Warum es so schwer fällt, nichts zu tun

Es ist gar nicht so einfach, faul zu sein - aber so wichtig. Ein Experte erklärt, warum.

Einfach einmal nichts tun und die Zeit genießen? Fehlanzeige. Das ist in der heutigen Zeit für viele Menschen undenkbar. Zu groß die Angst, dass man etwas verpassen könnte oder schlicht "keine Zeit" dafür. Der Philosoph und Politologe sowie Buchautor ("Faul zu sein ist harte Arbeit") Martin Liebmann erklärt, warum es uns so schwer fällt - aber gleichzeitig so wichtig ist.

von Faul sein © Bild: iStockphoto

Herr Liebmann, haben Sie heute schon nichts gemacht?
Heute bin ich dazu noch nicht gekommen. Ich war wahrscheinlich zu faul dafür.

Sie sind Vorstand des Vereins für Zeitverzögerung: Sind Sie pünktlich?
Ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin sehr pünktlich. Ich halte es für respektlos, anderen Menschen eine fremdbestimmte Verzögerung aufzuzwängen.

Wie oft schauen Sie auf die Uhr?
Da ich fast nie eine Uhr dabei habe, passiert das äußerst selten. Die einzige, die ich häufiger am Handgelenk trage, ist eine ohne Ziffernblatt und ohne Zeiger. Auf die schaue ich gern.

Warum fällt es uns so schwer, nichts zu tun?
Zum einen, weil unser Lebenstempo so unglaublich schnell ist und uns wie ein Strom mitreißt. Wer da nicht eifrig mit den Armen kurbelt, droht unterzugehen. Uns wird zudem von klein auf eingetrichtert, dass faul sein unanständig sei. Ich vermute aber, dass es den meisten Menschen so schwer fällt, weil wir uns in der Muße selbst begegnen. Was, wenn da auf einmal eine große Leere ist? Allein die Vorstellung kann Angst machen.

Verpasse ich nicht etwas, wenn ich nichts tue?
Selbstverständlich! Aber angesichts dessen, dass wir fast alles versäumen, ist das überhaupt kein Grund zur Sorge. Ich finde es ganz wunderbar, viel zu verpassen. Statt im pausenlosen Multitasking von sehr vielen Dingen sehr wenig mitzubekommen, nehme ich mir lieber die Zeit und Ruhe für die Dinge, die mir wirklich wichtig sind.

Wieso sollen wir das überhaupt tun – nichts tun?
Um uns selbst zu begegnen und zu spüren, was für ein Geschenk es ist, einfach nur zu sein. Wenn ich um jede kleine Anerkennung kämpfen und etwas tun muss, ist das nicht nur unglaublich erschöpfend, sondern steht auch dem Lebensglück entgegen. Für die alten griechischen Philosophen war die Muße als Schwester der Freiheit sogar eines der höchsten Lebensziele.

Was ist der Unterschied zwischen Nichts tun und sich langweilen?
Langeweile ist eine Qual, das bewusste Nichtstun dahingegen ein Zustand, in dem ich wirklich frei bin. Unsere ständigen Zerstreuungen und Versuche, die Zeit zu vertreiben, lassen uns nur noch schneller in die Langeweile fallen. Je kurzweiliger wir unser Leben gestalten, desto schneller wird uns langweilig – und desto schwieriger wird es, mit sich selbst lange zu weilen und zur Muße zu finden.

Viele Leute denken, Sie haben keine Zeit um nichts zu tun. Was raten Sie ihnen?
Ich gebe ungern Ratschläge, schon gar nicht pauschale. Ich stelle lieber Fragen. Meine Lieblingsfrage lautet: „Was ist Dir wirklich, wirklich wichtig?“ Wir haben alle jeden Tag gleich viel Zeit. Die Unterschiede liegen darin, wie wir sie ausfüllen: gefüllt oder erfüllt. Daraus lässt sich eine weitere schöne Frage formulieren.

Was wünschen Sie sich bezüglich unseres Umgangs mit der Zeit?
Dass wir uns mehr Zeit dafür nehmen, um gemeinsam darüber nachdenken und diskutieren, was besser wird, wenn wir es beschleunigen und was besser wird, wenn wir es langsamer angehen lassen. Die Zeit ist der Schlüssel für ein gutes Leben und Zusammenleben.

Zur Person: Martin Liebmann, Jahrgang 1966, ist Vorsitzender des Vereins zur Verzögerung der Zeit und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen zu einem bewussteren Umgang mit Zeit anzuhalten. Der studierte Philosoph und Politologe arbeitet seit 25 Jahren als Markenberater und ist mit 52 Jahren zu der Erkenntnis gekommen, es jetzt ruhiger anzugehen und dem Müßiggang mehr Raum zu geben. Das tut er vorzugsweise auf Sardinien, wo er stundenlang innehält und aufs Meer schaut.

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Zum Buch:
Faul zu sein ist harte Arbeit
Eine Ode an den Müßiggang
224 Seiten
ISBN: 978-3-8312-0546-2
Wir müssen effektiv sein, strukturiert und flexibel. So will es der Arbeitsmarkt, so will es die Wirtschaft. Wer sich nicht gegen die Konkurrenz durchsetzen kann, bleibt auf der Karriereleiter stehen. Also arbeiten wir 60 Stunden, checken auch noch Sonntags unsere Mails und optimieren weiter unsere Morgenroutine. Aer tut das uns, unserer Gesellschaft und unserer Umwelt gut? Martin Liebmann findet: Nein!