Mit der Tochter ins Ausland

Kann man den Ex-Partner vor vollendete Tatsachen stellen?

von Dr. Maria In der Maur-Koenne © Bild: NEWS

Ich habe ein Jobangebot für ein Jahr in Hongkong bekommen und möchte diese Chance unbedingt nutzen und mit meiner zehnjährigen Tochter übersiedeln. Auch meine Tochter ist schon ganz aufgeregt. Mein Ex-Mann und ich sind gemeinsam obsorgeberechtigt, aber ich kümmere mich seit der Scheidung hauptsächlich um unsere Tochter. Muss ich meinen Ex-Mann überhaupt fragen, ob wir übersiedeln "dürfen", oder kann ich ihn vor vollendete Tatsachen stellen?

Karin V., Oberösterreich

Liebe Frau V.,
Ihren Schilderungen entnehme ich, dass Ihre Tochter hauptsächlich in Ihrem Haushalt von Ihnen betreut wird, Sie somit Domizilelternteil sind.
Gemäß §162 ABGB hat bei gemeinsamer Obsorge der Domizilelternteil das alleinige Recht, den Wohnort des Kindes zu bestimmen. Bei einer Verlegung des Wohnortes ins Ausland muss sich der hauptbetreuende Elternteil aber um die Zustimmung des anderen Elternteils bemühen.
Als Domizilelternteil sind Sie daher verpflichtet, den anderen Elternteil von der geplanten Übersiedlung ins Ausland zu informieren und mit ihm nach Möglichkeit ein Einvernehmen herzustellen. Ist der Kindesvater der Ansicht, dass der Umzug - auch nur für ein Jahr -dem Wohl Ihrer Tochter widerspricht, hat er binnen angemessener Frist einen Antrag bei Gericht auf Festlegung der hauptsächlichen Betreuung in seinem Haushalt zu stellen. Als angemessen gilt in der Regel ein Zeitraum von zwei bis vier Wochen ab der Verständigung über den geplanten Umzug. In diesem Gerichtsverfahren hat der Richter dann die Frage zu klären, ob der Umzug nach Hongkong für ein Jahr gemeinsam mit Ihrer Tochter dem Kindeswohl entspricht. Das Gericht hat dabei auch Ihr Recht als Elternteil auf freie Wahl des Wohnortes und Berufsfreiheit zu berücksichtigen. Der Richter kann nach Abwägung aller Argumente den Umzug genehmigen oder bestimmen, dass Ihre Tochter für den Fall Ihrer Übersiedlung ins Ausland hauptsächlich im Haushalt des Kindesvaters betreut wird.
Als Domizilelternteil begehen Sie daher durch eine Übersiedlung ins Ausland gemeinsam mit Ihrer Tochter nur dann keine Kindesentführung, wenn Sie vor der Übersiedlung mit dem Kindesvater das Einvernehmen hergestellt haben oder diesen zwar über Ihre Absichten informiert haben, der Kindesvater darauf aber nicht mit rechtzeitiger Antragstellung bei Gericht reagiert hat; oder wenn das Gericht die Übersiedlung genehmigt hat.
Wenn Sie den Kindesvater hingegen, wie Sie schreiben, "vor vollendete Tatsachen" stellen und ihn erst nach der Übersiedlung aus dem Ausland informieren, begehen Sie eine Kindesentführung Ihrer eigenen Tochter.

Haben Sie eine Frage? Schreiben Sie mir bitte: siehabenrecht@news.at