Wie faul sind unsere Lehrer?

Neun Wochen Ferien, aber trotzdem kaum Fortbildung. Warum sich viele Lehrer vor dem Nachsitzen drücken.

Österreichs Lehrerinnen und Lehrer haben im Sommer neun Wochen frei, die meisten absolvieren in dieser Zeit aber keine Fortbildungskurse. Woran das liegt - und wie man sie dazu bringen kann, während der Ferien fleißiger zu sein.

von Cover - Wie faul sind unsere Lehrer? © Bild: shutterstock

Eine Gruppe von Mountainbikern rastet auf einem Felsen im Fluss. Zwei Frauen posieren lächelnd mit Tennisschlägern. Einige durchtrainierte Männer und Frauen spielen unter blitzblauem Himmel Beachvolleyball. Die auf Facebook veröffentlichten Fotos sind vor wenigen Wochen bei Lehrerfortbildungskursen der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich (PH NÖ) entstanden. Diese Kurse stehen prinzipiell allen Lehrpersonen offen und sind, argumentiert ein Sprecher des Landesschulrats, angesichts der Diskussion über die tägliche Turnstunde "für Sportlehrer und solche, die mit Bewegungsunterricht in Berührung kommen, also theoretisch alle", sinnvoll.

»Die Dinge, die während des Sommers angeboten werden, sind stärker auf Bereiche ausgerichtet, die man selbst gerne macht.«

Noch ein bisschen merkwürdiger wird das Bild, wenn man sich das restliche Sommerfortbildungsangebot der PH NÖ ansieht. Während 90 Prozent der Sportkurse stattfanden, mussten zwölf von 18 angebotenen Deutschund sechs von 14 Mathematikkursen abgesagt werden. Wegen mangelnder Teilnehmer. Das liege daran, dass Lehrerinnen und Lehrer die Fortbildung in den "Kern-Lehrbereichen" tendenziell während des Schuljahres absolvieren und "die Dinge, die während des Sommers angeboten werden, stärker auf Bereiche ausgerichtet sind, die man selbst, aus welchen Gründen auch immer, gerne macht," sagt Erwin Rauscher, Rektor der PH NÖ.

Fortbildungskurse mit Urlaubscharakter

Lehrer besuchen im Sommer, wenn überhaupt, Fortbildungskurse mit Urlaubscharakter und faulenzen die restlichen achteinhalb Wochen -das Klischee ist fest drin in vielen Köpfen. Faktum ist: Lehrer müssen im Sommer keine Fortbildung machen. Faktum ist aber auch, dass sie - nach dem Willen der politischen Verantwortlichen -sollten. Und dass Fortbildung extrem wichtig ist. Untersuchungen belegen, dass die Qualität des Unterrichts stark mit der Intensität der Fortbildung zusammenhängt. Und die lässt zu wünschen übrig. 2008 war Österreich zwar international führend, was die grundsätzliche Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen betrifft. Bezüglich des Umfangs der Fortbildung liegt Österreich allerdings unter dem internationalen Mittelwert.

15 Stunden

Österreichische Pflichtschullehrer müssen 15 Stunden Fortbildung pro Jahr leisten. Für die allermeisten AHS-Lehrer gilt keine Fortbildungspflicht. Erst das neue, ab 2019/20 obligatorische Dienstrecht sieht die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen verpflichtend vor. Europaweit gibt es sehr unterschiedliche Systeme der Lehrerfortbildung. Während in Luxemburg nur acht Stunden pro Jahr vorgeschrieben sind, sind es in Serbien 68. In Deutschland ist die Lehrerbildung Ländersache, die Anforderungen unterscheiden sich stark. In Bayern müssen Lehrer zwölf Fortbildungstage innerhalb von vier Jahren nachweisen, also 15 Stunden pro Jahr. In Hamburg sind es sogar 30 Stunden jährlich. Dem jahrelang wenig beachteten Thema Lehrerfortbildung komme in Deutschland jetzt wieder mehr Bedeutung zu, sagt Rolf Hanisch, Vorsitzender des Deutschen Vereins für Lehrerfortbildung: "Weil wir trotz großer Investitionen in die Bildung nicht von mittleren Plätzen in den Rankings wegkommen. Irgendetwas machen wir offensichtlich falsch."

Fortbildung ist erwünscht

Der politische Wille in Österreich ist ebenfalls klar. Fortbildung ist erwünscht; und erwünscht ist auch, dass sie in der unterrichtsfreien Zeit stattfindet. "Der Besuch der Fortbildungen von Lehrerinnen und Lehrern muss so organisiert werden, dass es möglichst zu keinem Unterrichtsentfall für die Schülerinnen und Schüler kommt," sagt Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ).

Das soll durch ein verstärktes Fortbildungsangebot in der unterrichtsfreien Zeit unterstützt werden. "Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer bilden sich im Sommer fort. Ich begrüße das sehr." Während im Sommer 2010 an den Pädagogischen Hochschulen 862 Kurse angeboten wurden, waren es 2016 immerhin schon 1.304. Das jährliche Gesamtvolumen liegt aber bei zirka 14.000 bis 15.000 Lehrveranstaltungen. Das heißt: Nicht einmal zehn Prozent der Fortbildung finden im Sommer statt.

Lange Ferien

Die Gründe dafür sind vielfältig. Bei einigen Lehrern scheitert es schlicht an der Bereitschaft. Die Wiener Volksschullehrerin Maria (Name der Redaktion bekannt) sagt: "Ich wollte nur am Vormittag arbeiten, und ich wollte lange Ferien haben." Genau deshalb sei sie Lehrerin geworden: "Nach meiner Karenz habe ich mich deshalb von einer Ganztagsschule in eine klassische Volksschule versetzen lassen."

»Ich wollte nur am Vormittag arbeiten, und ich wollte lange Ferien haben." Genau deshalb sei sie Lehrerin geworden«

Das deckt sich mit den Erfahrungen der Pädagogischen Hochschulen. Die PH Steiermark bietet heuer beispielsweise ein relativ schlankes Fortbildungsangebot in der letzten Ferienwoche an. "Absagen sollten nicht sein", sagt Rektorin Elgrid Messner: "Wir haben im Vorjahr mehr angeboten und zur Kenntnis genommen, dass es einen gewissen Stock an Lehrerinnen und Lehrern gibt, die das annehmen." Ulrike Greiner, Rektorin der Salzburger School of Education, formuliert es so: "Die bestehenden Angebote werden genutzt, wenn auch unterschiedlich stark -und halt sehr oft von den immer gleichen Lehrpersonen. Wer schon sehr gut und kompetent ist, macht das auch noch. Wichtig ist, die zu erreichen, die es nicht machen."

Fehlende Angebote

Lehrervertreter begründen die mangelnde Fortbildungswilligkeit der Lehrer dagegen mit fehlendem Angebot. Der niederösterreichische Lehrergewerkschafter Helmut Ertl moniert, dass die Lehrer "oft gar nicht das Fortbildungsangebot vorfinden, das sie brauchen würden". Die Honorare für Lehrende an den PH sind gering, was sich auch auf die Qualität der Vortragenden auswirken kann. Besonders ambitionierte Lehrer belegen auf eigene Kosten Fortbildungskurse externer Anbieter.

In anderen Ländern können diese Kosten den Schulen verrechnet werden. In den Niederlanden verfügen die Schulen über Fortbildungsbudgets, die sie eigenständig verwalten und auch in Angebote privater Anbieter investieren können. In Österreich werden die Kurse exklusiv von den Pädagogischen Hochschulen angeboten. Die Fortbildungsprogramme entstehen in Zusammenarbeit mit Lehrern, Schulaufsicht und Bildungsministerium, das wechselnde Schwerpunkte vorgibt.

Viele Absagen

Die Erstellung des ambitioniertesten Programms bedeutet aber nicht, dass es auch angenommen wird. De facto entscheiden Lehrerinnen und Lehrer in Österreich selbst, welche Fortbildungsangebote sie annehmen -in mehr oder weniger starker Abstimmung mit dem Direktor oder der Direktorin. Wie ernsthaft das Fortbildungsmanagement betrieben wird, unterscheide sich von Schulstandort zu Schulstandort extrem, sagen Experten.

In der Praxis bedeutet das, dass zum Beispiel Sportangebote sehr stark nachgefragt sind, anspruchsvollere Kurse aber flächendeckend abgesagt werden müssen. Damit laufen auch politische Steuerungsversuche ins Leere. In seinem aktuellen Rundschreiben empfiehlt das Bildungsministerium Fortbildungsangebote in den Bereichen Berufs-und Bildungswegorientierung, Bildungsstandards, Interkulturalität, Politische Bildung, Sprachenvielfalt und vieles andere mehr.

Beratung von Eltern mit Migrationshintergrund: abgesagt

Ein Blick auf die Sommerprogramme einiger pädagogischer Hochschulen zeigt aber, dass etwa im Bereich Interkulturalität zahlreiche Lehrveranstaltungen angeboten wurden, die meisten aber wegen mangelnder Teilnehmer abgesagt werden mussten. Ein paar Beispiele: "Globalisierung gestalten" an der PH NÖ: abgesagt. "Beratung von Eltern mit Migrationshintergrund" an der PH Oberösterreich: abgesagt. "Vorurteilsfreie und interkulturelle Pädagogik" an der PH Tirol: abgesagt.

»Wir versuchen zunehmend, das Angebot am Bedarf zu orientieren, aber nicht am individuellen -da hätten wir dann vielleicht 60 Kletterkurse -, sondern schon am gesamtösterreichischen Bedarf«

Zwischen Vorstellungen von oben und Wünschen von unten einen gangbaren Weg zu finden, ist für die pädagogischen Hochschulen nicht immer einfach. "Wir versuchen zunehmend, das Angebot am Bedarf zu orientieren, aber nicht am individuellen -da hätten wir dann vielleicht 60 Kletterkurse -, sondern schon am gesamtösterreichischen Bedarf," sagt Rektor Rauscher von der PH NÖ. Allerdings, sagt Elgrid Messner, Rektorin der PH Steiermark, könne es auch passieren, dass in gewissen stark nachgefragten Bereichen wie Deutsch als Fremdsprache gar nicht genug qualifiziertes Lehrpersonal zur Verfügung steht.

Kein Zwang

Eine im Jänner publizierte Studie des Rechnungshofs legt nahe, dass am Klischee von den arbeitsscheuen Lehrern, die lieber ihre Ferien genießen, als sich in der vermeintlichen Freizeit fortzubilden, doch was dran ist. Demnach wurden im untersuchten Schuljahr 2014/15 immer noch 41 Prozent der PH-Lehrveranstaltungen in der Kern-Unterrichtszeit -also zwischen acht und 14 Uhr -angeboten. Nur zwölf Prozent entfielen auf einen Zeitpunkt nach 18 Uhr, auf Samstage oder Ferienzeiten. Die fortbildungsintensivsten Monate waren Oktober, November, März und April; in den Sommerferien beschränkte sich das Angebot überhaupt auf die ersten beiden Ferienwochen im Juli bzw. die letzte im August oder die erste im September.

»Es muss gelingen, die Fortbildung in den Lehrerjob zu integrieren und sie als sichtbaren Teil ihres Berufs anzuerkennen.«

Davon, Lehrerinnen und Lehrer zur Fortbildung im Sommer zu zwingen, halte sie nichts, sagt die Bildungsexpertin Ulrike Greiner. Es müsse gelingen, "die Fortbildung in den Lehrerjob zu integrieren und sie als sichtbaren Teil ihres Berufs anzuerkennen." Erwin Rauscher, Rektor der PH NÖ, sieht ein Problem in der mangelnden Verbindlichkeit, etwa im Bereich der Kosten: "Es ist sicherlich eine Herausforderung, dass bei uns alles gratis ist. Was nix kostet, ist nix wert. Das kann dazu führen, dass die Bereitschaft beschränkt ist, sich in die Dinge so aufmerksam hineinzuarbeiten, wie es gewünscht wird." Außerdem, meint Rauscher, wäre es sinnvoll, die Auswirkungen von Fortbildung auf den Unterricht stärker zu überprüfen. Und Fortbildung sollte eine Voraussetzung für Karriere im schulischen Bereich sein. Auch, damit nicht andere, außerschulische, Kriterien bei der Besetzung von Direktoren oder Inspektoren eine Rolle spielen.

Internationale Vorbilder

Internationale Beispiele zeigen, dass solche Anreizsysteme sehr wirkungsvoll sein können. In einigen europäischen Ländern sind Beförderungen bereits an Fortbildung geknüpft. In anderen Ländern gibt es gegen den Nachweis von Fortbildung Zulagen und Gehaltserhöhungen. Liechtenstein arbeitet gar mit einem variablen, leistungsabhängigen Modell, in der besondere Leistungen und Anstrengungen flexibel honoriert werden können.

»Ich sehe hier viele Möglichkeiten«

"Ich sehe hier viele Möglichkeiten", sagt Bildungsministerin Sonja Hammerschmid. "Etwa, dass im Rahmen des jährlichen Mitarbeitergesprächs gemeinsam mit dem Vorgesetzten an der Schule Entwicklungsperspektiven für die Lehrerin besprochen und das dafür erforderliche Fortbildungsprogramm festgelegt werden. Oder dass Angebote an den pädagogischen Hochschulen so organisiert werden, dass sie die inhaltlichen, aber auch die organisatorischen Bedürfnisse der Betroffenen gut abdecken können. Zukünftig werden Fortbildungsveranstaltungen auch direkt an den Schulen stattfinden und damit sowohl thematisch als auch von Umfang und Organisationsform genau für den Schulstandort passend ausgerichtet."

Bessere Integration

Ein Zugang, mit dem auch Rolf Hanisch vom Deutschen Lehrerfortbildungsverein etwas anfangen kann. "Die Schule ganz zu verlassen und sich ein theoretisches Ideal anzueignen, halte ich nicht für so sinnvoll. Moderner ist der Ansatz, Fortbildung in den laufenden Schulbetrieb zu integrieren. Das lässt sich dann auch besser auf Wirksamkeit hin untersuchen."

Nebeneffekt, der manchem heimischen Lehrer bestimmt gefällt: Von Fortbildung im Sommer ist Hanisch nicht so begeistert. "Ich habe nicht prinzipiell etwas dagegen, in der DDR wurden etwa die Ferienzeiten zum Teil für Fortbildung genützt. Aber sinnvoller ist, man macht es im laufenden Schulbetrieb mit Schülern und Eltern zusammen." Zu ergänzen ist vielleicht, dass die Sommerferien in Deutschland nur sechs Wochen dauern, dafür kommen zwei Wochen Herbstferien dazu. Egal, wie man Lehrerfortbildung organisiert, wie viele Stunden man vorschreibt oder wie das konkrete Angebot aussieht: Die Qualität steht und fällt mit dem Engagement und der Professionalität des Einzelnen.

»Ich beschäftige mich viel mit Fachliteratur, ich sortiere, bereite vor. Das ist während des Schuljahres einfach nicht zu schaffen«

Auch die BHS-Lehrerin Gudrun (Name der Redaktion bekannt) hält wie so viele ihrer Kolleginnen nichts davon, zu Fortbildungskursen im Sommer zwangsverpflichtet zu werden. Eh klar, sagt man spontan. Aber ihre Begründung klingt ein bisschen anders. Sie brauche, sagt Gudrun, die Sommerferien dringend zur Vor-und Nachbereitung eines intensiven Schuljahres: "Ich beschäftige mich viel mit Fachliteratur, ich sortiere, bereite vor. Das ist während des Schuljahres einfach nicht zu schaffen."

Für Anna Gasteiger war die Recherche über Lehrerfortbildung eine spannende Reise durch ein komplexes Themengebiet, bei dem es ebenso viele Wahrheiten wie Lehrer gibt -mindestens