Schwere Explosionen in Beirut:
Zahlreiche Tote und Verletzte

Zwei gewaltige Explosionen haben am Dienstag den Hafen von Beirut erschüttert. Das libanesische Rote Kreuz hat die Zahl der Toten auf mindestens 100 beziffert. Mehr als 4.000 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte die Organisation mit. Laut Beiruts Gouverneur ist die halbe Stadt betroffen - und zehntausende Menschen obdachlos. Auf verletzte Österreicher gab es indes keine Hinweise.

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Libanon - Schwere Explosionen in Beirut:
Zahlreiche Tote und Verletzte

"Unsere Teams setzen die Such- und Rettungsaktivitäten in den umliegenden Gegenden fort." Das Gesundheitsministerium hatte die Zahl der Todesopfer zuletzt mit 78 angegeben und von knapp 4.000 Verletzten gesprochen. Große Teile des Hafens und der umliegenden Stadtgebiete wurden verwüstet. Auf Bildern waren unter Trümmern eingeklemmte Menschen zu sehen, viele von ihnen blutüberströmt. Die Krankenhäuser seien mit den vielen Verletzten komplett überlastet, sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan beim Besuch eines Hospitals. "Es ist eine Katastrophe im wahrsten Sinne des Wortes." Der Oberste Verteidigungsrat des Landes erklärte die Stadt zur "Katastrophenzone".

Auch das Gebäude, in dem sich die deutsche Botschaft befindet, wurde nach Angaben des Auswärtigen Amts in Berlin beschädigt. Angesichts der starken Schäden im Stadtgebiet schloss das Ministerium nicht aus, dass weitere deutsche Staatsangehörige unter den Todesopfern und Verletzten sein könnten.

2.750 Tonnen Ammoniumnitrat detoniert

Die Explosionen hatten die Hauptstadt des Libanon am Dienstag erschüttert und schwere Verwüstungen angerichtet. Laut Ministerpräsident Hasan Diab waren 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat detoniert. Das Material sei seit sechs Jahren ohne Vorsichtsmaßnahmen in einem Lagerhaus untergebracht gewesen. Der Sicherheitschef der Regierung, Abbas Ibrahim, sagte, das Ammoniumnitrat sei seinerzeit beschlagnahmt worden. Diab kündigte an, die Verantwortlichen würden "zur Rechenschaft" gezogen. Weshalb das Ammoniumnitrat explodierte, war jedoch völlig unklar. Die Substanz kann zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden.

US-Präsident Donald Trump sprach von einem "furchtbaren Angriff" mit einer "Art von Bombe". Er berief sich dabei auf Angaben von US-Generälen. Weder vom Pentagon noch den libanesischen Behörden kamen jedoch irgendwelche öffentlichen Hinweise darauf, dass es sich möglicherweise um einen Anschlag gehandelt haben könnte.

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen reagierte via Twitter: "Unsere Gedanken sind bei den Menschen im Libanon, bei den Verletzten und den Familien der Opfer".

Zehntausende Menschen laut Gouverneur obdachlos

Die verheerende Explosion hat die Wohnungen von Zehntausenden Menschen zerstört. Beiruts Gouverneur Marwan Abbud sagte am Mittwoch dem libanesischen Sender MTV, zwischen 200.000 und 250.000 Einwohner hätten ihre Unterkünfte verloren. Der Schaden liegen bei drei bis fünf Milliarden Dollar, erklärte Abbud laut staatlicher Nachrichtenagentur NNA weiter.

Warnung vor Auswirkungen auf Wirtschaft

Experten warnten vor den Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, die seit Monaten ohnehin unter einer der schwersten Krisen in der Geschichte des Libanons leidet. "Diese Explosion ist der Sargnagel für die Wirtschaft des Libanons und für das Land im Allgemeinen", sagte der libanesische Analyst Makram Rabah. Die Menschen könnten ihre Häuser nicht wieder aufbauen, weil ihnen das Geld fehle. Der Hafen in Beirut sei zudem die Lebensader des Landes. Da dort unter anderem Getreidesilos zerstört worden sei, müsste das Land jetzt mit Hunger und Engpässen bei Brot rechnen.

Österreichische Botschaft beschädigt

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich betroffen von der Explosion in Beirut und erklärte via Twitter, "unsere Gedanken sind bei den Menschen im Libanon, bei den Verletzten und den Familien der Opfer". Von den zwei Explosionen ist auch die österreichische Botschaft betroffen: "Das Botschaftsgebäude in Achrafieh wurde beschädigt und es steht derzeit nicht fest, ob die Botschaft als Büro in den nächsten Tagen funktionsfähig sein kann", schreibt die Auslandsvertretung auf ihrer Facebook-Seite. Dort würden nun Aufräumarbeiten laufen.
Die Botschaft sei aber rund um die Uhr über eine Notfall-Telefonnummer erreichbar, wird betont. Die Botschaft sei rund um die Uhr über eine Notfall-Telefonnummer erreichbar, hieß es auf Facebook: "Bitte kontaktieren Sie, falls Sie Angehörige suchen oder Ihnen bekannt geworden ist, dass österreichische Staatsbürger durch diese Katastrophe in Beirut verletzt sind oder Hilfe benötigen, die Botschaft telefonisch unter folgenden Nummern: +961 1 213 052 oder +961 1 213 017."

Keine Hinweise auf verletzte Österreicher

Keine Hinweise hat es bislang darauf gegeben, dass Österreicher verletzt wurden. Das sagte der Sprecher des Außenministeriums in Wien, Peter Guschelbauer, auf APA-Nachfrage. Demnach wurde eine lokale Angestellte der österreichischen Botschaft im Libanon jedoch leicht verletzt. Laut Außenministerium leben etwa 300 Auslandsösterreicher im Libanon.

Premier bittet Staaten um Hilfe

Diab bat in einer Fernsehansprache alle befreundeten Staaten um Hilfe. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dem Libanon Unterstützung zu. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte die Lieferung "mehrerer Tonnen" medizinischem Hilfsmaterials an. Hilfszusagen kamen aus aller Welt, darunter auch von Israel und dem Iran.
Der Libanon befindet sich seit Jahren in einer Abwärtsspirale: Das Land leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise, fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Die Krise wurde in den vergangenen Monaten durch die Corona-Pandemie verschlimmert.

Die heftige Explosion hat auch große Hilfsbereitschaft ausgelöst. Mehr als 43.000 Follower abonnierten im Verlauf der Nacht auf Mittwoch einen Instagram-Account, der bei der Suche nach Menschen helfen soll, die verschwunden sind.

Verwandte und Freunde senden dort Fotos ihrer Liebsten ein und bitten um Informationen. Meist sind Telefonnummern hinterlegt. "Ich erhalte 100 Nachrichten pro Minute. Bitte habt Geduld mit mir, während ich durch alle Nachrichten navigiere", hieß es in einer Nachricht an die Follower.

Nach der Detonation gestern wird noch immer vor allem in der Nähe des Hafens nach Opfern gesucht. Rund 100 Menschen werden nach Angaben des Zivilschutzes vermisst.

Neben den Suchanfragen nach Vermissten gingen auch viele Übernachtungsangebote ein: "Kontaktiere mich, wenn du einen Platz zum Schlafen brauchst", hieß es. Oder: "Unser Zuhause ist dein Zuhause". Auch boten Nutzer Fahrten in die umliegenden Krankenhäuser an.