Eveline Hall:
Model-Mama mit 72

Tänzerin, Schauspielerin und Model Eveline Hall nimmt die Beautys von "Austria's Next Topmodel" als Host der TV-Show unter ihre Fittiche. Mit Know-how und Empathie

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ANTM - Eveline Hall:
Model-Mama mit 72

Geht es nach den Pressefotos des Formats "Austria's Next Topmodel", wirkt die Dame mit dem Silberschopf wie die magere Version von Cruella de Vil aus "101 Dalmatiner". Ohne Dalmatiner. Dafür mit Herz. Das norddeutsche Multitalent Eveline Hall, aktuell als Moderatorin der achten Staffel der Castingshow aktiv, tritt differenzierter auf als Heidi Klum, die toughe Gastgeberin des deutschen Pendants. "Ich bin nicht knallhart. Die jungen Menschen gehen mit einem offenen Herzen an die Sache. Die gehören aufgebaut, nicht niedergemacht." Es gebe keinen Grund, die jungen Menschen mit Kritik zu überhäufen. Sind ja schließlich keine Profis. "Wenn mit mir jemand als Topmodel auf dem Catwalk ist, dann kann ich kritisieren", hält die 72-jährige Elfe, am stillen Wasser nippend, fest. "Aber ich möchte den jungen Menschen mit Liebe, Empathie und Erfahrung den Weg weisen. Das ist meine Message." Selbstkritisch, aber schmunzelnd klärt das Model weiter auf: "Wenn man manche Fotos von mir sieht, denkt man vielleicht:,Wo hat sie denn die Peitsche?' Aber ich bin hier nicht das Biest mit dem Vorschlaghammer, sondern eine Frau mit Verständnis."

Mama macht das schon

"Guten Morgen, meine lieben Kinder", so begrüßte Neo-Mutter Hall die 14 Casting-Kandidaten zum ersten Shooting. Die Frau ohne Alter ist gern motivierende Mentorin für ihre Model-Küken. So wie sie es selbst von ihren Eltern erfahren hat. Mit acht Jahren verdiente Eveline ihr erstes Geld als Ballerina, später tanzte sie als Solistin an der Hamburger Staatsoper. Da gab es nicht nur Applaus, sondern auch Drill. Durch die Unsicherheiten trugen sie ihre Eltern. "Von meiner Mama habe ich die größte Liebe und Mütterlichkeit empfangen. Ich habe sicher die beste Mutter der Welt. Besser geht es nicht." Glaubt man ihr aufs Wort, wohnen die beiden doch in bewährter "Golden Girls"-Manier wie die TV-Charaktere Sophia und Dorothy unter einem Dach. In Eintracht. Auch die Mama, aktuell rüstige 96, war Tänzerin. Erst gestern habe ihre Mutter sie - nach einem Tag, der Eveline nicht das gegeben hat, was sie wollte - via Telefon perfekt motiviert. Der Vater, ein Schauspieler, verstand sein Handwerk ebenfalls als Unterstützer seines Töchterleins und war bei jedem Theaterstück dabei, als Eveline später ins Schauspielfach wechselte.

»Ich bin nicht das Biest mit dem Vorschlaghammer«

Selbst die nächste Hürde in Halls alles andere als linearem Leben nahmen ihre Oldies gelassen: Von den Theaterbühnen ging es ins Nachtleben von Las Vegas. "Sexy und knuddelig", wie sich Hall, damals mit ein paar Kilos mehr auf den Rippen, beschreibt, traf sie auf Showgrößen wie Elvis Presley, Sammy Davis Jr. oder Frank Sinatra. Spontan erinnert sie sich, wie Davis Jr. erzählte, doppelt so hart arbeiten zu müssen wie andere - weil er Afroamerikaner war. Die Stars waren "eine große Familie", das Dasein als Tänzerin aber Halls härtester Job. "Mein Vater meinte, diesen Sprung soll ich machen - von der Ballettsolistin zum Showgirl. Er sagte immer: 'Det kriegen wir hin!' Das ist viel besser, als nachher zu sagen: 'Das hättste mal machen sollen!'"

Star mit silbergrauem Haar

So wie Hall ihren eigenen Kopf hat und ihre Individualität wahlweise mit auffälligem Nagellack, knallengen Outfits oder extravaganten Accessoires unterstreicht, lautet auch die Hausaufgabe der Jungmodels: Be a brand - sei eine Marke. Eveline Halls langes Salt-and-Pepper-Haar wurde zum Markenzeichen. Das gilt es auch für die Jungspunde des Model-Biz zu finden: Lukas, der coole Checker - will so "real" (bitte englisch ausgesprochen, weil cool!) sein wie möglich. Quasseltante Allegra besitzt curly Achselhair, please don't care. Blaue-Augen-Adonis Max feiert seine Gelassenheit. Julia spielt oder ist das schüchterne Mädchen von nebenan, so genau weiß man das in Folge zwei noch nicht.

Nur keine Hektik am Selbstfindungstrip! Wenn du jung bist, erntest du mehr Nachsicht, ist Hall überzeugt. "In meinem Alter gibt es keine zweite Chance. Wenn ich mich hier vergaloppiere, wird mir der Kopf abgeschlagen", lacht die Künstlerin. "Die Branche ist hart. In den Berufen, die ich habe, wird sehr darauf geachtet, dass du etwas kannst." Dass sie bei Weitem selbstkritischer ist als kritisch, tut das Übrige. Mit dem Phänomen, dass Talent heute häufig nicht gefragt ist, kann sich die Perfektionistin nicht anfreunden. "Heute sind die B-Promis oben. Es ist normal geworden, dass man fürs Nichtskönnen in der Öffentlichkeit steht." Was Hall den Blutdruck unangenehm in die Höhe treibt, ist der inflationäre Gebrauch des Begriffs "Topmodel", denn: "Die Definition von Topmodel ist, wenn Menschen mit Topleuten gearbeitet haben."

»Es ist normal geworden, dass man fürs Nichtskönnen in der Öffentlichkeit steht«

Die fragile Schöne ist für Starfotografen wie Patrick Demarchelier, Peter Lindbergh und Ellen von Unwerth vor der Kamera gestanden und würde Folgendes gern in Stein meißeln: "Wenn man nicht mit den größten Fotografen der Branche gearbeitet hat, ist man kein Topmodel. So einfach." Um im Showbiz zu überleben, brauche man viel Disziplin, so die weise Wilde. Der Genuss muss dabei nicht auf der Strecke bleiben. "Am Vormittag mache ich mein Workout, am Abend genieße ich das Leben", erklärt Hall ihren simplen Rhythmus. Sie konzentriert sich auf den Moment und das Gefühl von Zufriedenheit. "Mein Reichtum ist, dass ich mit jedem Alter glücklich war. Eins kann ich sagen: Ich hab alles mitgemacht. Einen schönen Bogen gespannt."

Jünger soll er sein

Bleibt die Frage, welcher Mann nach vergangenen großen Lieben zu ihrem Leben passen würde? "Erstmal muss er jünger sein als ich. Er muss meine Art zu denken haben. Er muss Humor haben. Er muss kein Geld haben. Das hab ich selbst", bringt es Eveline Hall auf den Punkt. "Aber das ist gar nicht leicht zu finden."

Bis besagter Herr auftaucht, inspiriert sie weiter den Nachwuchs. "Ich sehe die jungen Models als meine Kinder. Sie schauen mich mit blitzenden, wartenden Augen an. Ich bin das Model, das ihnen zeigen kann, wie sie sich präsentieren können, und ich bin die, die ihnen Kraft gibt. Das ist eine Melange, die sie sonst nicht so schnell finden."

Es folgt ein sonorer Lacher: "Dieses Quäntchen meiner Erfahrung muss ich ausspielen, denn nur alt zu sein, reicht ja nicht." Stichwort alt - ein Wort für Ruheständler: "Heute gibt es kein 'Wie alt bist du?' Sondern ein 'Wie alt wirkst du, und wie alt fühlst du dich?'. Es müssen ja nicht alle so aussehen wie ich, aber Freude an sich haben und alles machen."

Individualität zählt

Der Auftakt für Eveline Halls Modelkarriere fiel mit 65, als sie für Michael Michalsky in Berlin über den Catwalk schritt. Seither wurde sie von Größen wie Peter Lindbergh, Patrick Demarchelier und Ellen von Unwerth fotografiert. Nun gibt sie ihr Wissen in der "ANTM"-Staffel mit dem Motto "Be a brand" weiter. Jeden Donnerstag um 20:15 Uhr bei ATV.