Hendrik Haase: "Mach' den
Metzger zu deinem Freund"

Der Berliner Food-Aktivist Hendrik Hasse beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Thema Ernährung. Im Gespräch mit News erklärt er, wie man sich als Verbraucher vor den Tricks der Lebensmittelindustrie schützen kann, welche Zukunftstrends es beim Thema Essen gibt und warum die Beziehung zum Metzger genauso wichtig sein sollte, wie die zu unseren Ärzten.

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Metzger zu deinem Freund" © Bild: Hendrik Haase

Sie werden als Food-Aktivist bezeichnet, was genau ist das?
Hendrik Haase: (lacht) Ich nenne mich zwar selbst nicht so, aber ich glaube es ist ein Versuch zu beschreiben was ich mache.

Und was machen Sie?
Ich rede und schreibe über Essen. Ich beobachte Trends und analysiere generationsübergreifende Gefühle, die im Bereich Ernährung stattfinden. Ich bin Start-up Gründer und engagierte mich politisch. Ich versuche zum Beispiel im deutschen Bundestag die Landwirtschaftsministerin wachzurütteln, dass in der Lebensmittelbranche dringend etwas passieren muss.

Eigentlich müsste man meinen, wir wissen alles über Essen. Zucker ist böse. Lebensmittel sollen regional, saisonal und am besten Bio sein. Was ist noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen?
Die Verbindung zum Ursprung fehlt. Die wenigsten wissen, wo die Lebensmittel genau herkommen, die sie konsumieren. Wir sind sehr weit weg von einem natürlichen Zugang zu den Mittel, die uns am Leben erhalten.

»Uns fehlt die Verbindung zum Ursprung «

Wie lange gibt es diese Entzweiung von "Ursprung und Tisch" schon?
Sie hat in den letzten Jahrzehnten stattgefunden. Für die ältere Generation mag das verwunderlich klingen, sie hat noch Erinnerungen an den Hof, wo die Hühner frei herumgelaufen sind oder an den Onkel der Schinken gemacht hat. Die junge Generation kennt das gar nicht mehr. Sie lebt in einer Welt, in der sie sehr weit weg sind von den Ursprüngen.

Gibt es noch etwas was uns heutzutage fehlt?
Das Gesamtverständnis fehlt den meisten. Es geht nicht nur darum zu wissen, wie viele Kohlenhydrate und Zucker ich essen darf, um gesund zu leben. Sondern vor allen um das Wissen, dass die Nahrungsmittel irgendwo herkommen und erzeugt werden müssen. Die Dimensionen, die dahinterstecken werden uns aber langsam bewusst.

© photonews.at/Georges Schneider Hendrik Haase bei seinem Vortrag beim 11. qualityaustria Lebensmittelforum in Wien

Wie sollte man mit dem neuen Bewusstsein am besten umgehen?
Auf keinen Fall in Panik verfallen und nur das Schlechte sehen. Statt irgendwelchen Gurus nachzulaufen, sollte man das Thema Essen mit Faszination und Gelassenheit annehmen. Schließlich geht es um Genuss.

Die Millennials, also die zwischen 1982 und 2002 Geborenen, interessiert sich mehr fürs Kochen, für Zutaten und Essen gehen als alle Generationen vor ihnen. Warum?
Das hat verschiedene Gründe. Ich versuche es Anhand eines Beispiel zu erklären. Ein Brot zu backen mit Mehl, Salz und Wasser hat etwas sehr authentisches. Es ist auch haptisch, was ein krasser Gegensatz zur ganzen digitalen Welt ist. Solche "echten" Erlebnisse sind sehr selten geworden in unserer technologisierten Welt. Über das Essen kann man noch eine gewisse Selbstbestimmung ausüben. Es ist eben mehr als nur Nahrungsaufnahme. Im Essen stecken auch Themen wie Klimawandel, Politik, Identität, Heimat und Gesundheit. Einfach alles was uns bewegt.

»Es gibt ganz wenige intime Beziehungen zur Umwelt. Das sind eigentlich nur Sex und Essen.«

Das gesteigerte Interesse am Essen ist also positiv?
Ja, total. Auch wenn es manche Menschen - gerade in älteren Generationen - vielleicht aufregt, dass so viel über das Essen gesprochen wird. Aber was gibt es schon wichtigeres als Essen? Es gibt ganz wenige so intime Beziehungen zur Umwelt. Das sind eigentlich nur Sex und Essen. Wann tue ich sonst etwas in meinen Körper? Und am Ende wird das was ich in mich reinstecke eine Zelle von mir. Ich finde es ist wert, sich damit zu beschäftigen.

Wie stehen sie zu Superfoods und anderen Ernährungstrends?
Ich finde man sollte nicht jedem Trend hinterher rennen. Mir geht es eher darum sich die Grundmotivation anzusehen. Warum entsteht überhaupt ein Trend? Zum Beispiel beim Craft Beer. Junge Leute fangen plötzlich wieder an zu brauen. Hier ist eigentlich nicht das Craft Beer an sich der riesen Trend. Sondern das Phänomen, dass Leute anfangen in der Garage ein Bier zu brauen, das sich deutlich von den Produkten der Brauindustrie abhebt Plötzlich gibt es wieder eine Vielfalt. Die Industrie hat den Kunden vergessen und wenig Innovationen geleistet. Dann ist es eigentlich toll, dass plötzlich eine kleine Revolution stattfindet.

In Österreich schaut es in den klassischen Haushalten immer noch so aus: Die Mutter steht sieben Tage der Woche in der Küche und der Samstagvormittag ist für den Großeinkauf im Supermarkt reserviert. Wie könnte das Zukunftsszenario der „Essensbeschaffung“ aussehen?
Die Supermärkte, wie wir sie heute haben, werden schon in wenigen Jahren nicht mehr existieren. Warum brauchen wir noch Hallen, wo einfach tausende Produkte plaziert werden, egal ob man sie kauft oder nicht. Wo wir schon beim Punkt der Lebensmittelverschwendung wären. Während sich Mobilität und Kommunikation so grundlegend verändert haben, fährt man in der Lebensmittelbranche immer noch mit diesem Metallwagen durch das Geschäft...

»Die Supermärkte, wie wir sie heute kennen, werden bald nicht mehr existieren«

Was wird sich beim Essen ändern?
Es wird mehr Orte geben, wo wir Essen erleben. Wo man probieren kann, mit Lebensmittel in Kontakt treten und beim Verkäufer nachfragen kann. So wie in Berlin die Markthalle Neun oder in Wien der Naschmarkt.

Zusätzlich wird man mit Hilfe der Technologie sich die ausgewählten Produkte nach Hause liefern lassen können. Man wird entscheiden können ob man selbst kochen will oder ob die ausgewählten Lebensmittel schon fix fertig zu einem Gericht gekocht nach Hause geliefert werden.

© photonews.at/Georges Schneider

Das klingt praktisch. Liegt der Fokus künftig in fertig gekochten Waren?
Das Angebot wird in Zukunft auf jeden Fall besser werden. Was früher der klassische Pizzadienst war, werden dann - wie schon jetzt ein den USA - "Ghost kitchens" sein. Das sind Orte, an denen nur gekocht wird, da gibt es kein Restaurant dazu. Man kann ausschließlich online bestellen. Natürlich alles mit dem Anspruch "gesünder, frischer und nachhaltiger".

Noch ist es leider nicht so weit und täglich stellen sich viele Eltern die Frage, was nun in der Jausenbox der heimischen Schulkinder rein soll. Normalerweise findet sich dort ein Wurstbrot und Obst. Welche Alternativen gibt es?
Was ich spannend finde ist, alles was aus Gemüse hergestellt werden kann. Ich würde mit Gemüsepasten und Aufstrichen punkten. Hülsenfrüchte, Trockenfrüchte und Nüsse sind auch ein guter Tipp.

»Die Verachtung der Lebensmittelindustrie gegenüber dem Kunden schockiert mich«

Sie haben gemeinsam mit ZDF dabei geholfen aufzudecken, mit welchen Methoden Wurst heute gepanscht wird. Was hat sie im Zuge ihrer Recherchen am meisten schockiert?
Die Verachtung der Kunden. Ich habe nach der intensiven Recherche mit meinen Eltern telefoniert und ihnen gesagt: "Ihr kauft ab heute nichts mehr im Supermarkt. Gar nichts, was Fleisch angeht. Bitte, bitte tut das nicht."

Warum diese drastischen Worte?
Weil ich hinter die Kulissen blicken durfte und man hat es in der Lebensmittelindustrie mit Leuten zu tun, die tatsächlich sagen: "Wir machen aus Scheiße Gold". Ich konnte im Zuge meiner Recherche alles fragen.

»Wir machen aus Scheiße Gold«

Zum Beispiel wie man mehr Wasser in die Wurst bekommt, wie man mehr billiges Fleisch unterbringen kann, wie man trotzdem den Geschmack und die Farbe besser machen kann. Ich habe im Zuge meiner Recherche alles bekommen, sogar eine Rechtsberatung, wie ich das Ganze verstecke, damit Qualitätskontrollen kein Problem sind.

Sie haben die Metzgerei "Kumpel & Keule mitbegründet. Auf was sollte man beim Fleischkauf achten?
Das ist ganz einfach: Mach den Metzger zu Deinem Freund. Die Beziehung zu ihm ist genauso wichtig wie die ein guter Arzt, Rechtsanwalt oder Friseur. Der Diskurs ist wichtig. Jeder sollte immer bei seinem Metzger nachfragen, wo genau das Fleisch herkommt. Einfach Interesse zeigen, offen sein und nachfragen.

Die Tricks bei Kennzeichnungspflichten der Lebensmittelindustrie sind schier unendlich. Wie können Verbraucher sich schützen?
Es gibt leider kein Patentrezept. Die beste Prävention ist möglichst wenige Produkte zu kaufen, auf denen ein Barcode drauf klebt. Sowie Produkte, die nicht verpackt sind und noch nicht komplett fertig verarbeitet sind. Bei einer Zucchini oder einer Kartoffel kann auch die Lebensmittelindustrie schwierig mit Zusatzstoffen spielen.

Welche Maßnahmen seitens der Politik wären wirksam?
Meine Erfahrung ist, dass wir alle relativ Siegelmüde geworden sind. Gerade Politiker und NGOs setzen auf Qualitätssiegel. Wenn aber fünf Aufkleber auf einem Produkt sind, kann kein Verbraucher mehr etwas damit anfangen. In Zukunft müssen wir in anderen Dimensionen denken - und genau das fordere ich von der Politik. Wir brauchen ein neues Verständnis von Innovation im Bereich des Lebensmittelhandels.

Und da sehe ich die Technik als Schlüssel. Zum Beispiel wäre es sinnvoller mit dem Handy Tomatenpackungen zu scannen, um zu erfahren wie viele Sonnenstunden das Gemüse abbekommen hat, als noch ein Gütesiegel draufzukleben. Ein Start-up in den USA hat das mit Hilfe der Blockchain-Technologie bereits umgesetzt. Leider steht die Gründerszene in Deutschland und auch Österreich nicht im Fokus der Politik.

Bis 2050 wächst die Menschheit voraussichtlich auf fast 10 Milliarden. Um alle satt zu machen, sagen die Vereinten Nationen, muss sich die Lebensmittelproduktion bis dahin verdoppeln und die Ernährungsweise ändern, wenn das Klima nicht kollabieren soll. Was wäre Ihre Vision um das zu schaffen?
Wir befinden uns in einer drastischen Situation, denn bis es soweit ist, haben wir nur noch 30 Ernten. Wir können also nur noch 30-mal bestimmen, was wir anpflanzen und was wir danach ernten.

Ein Beispiel: Eine neue Karottensorte zu züchten - ohne Gentechnik - dauert 15 Jahre. Ich glaube nicht, dass wir das mit dem alten industriellen Denken, also immer mehr zu produzieren, schaffen werden. Sondern die Lösung liegt in der Ernährungssouveränität. Gleichzeitig muss die wahnsinnige Lebensmittelverschwendung aufhören. Schon bei der Ernte wird ein Drittel weggeschmissen. Und das nur weil das Gemüse nicht den Normen entspricht – nicht weil es schlecht ist.

Kann Essen die Welt retten?
Ja, wird es. Schon allein weil Essen der größte Treiber des Klimawandels ist. Aber wir können das mit jeder Mahlzeit selbst beeinflussen! Wir sollten uns aber gleichzeitig kein schlechten Gewissen machen lassen. Beim Essen sollte es primär um Genuss gehen, nicht darum CO2 zu sparen.

© Daniela Haug

Zur Person:
Hendrik Haase ist Food-Aktivist, Künstler, Netzwerker Genussmensch und begeisterter Aufklärer. Der Kommunikationsdesigner propagiert die neue Bewegung verantwortungsvoller Metzger, die ihr Handwerk ganzheitlich betreiben. Beim 11. qualityaustria Lebensmittelforum in Wien stand er als Gastredner auf der Bühne. Im Rahmen dieser Veranstaltung bei der die Umbrüche in der Lebensmittelbranche diskutiert wurden, ist auch dieses Interview entstanden.

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