"Die Waage ist nicht
das Maß aller Dinge"

Dickwerden ist hierzulande keine Kunst, so der erste Satz im Buch von Prof. Bernhard Ludwig und Dr. Ronny Tekal. Die Pfunde wieder loszuwerden aber schon. Ständige Abmagerungskuren sind jedenfalls nicht die Lösung. Wie man es richtig macht.

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Ernährung - "Die Waage ist nicht
das Maß aller Dinge" © Bild: istock images
Er ist nicht nur Psychologe, Sexualtherapeut und Erfinder des überaus erfolgreichen Seminarkabaretts, sondern auch passionierter Ernährungsforscher. Er hat – in zahlreichen Selbstversuchen – den Jo-Jo-Effekt am eigenen Körper studiert und rund 200 Kilogramm ab- und wieder zugenommen.
Er kennt als Allgemeinmediziner die Problemzonen der Patienten und weiß auch genau, dass eine Therapieempfehlung zum Abnehmen und ein sorgsam vorbereitetes Aufklärungsgespräch zum gesunden Lebenswandel mit dem ersten Biss in die Torte der Konditorei, gleich neben der Praxis, sofort wieder vergessen sind. Im Österreichischen Rundfunk kennt man ihn als Ö1-Radiodoktor.

Die beiden Autoren wagen mit ihrer Lektüre "Anleitung zum Diätwahnsinn" den Spagat zwischen Fachbuch für Ernährung und satirischen Witzebuch. Im Interview erklärt Prof. Bernhard Ludwig, was hinter der humorvollen Lektüre steckt und wie man ohne Abmagerungskur und Neurosen am persönlichen Wohlfühlgewicht arbeiten kann.

© lukas beck Das Autoren-Duo Prof. Bernhard Ludwig und Dr. Ronny Tekal (re.)

Wer sollte das Buch unbedingt lesen?
Prof. Bernhard Ludwig: Die einfachste Diagnostik, ob man das Buch lesen sollte oder nicht, ist der Spiegel. Ich rate allen, sich in der Früh in den Spiegel zu schauen. Hier kann man es selbst prüfen.

Und wie genau?
Erstens das Gesicht. Einfach kontrollieren, ob man freundlich und fröhlich aussieht. Und vor allem etwas Positives ausstrahlt. Wenn man wirklich mutig ist, zieht man sich nackt aus und schaut sich in einem Ganzkörperspiegel genau an. So sieht man selbst, ob es notwendig wäre, sein Essverhalten zu ändern. Das ist besser als jede Waage.

Im Jahr 1995 haben Sie ein thematisch ähnliches Buch veröffentlicht. Was hat sich seit damals verändert?
Es herrschte noch eine ganz andere Haltung zur Ernährung. In den 70er Jahren etwa galten drei warme Mahlzeiten am Tag mit Vor-, Haupt- und Nachspeise als das Nonplusultra. Konservierungsstoffe waren modern. Aber auch Diäten waren schon überaus angesagt – hier ging es vor allem um strenge Kalorienreduktion und Verzicht.

© lukas beck Der Psychologe und Sexualtherapeut Prof. Bernhard Ludwig hat den Jo-Jo-Effekt am eigenen Körper studiert und rund 100 Kilogramm ab- und wieder zugenommen

Heute weiß man, dass Hungern keinen Sinn macht. Jeder kennt den Jo-Jo-Effekt. Stattdessen sollte man sich lieber folgende Frage stellen: Habe ich wirklich Hunger? Oder habe ich nur Lust auf Essen? Man muss den Unterschied von Appetit und Hunger erkennen und wissen, wie man sich gesund ernährt. Wichtig dabei: Nicht das Leben an das Fasten anpassen, sondern das Fasten an das Leben.

Ein Experiment von damals unterstreicht diese Erkenntnis und ist auch heute noch aktuell. Erklären Sie, worum es da ging?
Ja, meine kleine Untersuchung zum Essverhalten zeigte, dass Appetit und Hunger wirklich zwei Paar Schuhe sind. Dazu mussten Probanden eine Woche lang aufschreiben, was sie normalerweise essen. In der zweiten Woche durften die Probanden essen, sobald sie ein flaues Gefühl verspürten. Wichtig: Hungern war verboten. Die Teilnehmer bekamen aber nur etwas, das sie satt machte, und nicht etwas, das schmeckte. Wir nutzten dazu einen geschmacksneutralen Brei aus Weizenkeimen. Und siehe da: Wenn die Geschmacksverwirrung weg ist und man nur isst, was der Körper wirklich braucht, dann geht es automatisch mit der Kalorienzufuhr nach unten. Man nimmt ab.

Anleitung zum Diätwahnsinn: Auf dem Weg zur Traumfigur - und wieder zurück!*

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Das könnte eigentlich jeder zu Hause ausprobieren ...
Ja, versuchen Sie es. Eine Woche "Hungern verboten", aber nichts essen, was Ihnen schmeckt - keine Abwechslung, etwas Eintöniges. Im besten Fall kennen Sie sich selbst und Ihre Essgewohnheiten danach etwas besser und Sie vermögen zu unterscheiden: Habe ich Lust auf Essen? Oder habe ich Hunger? Wer diese zwei Bedürfnisse einmal getrennt voneinander wahrgenommen hat, kann danach bewusst entscheiden, ob man sich einfach nur etwas gönnen möchte oder ob man tatsächlich etwas Notwendiges zu sich nehmen muss. Nur, wer dieses Prinzip in den Alltag eingebaut hat, wird langfristig zufrieden sein.

Nie wieder Diät! Ist das der richtige Zugang?
Nein, das kann man so nicht sagen. Das Wort Diät kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt "Lebensweise". Im Wort selbst steckt schon die Lösung.

Was sollte man beim Abnehmen noch beachten?
Das wirklich Neue ist: Egal, welche Diät man macht - auch wenn es etwas sehr Gescheites ist wie zum Beispiel das Intervallfasten -, in dem Moment, wenn man mit dem Lebensstil aufhört, nimmt man wieder zu. Und manchmal sogar mehr. Und wir wollten eben etwas finden, das genau darüber hinausgeht und diese Gegenregulation verhindert. Deswegen gilt im Buch: Verbote sind verboten. Zum neuen Lebensstil gehört auch immer Bewegung und ein positives Körperbild dazu.

Passend zum Thema: Lust aufs Fasten - Die neue Online-Fastenreise

Warum haben so viele Menschen eine falsche Wahrnehmung ihres Körperbilds?
Leider orientieren wir uns immer eher an dem, was wir in den Medien sehen. Oder vielleicht hat uns die Barbiepuppe verblödet? Was die meisten Leute am Abnehmen interessiert, ist nicht die Theorie dahinter, sondern es sind die Vorher-nachher-Bilder. Ich wundere mich auch über Frauen, die sagen: "Ich muss zwei Kilo abnehmen". Da wäre es doch klüger zu fragen: "Bin ich überhaupt glücklich?"

Verstärkt die Corona-Pandemie schlechtes Essverhalten?
Nein. Es kann auch durchaus etwas Positives sein, wenn man durch Selberkochen mehr in Kontakt mit dem Essen kommt. Wenn man nicht immer ins Restaurant geht, kann man selbst bestimmen, was auf den Teller kommt.

Das birgt aber auch Risiken, weil ja ständig etwas verfügbar ist …
Was man in der eigenen Küche bestimmt lernen muss, ist, wirklich aufzuhören, wenn man satt ist. Eine Portion auf den Teller geben. Den Rest der Mahlzeit gleich einfrieren oder im Kühlschrank verstauen. Einfach bewusst essen und keinesfalls mit etwas anderem, wie etwa Fernsehen, kombinieren.

Was ist das eigentliche Lehrziel des humorvollen Buches?
Egal, welche Ernährungsumstellung man macht, man muss es mit Freude tun. Und sich niemals für sein Gewicht schämen. Man kann in seinem Leben nur etwas ändern, das man gern macht. Wichtig ist auch zu erkennen: Die Waage ist nicht das Maß aller Dinge. Es gibt auch dünne Menschen, die schwerste Ernährungsfehler haben.