Österreichs zunehmende
Feindschaft mit Serbien

Nach dem Putsch 1903 wurde die Lage auf dem Balkan zunehmend ungemütlich

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Erster Weltkrieg - Österreichs zunehmende
Feindschaft mit Serbien

In Serbien wurde 1903 durch einen Offiziersputsch die österreich-freundliche Dynastie Obrenovic gestürzt. Mit der Dynastie Karadjordjevic kam auch die nationalistische Radikale Partei von Nikola Pasic an die Macht. Die Königsmörder besetzten hohe militärische Posten und verfolgten eine panserbische Politik, die sich zunehmend auf alle von Südslawen bewohnte Teile der Donaumonarchie richtete. Damit wurde die Balkanpolitik endgültig zu einer existenziellen Angelegenheit für Wien.

Zerwürfnis zwischen Kaiser und Thronfolger

Im Lichte dieser Entwicklungen verfolgte Wien unter Außenminister Alois Lexa Graf Aehrenthal und Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf ab 1906 eine aktivere Balkanpolitik. Thronfolger Franz Ferdinand förderte diese Bemühungen, die auch durch tief greifende Reformen flankiert werden sollten. Ihm schwebten eine stärkere Zentralisierung der Monarchie, ein neues Drei-Kaiser-Bündnis nach Vorbild der Heiligen Allianz von 1815 sowie eine Expansion im Mittelmeer vor. Kaiser Franz Joseph wollte von diesen Plänen jedoch nichts wissen und versuchte seinen Neffen von Außen- und Innenpolitik fernzuhalten.

Unterdessen verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Wien und Belgrad zunehmend. Als Reaktion auf die antiösterreichische Politik Serbiens führte Wien hohe Zollschranken für Viehimporte ein. Der "Schweinekrieg" führte jedoch dazu, dass sich Serbien neue Absatzmärkte eroberte und Industrieartikel nicht mehr aus Österreich-Ungarn bezog. Die Donaumonarchie hatte damit ihre wirtschaftliche Stellung in Serbien selbst untergraben.

Auch Generalstabschef Conrad hielt nichts vom "Schweinekrieg"; er arbeitete vielmehr an Plänen für Präventivkriege gegen Serbien und Italien. Der neue Außenminister Aerenthal wollte indes Serbien durch außenpolitische Aktivitäten monarchiefreundlicher machen. Eine militärische Lösung solle es nur im Einvernehmen mit Rumänien und Bulgarien geben.

Bosnien schon lange im Fokus

Zunächst einmal aber sollte Bosnien-Herzegowina der Monarchie einverleibt werden. Der Anschluss der beiden osmanischen Provinzen war schon seit 1878 ein Fernziel Wiens gewesen. Im Jahr 1908 wurde es umgesetzt, um möglichen Ansprüchen der neuen nationalistischen Regierung in Konstantinopel in Folge der Jungtürkischen Revolution vorzubeugen. Der Anschluss wurde am 6. Oktober proklamiert, wobei die beiden Provinzen vom gesamtstaatlichen Finanzministerium verwaltet wurden.

Der Schritt war ein diplomatisches Fiasko für Wien. Dieses hatte zwar versucht, die Duldung Russlands für die Annexion zu erlangen, doch konnte es das dafür abgegebene Versprechen, sich für einen russischen Zugang zu den Meerengen am Schwarzen Meer einzusetzen, nicht einlösen. Während man in Belgrad tobte und alle europäischen Mächte Widerspruch einlegten, hatte Österreich-Ungarn nur Berlin auf seiner Seite. Die späteren Bündnisstrukturen im Ersten Weltkrieg hatten schon deutlich Gestalt angenommen, zumal Frankreich, Russland und Großbritannien seit 1907 auch formell in einer "Triple Entente" zusammengeschlossen waren.

Europa bereits 1909 am Rand des Krieges

Die Annexionskrise brachte Europa Anfang 1909 an den Rand des Krieges. Conrad traf bereits Vorbereitungen für eine Mobilisierung von Österreichs Streitkräften, die dann am 29. März 1909 beschlossen wurde. Es kam nicht zum Krieg, weil Serbien in letzter Minute nachgab und Russland vor einem Konflikt gegen die beiden Mittelmächte zurückschreckte. Das Verhältnis zwischen Wien und Belgrad war aber schlechter denn je, in Serbien verlegte man sich nun auf subversive Tätigkeit gegen die Monarchie.

Die Annexion Bosnien-Herzegowinas führte nicht zur Schaffung einer für Österreich vorteilhaften Ordnung auf dem Balkan. Durch das Bündnis mit Berlin geriet Wiens Balkanpolitik zudem immer mehr in den Strudel des deutsch-britischen Antagonismus.

Während Conrad sich mit seinen Forderungen nach einem Präventivkrieg weiter nicht durchsetzen konnte und im Jahr 1911 sogar abgelöst wurde, konnte Serbien seinen Einfluss immer mehr ausdehnen. Im Ersten Balkankrieg, der im Oktober 1912 ausbrach, vertrieb ein russisch gefördertes Bündnis aus Serbien, Montenegro, Bulgarien und Griechenland das Osmanische Reiche von der Balkan-Halbinsel.

Blockade des serbischen Meer-Zugangs

Nachdem Serbien die Größe seines Staatsgebietes verdoppelt hatte, gewannen in Wien die Falken die Oberhand. Conrad wurde im Dezember 1912 wieder Generalstabschef und ließ Kräfte an der serbischen Grenze zusammenziehen. Wien war entschlossen, den Zugang Serbiens zur Adria zu blockieren, auch um den Preis eines Krieges mit Russland. Dieses stimmte der Fernhaltung Serbiens vom Meer und der Gründung eines albanischen Staates zu. Anfang Februar 1913 lebten die Kämpfe wieder auf, die Stadt Skutari (Skhoder) wurde zum Zankapfel der Großmächte. Wien konnte sich letztlich mit seinem Beharren auf einer Zugehörigkeit der Stadt zu Albanien durchsetzen.

Der Londoner Frieden vom Mai 1913 sprach dem Balkanbündnis die europäischen Besitzungen des Osmanischen Reiches bis auf einen kleinen Rest zu. Die Bündnisstaaten zerstritten sich aber über die Aufteilung der Beute, was im Juni 1913 zur Auflösung des Bündnisses führte. Serbien forderte einen Teil der bulgarisch besetzten Gebiete, Wien ermutigte Sofia zur Ablehnung dieses Verlangens. Gegenüber Rumänien solle sich Bulgarien hingegen mäßigen.

Ungünstige Entwicklung nahm ihren Lauf

Im Vertrauen auf Wiener Unterstützung griff Bulgarien Serbien und Griechenland an, womit der Zweite Balkankrieg begann, in den auch Rumänien und das Osmanische Reich eintraten. Wegen der Ablehnung Berlins griff Wien nicht in den Krieg ein und musste die bulgarischen Niederlagen tatenlos zur Kenntnis nehmen. Somit hatten sich die Gewichte auf dem Balkan noch einmal zu Ungunsten Wiens verschoben. Auch wurde deutlich, dass sich der Schwerpunkt der Balkanpolitik nach Berlin verlagert hatte.

Durch die Balkankriege 1912/13 waren Österreich-Ungarn kraftvolle, national gesinnte und militaristische Staaten als Gegner erwachsen, von denen Serbien und Rumänien auch Aspirationen auf ihre Ethnien innerhalb der Monarchie hatten. Das von Österreich und Italien gestützte Albanien wiederum wurde von Serbien und Griechenland bedroht. Als Gegengewicht wurde Bulgarien angesehen.

Ungarn blieb zurückhaltender

Auch die Wirtschaft drängte auf eine definitive politische Klärung auf dem Balkan, um zu verhindern, dass Österreich auf den wichtigen Absatzmärkten in der Region weiter ins Hintertreffen geriete. Somit erhielten die Befürworter einer militärischen Lösung weiter Auftrieb. Die einheitliche Beurteilung der Lage lautete, dass eine Wende in der Innen- und Außenpolitik Serbiens erzwungen werden müsse, nötigenfalls durch Krieg oder eine Kriegsdrohung. In Budapest stand man einer Annexion Serbiens immer noch reserviert gegenüber, weil man nicht weitere slawische Massen in die Monarchie aufnehmen und die Ablösung des Dualismus durch einen Trialismus riskieren wollte.

Unterdessen brodelten die Konflikte in der Region weiter. So erhielt Serbien im September 1913 eine Ermahnung der Teilnehmer der Londoner Konferenz, weil es zu Unrecht albanische Gebiete besetzt habe. Wien warnte damals vor "ernsten Konsequenzen", wenn sich Belgrad nicht an die Londoner Entscheidungen halte. Nachdem Serbien und Montenegro Truppen für eine Aktion gegen Albanien zusammengezogen hatten, stellte Wien am 18. Oktober ein Ultimatum. Belgrad lenkte am 20. Oktober ein. In Wien herrschte daraufhin allgemeine Befriedigung über den diplomatischen Erfolg und die scheinbare Festigung der Autorität auf dem Balkan.

Die Abrechnung mit Serbien war jedoch nur aufgeschoben. Über die Notwendigkeit, mit Serbien abzurechnen, waren sich bei einem Treffen auf Schloss Konopischt in Böhmen auch Wilhelm II. und Franz Ferdinand einig. Nach dem Gespräch am 13. und 14. Juni 1914 wurde im Wiener Außenministerium ein Memorandum mit einer Erklärung der neuen Balkanpolitik Wiens ausgearbeitet. Ihr Inhalt: Die Unterstützung Bulgariens als Gegengewicht zu Rumänien. Doch noch vor dem Absenden des Memorandums nach Berlin fielen am 28. Juni die Schüsse von Sarajevo.

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