Expertenkabinett:
Chance oder Belastung?

Können Experten sogar besser regieren als Politiker - oder ist es eine "schwere Belastung des Systems"?

Nach der Ibiza-Affäre, dem Rücktritt von Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz' Ausruf von Neuwahlen, wird ein Expertenkabinett die vakant gewordenen Posten der FPÖ-Minister übernehmen. Wird dem Misstrauensantrag gegen Kurz nächste Woche zugestimmt, steht eine gänzliche Regierung aus Experten bevor. Doch was bringt so ein Expertenkabinett? Ist es eine Chance, Reformen anzustoßen oder doch eher eine Systembelastung?

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Ansichten - Expertenkabinett:
Chance oder Belastung?

Der emeritierte Staats- und Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht ein etwaiges Expertenkabinett infolge eines erfolgreichen Misstrauensvotum gegen die amtierende Bundesregierung zwar nicht als Krise des System: "Aber es ist eine schwere Belastung des Systems."

»Der beste Fall wäre dann wohl eine Art Stillstand«

So stelle sich die Frage, was geschehe, wenn ein Expertenkabinett sich etwa damit konfrontiert sehe, dass der Verfassungsgerichtshof Teile der Reform der Sozialversicherung kippe. "Kann das Expertenkabinett die kreative Kraft aufbringen, um solche großen Vorhaben über die Bühne zu bringen?", so Funk gegenüber der APA: "Der beste Fall wäre dann wohl eine Art Stillstand."

"Vielleicht sogar besser"

Stattdessen könne eine Expertenregierung eine andere Form der Krise des Systems bewirken, so Funk mit Augenzwinkern: "Nach meiner persönlichen Einschätzung ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine Expertenregierung beweist, dass sie es mindestens gleich gut, wenn nicht sogar besser kann als die Politiker - mit aller Vorsicht gesprochen."

An sich sei eine Expertenregierung also kein Übel. Das hänge vom politischen Minimalkonsens derjenigen ab, die für eine Beschaffung der Mehrheit in Betracht kämen - was im Wesentlichen also auf die Abgeordneten der ÖVP und SPÖ zutreffe. "Ich vermute, dass der Bundespräsident schon mit den Beteiligten spricht."

Misstrauensvotum gegen wen?

Die Grundfrage der kommenden Woche sei, ob ein Misstrauensvotum nur gegen den Kanzler oder gegen die gesamte Bundesregierung gerichtet sei. Im ersteren Fall gelte, dass der Bundespräsident eine Person bestimmen müsse, die eine große Chance auf eine mehrheitsfähige Regierung habe. "Im zweiten Fall wäre es im Prinzip das Gleiche, aber dann wäre die gesamte Regierung betroffen, und der Bundespräsident müsste eine Übergangsregierung einsetzen." In diesem Falle käme Artikel 71 der Bundesverfassung zum Tragen.

"Nach einer Auffassung, die ich teile, ist der Bundespräsident, wenn die gesamte, einstweilige Bundesregierung zu bestellen ist, an keinen Vorschlag gebunden." Er könne diese also als Ganzes einsetzen. Eine zeitliche Vorgabe bestehe für das Staatsoberhaupt bei der Suche nicht: "Es gibt für den Bundespräsidenten keine Frist." Er müsse aber zeitnah und ereignisnah nach seinen Möglichkeiten dazu beitragen, eine mehrheitsgestützte Bundesregierung zustande zu bringen. Sollte dies nicht unmittelbar gelingen, trete ein anderer Umstand ein.

Pool an Experten

"In diesem Fall müsste der Bundespräsident sogleich eine einstweilige Bundesregierung bestellen", so Funk. Dabei könne er auf einen Pool aus leitenden Beamten der betreffenden Bundesministerien zurückgreifen: "Das kann er sich nicht frei aussuchen, das wäre dann eine echte Beamtenregierung." Für den Kanzlerposten sei entweder auch ein leitender Beamter oder ein Mitglied aus der Riege der Staatssekretäre denkbar: "Unter den gegebenen Umständen käme da von den Staatssekretären eigentlich nur Frau Karoline Edtstadler (ÖVP, Anm.) infrage." Aber auch diese Beamtenregierung könne natürlich durch ein Misstrauensvotum hinweggefegt werden: "Und dann taucht am Horizont die 'Staatskrise' auf."

Keine Gefahr der teuren Wahlzuckerl

Die Gefahr, dass im Zuge der freien Mehrheitsbildung das Parlament wieder teure Wahlzuckerl verteile, sieht Funk indes weniger gegeben. "So wie die Dinge momentan stehen, kann ich mir nicht vorstellen, dass größere Wahlzuckerl realistisch sind. Man muss schon froh sein, wenn der Betrieb des Staates und der Verfassung einigermaßen über die Bühne geht."

Müllner: Chance, Reformen anzustoßen

Der Wiener Politikwissenschafter Wolfgang Müller hingegen gibt einer Expertenregierung durchaus Chancen, die nach der Ibiza-Affäre geforderten politischen Reformen anzustoßen. "Eine Expertenregierung kann vor allem Druck auf die Parteien aufbauen, dass sie sinnvollen Reformen zustimmen", sagte Müller am Dienstag im APA-Interview mit Blick etwa auf die Parteienfinanzierung.

»Die Regierung Ciampi war eine der besten Regierungen, die Italien je hatte«

Der Universitätsprofessor nannte das Beispiel Italien, das zahlreiche Erfahrungen mit Expertenkabinetten hat. "Die Regierung Ciampi war eine der besten Regierungen, die Italien je hatte", verwies er auf den späteren Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi, der von April 1993 bis Mai 1994 italienischer Premier war. "Es waren Regierungen, die im Parlament eine Unterstützung hatten, aber keine wahlpolitischen Überlegungen hatten", charakterisierte Müller, der sich seit den 1980er-Jahren intensiv mit europäischen Regierungskonstellationen befasst.

Keine Tradition in Österreich

In Österreich hätten Expertenregierungen bisher überhaupt keine Tradition, erläuterte Müller. Lediglich in der ersten Republik habe es im Jahr 1922 eine Beamtenregierung unter dem christlichsozialen Beamten Walter Breisky gegeben, der aber nur einen Tag im Amt gewesen sei. Der Grund dafür sei der "Primat der Parteipolitik" in Österreich. Bisher hätten sich die Parteien nämlich noch immer auf die Besetzung der Regierung einigen können.

Parteien können sich eher auf Experten als auf Konkurrenten verständigen

Nun sei es aber möglich, dass sich die Parteien eher auf eine Expertenregierung verständigen können als auf eine Parteienregierung "ihres Konkurrenten", verwies Müller auf den um sein Amt kämpfenden Bundeskanzler. Schließlich gehe es angesichts der bevorstehenden Nationalratswahlen um den "Kanzlerbonus", aber auch um die Möglichkeit zur Nutzung des "Staatsapparats" im Vorfeld der Wahlen.

Andererseits könnte eine Expertenregierung auch unangenehm für die Parteien werden. Mit Blick auf strengere Regelungen bei den Parteifinanzen meinte Müller, er könne sich vorstellen, "dass keine der größeren Parteien ein Interesse daran hat". "Hier könnte man noch viel machen." Zwar habe es durch die im Jahr 2012 beschlossene Reform "wesentliche Verbesserungen" gegeben, "aber von einem sehr schlechten Ausgangsmaterial".