte das Buch so schreiben, wie es war. In erster Linie ist es meine Lebensgeschichte und deshalb war es mir wichtig, dass ich damit d'accord (einverstanden; Anm. der Red.) bin, wie ich sie erzähle. Ich habe natürlich meine Familie gefragt, ob es in Ordnung ist, wie ich gewisse Dinge darstelle. Teilweise habe ich schon mit mir gerungen, was ich schreiben kann oder wie ich es formuliere. Da gab es viele Absprachen. Ich habe auch überlegt, was ich ins Buch hineinpacken kann und was mir zu intim ist.

»Ich habe gebrüllt, ich bin ein Mädchen«

NEWS.AT: Wann haben Sie zum ersten Mal bewusst gemerkt, dass Sie eigentlich ein Mädchen sind?
Winkler: Mit drei Jahren habe ich schon gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich habe mich in meinem Körper sehr unwohl gefühlt und mein Spiegelbild hat überhaupt nicht zu meinem Inneren gepasst. Ich habe einfach gespürt, dass ich im falschen Körper bin. Im Alter von fünf oder sechs Jahren bin ich das erste Mal schreiend durchs Haus gelaufen und habe gebrüllt, dass ich ein Mädchen bin. (lacht)

NEWS.AT: Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?
Winkler: Ich habe von klein auf die typischen Verhaltensweisen eines Mädchens an den Tag gelegt. Das ist meinen Eltern natürlich nicht verborgen geblieben. Als ich es dann laut ausgesprochen habe, war das relativ verständlich für meine Eltern. Ich hatte das Glück, dass sie mich gelassen haben, wie ich bin. Ich durfte mit Puppen spielen, die Kleider meiner Mutter anziehen und mich schminken. Ich durfte mich einfach frei entfalten und das war sehr wichtig. Meine Eltern haben praktisch von klein auf Bescheid gewusst.

Hannah Winkler erzählt in ihrem Buch Fe-Male ihren Weg vom Buben zum Mädchen.
© privat Hannah zuhause mit ihrem Kater Prudence.

NEWS.AT: Und wie hat das Umfeld reagiert?
Winkler: Einige Bekannte haben mich gefragt, ob ich lieber ein Mädchen sein möchte. Einmal kam auch die Debatte auf, dass ich schwul sein könnte. Das fand ich völlig verwirrend, weil ich dachte: "Ein Mädchen kann ja nicht schwul sein." Das habe ich damals überhaupt nicht verstanden.

NEWS.AT: Wann ist Ihnen wirklich bewusst geworden, dass Sie anders sind als andere Mädchen?
Winkler: Als ich später realisieren konnte, dass mein Körper nicht so heranwächst wie bei anderen Mädchen. Da wurde mir langsam bewusst, dass ich tatsächlich im falschen Körper geboren worden bin. Mit circa zehn Jahren habe ich angefangen zu recherchieren. Bis ich mich dann in verschiedenen Artikeln wiedergefunden habe. Als ich endlich gewusst habe, was mit mir los ist, war das eine große Erleichterung für mich. Ich dachte, jetzt kann man mir helfen, diese Fehlbildung kann man wegoperieren und alles wird wieder gut. Dass mir so viele Steine in den Weg geräumt werden, damit hätte ich nie gerechnet.

Hannah Winkler erzählt in ihrem Buch Fe-Male ihren Weg vom Buben zum Mädchen.
© privat Hannah mit Stöckelschuhen und Kleid.

NEWS.AT: Ihre Mutter ist gestorben als Sie 13 waren. Sie sind daraufhin zu ihrem Vater gezogen, ihr zwei Jahre älterer Bruder ist bei einer Pflegefamilie geblieben. Wie war das Verhältnis zu Ihrem Bruder und Ihrem Vater?
Winkler: Mit meinem Bruder hatte ich nicht viel Kontakt, vor allem nicht in der Teenager-Zeit. Mit meinem Vater habe ich kein schlechtes, aber auch kein enges Verhältnis gehabt. Als ich umgezogen bin, war das vollkommenes Neuland für uns beide. Weil es mir selber ziemlich schlecht ging zu der Zeit und ich sehr gelitten habe, war es gar nicht möglich eine Beziehung aufzubauen. Relativ schnell kam dann das Jugendamt mit ins Spiel. Mit 13 Jahren habe ich meinem Vater gesagt, dass ich eine Geschlechtsangleichung will.

»Sie haben gesagt, dass ich psychisch krank bin«

NEWS.AT: Anfangs wollte Ihr Vater Sie laut Ihrem Buch von der Intersexualität "heilen". Warum?
Winkler: Behörden und Psychologen haben angefangen meinen Vater unter Druck zu setzen. Sie haben gesagt, dass ich psychisch krank bin. Sie haben gesagt: "Man muss etwas machen, das Kind auf den richtigen Weg bringen". So ist die Auslandsmaßnahme in Italien (durch das Jugendamt; Anm. der Red.) zustande gekommen. Mir hat man gesagt, ich könne dort ein neues Leben beginnen, würde eine Hormontherapie bekommen. Ich habe mich wahnsinnig über den Auslandsaufenthalt gefreut. Die Schulzeit in Deutschland war zu dem Zeitpunkt ein richtiges Desaster. Ich konnte kaum noch zur Schule gehen, ich hatte wahnsinnige Angst, weil ich ständig gemobbt wurde. Also bin ich mit 14 voller Freude nach Italien ausgewandert.

Hannah Winkler erzählt in ihrem Buch Fe-Male ihren Weg vom Buben zum Mädchen.
© privat Hannah mit etwas längeren Haaren im Alter von sieben Jahren.

NEWS.AT: Und was ist dort mit Ihnen passiert?
Winkler: Als ich dort war, hieß es direkt, dass ich aus den Mädchen-Fummeln raus muss und mich wieder anständig benehmen soll. Da war schnell klar, dass diese Maßnahme nur dazu da war, um mich zwanghaft umzupolen. Ich bin daraufhin aus der Familie, wo ich untergebracht war, geflüchtet und getrampt. Am Abend bin ich bei der Polizei gelandet und habe ihnen meine Geschichte erzählt. Sie waren Gott sei Dank sehr kooperativ und haben mir geholfen, wieder zurück nach Deutschland zu kommen.

NEWS.AT: Wie ernst hat Ihr Vater Ihre Bestrebungen nach dem Italien-Desaster genommen?
Winkler: Mein Vater hat auf jeden Fall noch Zeit gebraucht, um alles zu begreifen. Ich bin nach dem Italien-Aufenthalt in Deutschland in eine Notunterkunft des Jugendamtes gekommen und gleichzeitig musste ich ins Landeskrankenhaus, um mich weiter begutachten zu lassen. Bis eine Ärztin gesagt hat, dass ich tatsächlich die Hormone brauche. Mein Vater hat das zuerst wieder abgelehnt, aber die Ärztin hat so viel Druck gemacht, dass es zum Glück befürwortet worden ist. Ich bekam Pubertätshemmer, damit ich nicht in die männliche Pubertät komme.

NEWS.AT: Sie haben vor Gericht um Anerkennung gekämpft. Wie ist es dazu gekommen?
Winkler: Die Betreuer und das Jugendamt hatten meinen Vater wieder so weit, dass die Medikation eingestellt werden sollte. Daraufhin bin ich mit meinem damaligen Therapeuten vor Gericht gegangen, um gegen die Entscheidung zu klagen. Es hat einige Monate gedauert, bis ich dann Recht bekam. Das war sehr nervenaufreibend.

»Das richtige Wort dafür ist Intersexualität«

NEWS.AT: Im Buch zitieren Sie einen Betreuer einer Wohngruppe, der zu Ihnen sagt: "Vielleicht hast du nächsten Monat keine Lust mehr, ein Mädchen zu sein!" Inwieweit spiegelt dieser Satz die Meinung der Gesellschaft wieder?
Winkler: Die meisten denken einfach, ein Junge will eben wie ein Mädchen sein oder umgekehrt. Doch das stimmt alles nicht. Es ist schwierig, weil man von der Gesellschaft stigmatisiert wird. Wir werden gerne in den Topf mit "Transgender" und "Transsexuellen" geworfen, das hat mit mir gar nichts zu tun. Das richtige Wort dafür ist "Intersexualität", also zwei Geschlechter in einem Körper. In den 1950er und 1960er Jahren wurde bewiesen, dass sich die Gehirncodierung anders verhält, als der restliche Körper. Bei Intersexualität geht es wirklich um körperliche Fehlbildungen, die vorgeburtlich geprägt werden. Ich musste aber im Buch den Begriff "Transsexualität" verwenden, weil es nur so von der Gesellschaft verstanden wird.

NEWS.AT: Was bedeutet "Transsexualität" beziehungsweise "Transgender" für Sie?
Winkler: Transgender kann sein, wenn jemand beides leben will oder beides ist; Personen, die sich nicht komplett operieren lassen oder einen anderen Lifestyle einschlagen, wie Conchita Wurst zum Beispiel. Jemand der sich nicht operieren lässt, hat nichts mit Intersexualität zu tun.

Hannah Winkler erzählt in ihrem Buch Fe-Male ihren Weg vom Buben zum Mädchen.
© privat Hannah mit 16 Jahren - seit ein paar Monaten erhält sie Hormone.

NEWS.AT: Gerade aufgrund der Stigmatisierung hatten Sie es oft schwer. Im Buch schreiben Sie über offene Anfeindungen, Beschimpfungen wie "Transe" und sogar Prügel. Wie haben Sie das damals verarbeitet bzw. verkraftet?
Winkler: Den Schutzmechanismus, den ich damals hatte, war wirklich der Alkohol. Ich war ja völlig auf mich allein gestellt. Es gab eine Kehrtwendung, als ich wegen einer Alkoholvergiftung im Spital lag. Ich habe gemerkt, so kann es nicht weitergehen. Damals bin ich langsam aus der Opferrolle herausgekommen und habe für mich selber bemerkt, dass ich genauso viel wert bin wie jeder andere auch. Und das ich genauso das Recht habe hier zu sein.

NEWS.AT: Mit 17 haben Sie Ihren Namen offiziell in Hannah geändert. Wie wichtig war dieser Schritt für Sie?
Winkler: Das war sehr wichtig. Ich habe meinen Freunden, mein Personalausweisfoto zeigen können, ohne Angst zu haben wegen des Namens. Es gab keine Komplikationen mehr bei Ausweiskontrollen und ich musste mich nicht mehr vor allen Leuten ständig erklären.

»Hätte sich mein Körper vermännlicht, hätte ich mich umgebracht«

NEWS.AT: Mit 18 Jahren haben Sie sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen. Sie hätten es aber schon gerne früher gemacht. Ab welchem Alter sollte diese Operation möglich sein?
Winkler: Sobald nachgewiesen ist, dass diese Art der Intersexualität vorliegt, sollte das Kind völlig frei entscheiden können, wann es die Operation machen möchte. Damit das Kind ein normales Leben führen kann und nicht so lange leiden muss. Wenn man erst nach der Pubertät mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen anfängt, leidet man sein ganzes Leben darunter, weil sich gewisse körperliche Merkmale nicht mehr ändern lassen. Als ich mit 13 definitiv gewusst habe, ich will diese Geschlechtsangleichung machen, war für mich klar, sobald sich mein Körper irgendwie vermännlichen würde, würde ich mich sofort umbringen. Deshalb gab es nie irgendwelche Zweifel oder Ängste.

NEWS.AT: Was hat sich durch die Geschlechtsumwandlung für Sie körperlich und psychisch verändert?
Winkler: Ich bin einfach durch die weibliche Pubertät gegangen, ich bin auch ein bisschen zickiger geworden (lacht) . Der ganze Körper hat sich noch einmal wahnsinnig verändert, verweiblicht. Er ist weicher und sensibler geworden. Ich bin aber ich geblieben. Meine Persönlichkeit hat sich nicht verändert.

NEWS.AT: Man hört immer wieder von unglücklich verlaufenen geschlechtsangleichenden Operationen. Wie schwierig ist es, den richtigen Arzt zu finden?
Winkler: Es ist wichtig, einen guten Arzt zu finden, bei dem man sich auch wohlfühlt. In Europa sind die Operationsmethoden ziemlich schlecht. Es gibt sich keiner Mühe, weil die Notwendigkeit, sich anzustrengen, nicht gegeben ist. Die USA sind das einzige Land, in dem es echte Spezialisten gibt. Aber die ganzen Kosten muss man selber tragen. Ich habe mich zuerst in Deutschland operieren lassen, das war eine Katastrophe und die zweite Operation habe ich dann in den USA machen lassen.

NEWS.AT: Welches Verhältnis haben Sie heute zu Ihrem Vater und Ihrem Bruder?
Winkler: Gott sei Dank ist das Verhältnis ziemlich gut. Mein Bruder, mein Vater und ich sind zu einer kleinen Einheit zusammengewachsen, wir sind eine Familie und verstehen uns wieder.

NEWS.AT: Wenn Sie einen Mann kennenlernen, wann kommt der Moment, in dem Sie ihm von Ihrer Geschlechtsangleichung erzählen?
Winkler: Das ist schwer zu sagen. Vertrauen ist eine wirklich gute Basis. Das kann nach einem intensiven Gespräch vorhanden sein, das kann nach einer Woche, nach einem Monat oder einem Jahr entstanden sein. Das sind sehr intime Sachen, die man jemanden anvertraut. Ich lasse mich dabei nicht unter Druck setzen. Ich habe es im Gefühl, wann der richtige Moment dafür ist. Man weiß natürlich nie, wie der andere darauf reagiert. Aber die Angst abgelehnt zu werden, hat, glaube ich, jeder Mensch.

NEWS.AT: Wie sieht Ihre Zukunftsplanung in Bezug auf Familie und Beruf aus?
Winkler: Ich möchte eine feste Partnerschaft aufbauen, eine Familie gründen, Kinder adoptieren. Beruflich mache ich gerade eine Schauspielausbildung in Köln und habe noch knapp zwei Jahre vor mir. Mein großer Traum ist es einmal in einem Rosamunde-Pilcher-Film mitzuspielen.

Hannah Winkler erzählt in ihrem Buch Fe-Male ihren Weg vom Buben zum Mädchen.
© Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag

Zum Buch:
Hannah Winkler
FE-MALE
Hinein in den richtigen Körper
256 Seiten; Bildteil; Taschenbuch
ISBN 978-3-86265-337-9
Originalausgabe 9,95 EUR

Zur Autorin:
Hannah Winkler ist 1989 in Deutschland im Körper eines Buben geboren worden. Seit ihrer geschlechtsangleichenden Operation im Alter von 18 Jahren kann Hannah Winkler endlich sein, was sie schon immer war: Eine junge Frau. 2009 hat sie begonnen ein Buch über ihren schwierigen Weg in den richtigen Körper zu schreiben. "Fe-Male" ist am 1. Mai 2014 erschienen und das erste Buch der Autorin. Heute wohnt Hannah Winkler in Bonn und absolviert eine Schauspielausbildung.

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