Betroffene fühlen sich
von Regierung "verarscht"

Interessensvertreter: Gesetz soll nun doch in Kraft treten, aber ohne Finanzierung

"Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes verarscht." Mit diesen deftigen Worten haben Behindertenvertreter bei einer Pressekonferenz am Montag auf die Pläne der Regierung zum Erwachsenenschutzgesetz reagiert.

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Erwachsenenschutz - Betroffene fühlen sich
von Regierung "verarscht"

Der neuestes Stand der Dinge ist nämlich, dass das Gesetz nicht verschoben wird, sondern wie geplant in Kraft tritt, allerdings ohne die für die Umsetzung benötigte Finanzierung.

»Es nützt uns das beste Gesetz nichts, wenn es nicht umsetzbar ist«

Nach Einschätzung der Betroffene ist das die schlimmste Variante von allen. "Es nützt uns das beste Gesetz nichts, wenn es nicht umsetzbar ist", sagte Behindertenrats-Präsident Herbert Pichler. "Ohne Geld ka Musi. Ohne finanzielle Mittel könne das Gesetz nicht umgesetzt werden", betonte er. Es nütze nichts, wenn das Gesetz in Kraft tritt, es müsse auch "mit Leben erfüllt" werden.

"Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes verarscht", zeigte sich Martin Ladstätter vom Verein "Selbstbestimmt Leben" empört. Wenn das Gesetz wie von der Regierung geplant ohne Finanzierung in Kraft trete, mache sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) "zum Totengräber des Erwachsenenschutzgesetzes". Für die Betroffenen sei es völlig unverständlich, dass Kurz für hilfsbedürftige Menschen keine 17 Mio. Euro zur Verfügung stelle, aber für Großindustrielle über die Körperschaftssteuer ein Steuergeschenk von 1.500 Mio. Euro plane. Die 17 Mio. Euro, die für das Erwachsenenschutzgesetz benötigt werden, "werden die Republik nicht arm machen", so Ladstätter.

»Nicht nur das Wetter, die Politik wird vielleicht auch kälter«

"Nicht nur das Wetter, die Politik wird vielleicht auch kälter", zeigte sich auch Behindertenanwalt Hansjörg Hofer von der Regierung enttäuscht. Ein Inkrafttreten ohne finanzielle Absicherung "ist das schlimmste, was passieren kann", so Hofer.

Ähnlich sah das auch Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter. Die Regierung könnte stolz sein, wenn dieses gute Gesetz in ihrer Legislaturperiode in Kraft tritt. "Es ist widersinnig ein Gesetz in Kraft treten zu lassen, dafür aber das Geld nicht bereitzustellen. Damit ist das Gesetz nur teilwirksam und damit gar nicht wirksam. 17 Mio. Euro sind zwei Promille des gesamten Budgets." Wenn es sein müsse, sollten sie durch Verschuldung bereitgestellt werden. "Das würde keinen Staatsnotstand auslösen, aber Verbesserung für 60.000 Menschen bringen", so Brandstätter.

Der Geschäftsführer des Vereins "Vertretungsnetz", Peter Schlaffer, sprach von einem "worst-case -Szenario" für die Vereine, die sich um Sachwalterschaften kümmern. Wenn das Gesetz ohne Finanzierung in Kraft trete, stelle das die Vereine vor einer unlösbaren Aufgabe. Denn sie hätte mit den neuen Bestimmungen eine Fülle von Aufgaben, die sie ohne zusätzliches Personal schlicht nicht bewältigen können. "Es gibt keine Lösung ohne die entsprechende Mittel", stellte er unmissverständlich klar.

Finanzierung laut Justizressort noch zu klären

Die Regierung peilt beim neuen Erwachsenenschutzgesetz - wie ursprünglich geplant - den 1. Juli als Startdatum an. Entsprechende Aussagen von Behindertenvertretern am Montag wurden im Justizministerium auf Anfrage der APA bestätigt. Zutreffend ist auch die Kritik, dass die Finanzierung noch offen sei: "Die Finanzierung muss nach wie vor geklärt werden", sagte eine Sprecherin von Justizminister Josef Moser (ÖVP).

Darüber hinaus wollte man weder im Justiz- noch im Finanzministerium von Ressortchef Hartwig Löger (ÖVP) nähere Auskünfte erteilen und verwies auf die bereits getroffenen Aussagen in der vergangenen Woche. Letzten Donnerstag hatte es seitens des Finanzministeriums geheißen, dass es keine zusätzlichen Mittel geben könne und das Justizministerium durch Umschichtungen in seinem Budget seine Aufgaben zu gewährleisten habe. Aus dem Justizministerium hieß es wiederum, dass die Finanzierung des Erwachsenenschutzgesetzes Teil der Budgetverhandlungen sei. Gleichzeitig betone damals Justizminister Josef Moser, die gesamte Regierung sei dafür, "dass das Gesetz rechtzeitig in Kraft tritt."Auch Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) hatte am vergangenen Dienstag bekannt gegeben, dass das Gesetz wie geplant kommen werde.

Moser, dessen Ressort für die Ersatzregelung für das Sachwalterrecht zuständig ist, hatte nach dem letzten Ministerrat am Dienstag erklärt, er stehe hundertprozentig zu dem Gesetz, es koste aber 17 Mio. Euro pro Jahr, und wenn es tatsächlich mit 1. Juli 2018 in Kraft treten solle, brauche er die entsprechende Bedeckung durch den Finanzminister. Bereits zuvor hatten betroffene Organisationen berichtet, sie seien von der Regierung über die Verschiebung des Gesetzes informiert worden. Vergangenen Montag war durchgesickert, dass der Start des Projekts aus Geldmangel um zwei Jahre verschoben werden soll, was nun offenbar revidiert wurde.

Laut APA-Informationen war zwischen dem früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), unter dem das Gesetz entstand ist, und dem damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) vereinbart, dass die Maßnahmen, die im Gesetz vorgesehen sind, über die Rücklagen des Justizressorts finanziert werden. Der APA liegt die entsprechende Vereinbarung vom Juni 2017 schriftlich vor. Diese Vereinbarung ist eigentlich noch immer gültig. Demnach könnte Moser jederzeit auf diese Mittel zurückgreifen.

ÖVP-Seniorenbundchefin Ingrid Korosec erklärte unterdessen am Montag gegenübwer der APA, dass das Gesetz per 1. Juli in Kraft treten wird. Zur Finanzierung traf die ÖVP-Politikerin keine Aussage.

Gesetz wurde im Vorjahr von allen Parteien beschlossen

Das Gesetz, das im Vorjahr von allen Parteien im Parlament einstimmig beschlossen wurde, sollte das 30 Jahre alte Sachwalterrecht ablösen. Damit sollte die Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung nicht mehr pauschal eingeschränkt werden. Es sind abgestuft Formen der Vertretung vorgesehen, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Mensch Unterstützung benötigt.

Verwundert über die Diskussion zeigte sich am Montag FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan. Er habe bis jetzt keine Information diesbezüglich. Es sei ihm klar, dass das Vorhaben einen hohen finanziellen Aufwand bedeute, hoffe aber, dass das Gesetz wie geplant kommt: "Ich wäre sehr enttäuscht, wenn das nicht käme", sagte er.

Empört auf die Diskussion reagierte NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. "Es ist nicht einzusehen, dass hier am Rücken der Schwächsten Einsparungen gemacht werden, die nicht einmal annähernd budgetrelevant sind", erklärte er per OTS-Aussendung. "Wenn das Justizministerium das Budget nicht hat, dann erwarte ich vom Finanzminister, dass hier eine andere Möglichkeit gefunden wird." Dies sei "eine Frage der Prioritätensetzung und letztendlich auch des Anstandes".

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