"Erdoğan ist ein
größenwahnsinniger Al Capone"

News traf Erdogan-Kritiker Doğan Akhanlı exklusiv zum Interview

Über Interpol ließ die Türkei den Regimekritiker Doğan Akhanlı in Spanien verhaften. Nun spricht der deutsche Autor über Erdoğans faschistische Züge, Europas gescheiterte Türkei-Politik und darüber, warum Österreichs Ruf nach einem Ende der EU-Beitrittsverhandlungen dennoch falsch ist.

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Türkei - "Erdoğan ist ein
größenwahnsinniger Al Capone"

Sie wurden überraschend im Spanien-Urlaub festgenommen. Wie geht es Ihnen, Herr Akhanlı?
Schon besser. Der erste Schock ist überwunden. Meine Frau und ich schliefen noch, als die Polizei in Granada frühmorgens an unsere Hotelzimmertür klopfte und meinen Ausweis sehen wollte. Ich dachte zunächst an eine Routinekontrolle wegen der Anschläge in Barcelona. Auch die spanischen Beamten waren ein wenig irritiert, als sie mich verhaften wollten, und telefonierten mehrmals mit ihren Vorgesetzten. Ich weiß nicht, wen sie erwarteten. Aber wohl nicht diesen verschlafenen, alten Herren, der ihnen in Unterhose die Zimmertür aufmachte. Doch die Türkei hatte bei Interpol einen internationalen Haftbefehl gegen mich beantragt. Mittlerweile bin ich wieder aus der Fahndungsliste gestrichen. Interpol merkte wohl, dass es sich um eine politische Verfolgung handelt. Auch die deutsche Regierung setzt sich dafür ein, dass Spanien mich nicht an die Türkei ausliefert. Ich bin wieder auf freiem Fuß, darf Spanien aber bis zur richterlichen Entscheidung nicht verlassen und muss mich jeden Montag bei der Polizei melden. Die Türkei hat noch bis zum 10. Oktober Zeit, meine Auslieferung zu fordern.

Was wirft die Türkei Ihnen denn vor?
Ich soll Kopf einer Terrororganisation sein und 1989 außerdem einen Raubüberfall begangen haben, bei dem ein Mensch ermordet wurde. Alles frei erfunden. Die Vorwürfe sind nicht neu. 2010, als ich nach Istanbul fuhr, um meinen sterbenden Vater zu besuchen, nahm man mich deshalb schon fest. Ich wurde aber von einem Gericht freigesprochen. 2013 wurde der Freispruch einfach wieder aufgehoben. Die Türkei will mich zum Schweigen bringen.

Warum?
Weil ich ein Linker bin, ein Menschenrechtler, ein Regimekritiker. In meinen Büchern thematisiere ich immer wieder die Kurdenfrage oder den Genozid der Türkei an den Armeniern. Dennoch verstehe ich nicht, warum Ankaras Hass auf mich so groß ist. Ich bin zwar Schriftsteller, aber kein Bestseller-Autor mit einem Millionenpublikum.

Warum, glauben Sie, verfolgt Präsident Recep Tayyip Erdoğan Sie und andere Regimekritiker im Exil eigentlich?
Damit will er vor allem die Kritiker und Gegner im eigenen Land einschüchtern. Nach dem Motto: Schaut, mein Arm reicht bis weit nach Europa rein. Passt bloß auf. Innenpolitisch kann er sich damit zudem bei seiner Wählerschaft, der konservativen Landbevölkerung, als starker Staatsmann präsentieren. Innenpolitische Schwächen versuchen Diktatoren häufig dadurch zu verdecken, dass sie außenpolitische Feindschaften pflegen. Das sieht man bei Nordkoreas Kim Jong-un, aber auch bei Venezuelas Nicolás Maduro.

Wie ist das Gefühl, zu sehen, dass Ankaras Arm wirklich bis nach Spanien reicht?
Es ist ein sehr beunruhigendes Gefühl, dass Präsident Erdoğan Interpol so missbrauchen kann, um innerhalb der Europäischen Union Regimekritiker wie mich zu jagen. Zumal ich nicht einmal mehr Türke bin. Ich wurde ausgebürgert, besitze ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Dennoch kann mich die Türkei innerhalb Europas festsetzen lassen. Aber ich bin keine Ausnahme. Mein Fall ist nur bekannt geworden, weil selbst der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel Spanien aufforderte, mich nicht auszuliefern. Ich kenne viele Exiltürken, denen dasselbe passierte. 99 Prozent kommen nach einigen Wochen in Untersuchungshaft frei, weil die jeweiligen EU-Länder merken, der türkische Auslieferungsantrag hat kein Fundament.

Haben Sie dennoch Angst, ausgeliefert zu werden?
Eine gewisse Unsicherheit ist immer da. Aber eigentlich nicht. Es gibt keine juristische Basis. Selbst Interpol hat mich aus der sogenannten Roten Liste gestrichen. Spanien würde zudem ein sehr dunkles Kapitel in seiner Rechtsgeschichte öffnen, wenn es einen EU-Bürger aus Deutschland an einen Drittstaat ausliefern würde, der dafür bekannt ist, politische Gegner zu verfolgen. Davon abgesehen: Ich möchte nicht schon wieder hinter Gitter. Zwei Mal habe ich türkische Gefängnisse überlebt. Ich wurde gefoltert. Schon die Zeit in der spanischen Untersuchungshaft ließ viele schlimme Erinnerungen wieder aufkommen. Mir wurde ständig übel. Ich bin nach Deutschland und Europa geflüchtet, um keine Angst mehr zu haben.

Deutschland protestiert öffentlich gegen Ankaras Politik. Auch Österreichs Kanzler Christian Kern bezeichnete Ihre Verhaftung als inakzeptabel.
Erdoğan lässt Deutschland mit seiner Politik mittlerweile ja auch keine andere Wahl mehr. Er hat einfach einen deutschen - und nur deutschen - Staatsbürger in einem EU-Land festnehmen lassen, weil dieser die Politik der Türkei kritisierte. Ich bin Kanzlerin Angela Merkel und den Bemühungen der gesamten Regierung, mich zu verteidigen, sehr, sehr dankbar. Aber Deutschland, Österreich und Europa haben zu lange Geduld mit Erdoğan gehabt - leider auch, um sich die Flüchtlinge vom Hals zu halten. Diese Politik ist gescheitert. Es ist enttäuschend, zu sehen, dass vor allem Deutschland, ein Land, das sich so intensiv mit seiner NS-Vergangenheit und dem Holocaust auseinandergesetzt hat, so lange brauchte, um den türkischen Völkermord in Armenien zu verurteilen, nur um Ankara nicht zu erzürnen. Erdoğan missversteht Deutschlands und Europas bisherige Zurückhaltung als Schwäche. Er ist wie US-Präsident Donald Trump - ein gefährlicher Machtmensch, bei dem leise Diplomatie nicht weiterhilft. Schauen Sie sich doch nur Erdoğans Reaktion auf Deutschlands Kritik an: Er bezeichnet die CDU und SPD prompt als "Türkei-Feinde" und fordert alle wahlberechtigten Deutschtürken auf, diese Parteien nicht zu wählen. Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel fragte er sogar, wer er überhaupt sei, um den türkischen Präsidenten anzusprechen. Er solle seine Grenzen erkennen. Erdoğan ist ein größenwahnsinniger Al Capone.

»Erdoğan ist dabei, eine faschistische Autokratie aufzubauen«

Was hätte Europa Ihrer Meinung nach denn machen sollen?
Deutschland und die EU hätten schon viel früher Waffenlieferungen in die Türkei stoppen, Reisewarnungen ausgeben und Wirtschaftssanktionen gegen Ankara verhängen müssen. Erdoğan ist dabei, eine faschistische Autokratie aufzubauen. Er arbeitet an seinem eigenen Führermythos, tritt selbst das türkische Recht mit Füßen. Seit dem Putschversuch herrscht er allmächtig im Ausnahmezustand, lässt Zigtausende in Kerkern verschwinden, selbst oppositionelle Parlamentarier. Er verhaftet deutsche Journalisten in der Türkei, um Druckmittel zu haben. Schon einmal in der Geschichte haben die europäischen Staaten es verschlafen, eine solche Gefahr schon von Beginn an zu stoppen.

»Erdoğans Türkei hat keinen Platz in der EU. Aber Erdoğan ist nicht die Türkei«

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz drängt auf einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Zu Recht?
Das halte ich für einen Fehler, weil Europa damit nur die türkische Zivilgesellschaft und die türkische Demokratie strafen würde. Mit einem Bruch würde Europa jegliche Möglichkeit der Einflussnahme und des Dialogs verspielen. Erdoğan selbst erwartet nichts mehr von der EU. Er ist nur noch am Machterhalt interessiert. Nach all dem, was er bisher getan hat, weiß er, dass er im Gefängnis landen könnte, sollte er im türkischen Superwahljahr 2019 die Macht verlieren. Beim Referendum im April, mit dem er das Präsidialsystem einführen ließ, um seine Macht zu sichern, konnte er sich nur knapp durchsetzen. Und das, obwohl er die Opposition mundtot gemacht und die freie Presse abgeschafft hat. Doch in einer Sache hat Österreichs Außenminister Kurz recht: Die Türkei Erdoğans hat keinen Platz in der EU. Aber Erdoğan ist nicht die Türkei. Erdoğan ist ein vorübergehendes Phänomen. Auch deshalb sollte Europa die Demokraten und das Volk der Türkei nicht im Stich lassen. Doch Europa sollte sich auch endlich einmal festlegen, ob es nun ein muslimisches Land aufnehmen möchte -oder nicht. Das Theaterspiel dauert nun schon 40 Jahre. Ich würde es mir wünschen. Die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union würde die demokratische Entwicklung fördern.

Und wie sieht nun Ihre nahe Zukunft aus?
Ich würde gerne wieder nach Hause fahren. In der kommenden Woche werden ich und mein Anwalt beantragen, dass ich zurück nach Köln fliegen darf. Ich komme dann nach Madrid zurück, sobald die spanischen Richter eine Entscheidung über meine Auslieferung getroffen haben. Und ich werde zurückkommen. Ich könnte auch jetzt gehen. Ich habe zwar meinen Reisepass abgegeben und kann die EU nicht verlassen. Aber seitdem ich nicht mehr auf der Interpol-Liste geführt bin, hätte ich mir schon längst mit meinem Personalausweis ein Flugticket nach Köln kaufen und einfach abhauen können. Das will ich aber nicht. Erstens weil Spanien mich gut behandelt und auf freien Fuß setzte. Zweitens weil ich keinen Akteneintrag in Spanien haben und sauber aus dieser Geschichte rauskommen möchte. Man bat mich, das Land nicht zu verlassen. Aber am wichtigsten ist mir: Ich will der Türkei kein Propagandamaterial liefern. Sie sollen nicht sagen können, ich habe mich wie ein Kleinkrimineller aus dem Staub gemacht. Ich bin es aber leid, ein politischer Spielball zu sein.

Doğan Akhanlı
1957 in der Provinz Artvin am Schwarzen Meer geboren, wuchs Akhanlı in Istanbul auf. Er wurde früh politisch verfolgt. Für den Kauf einer linken Zeitung musste er 1975 fünf Monate in U-Haft. Nach dem Militärputsch 1980 ging er als Mitglied der Kommunisten in den Untergrund. Zwei Mal kam er ins Militärgefängnis, saß mehrjährige Haftstrafen ab, wurde gefoltert. 1991 floh er nach Deutschland, wo er als politischer Flüchtling 2001 die Staatsbürgerschaft erhielt. Die Türkei bürgerte ihn aus. 2010 wurde er während eines Türkei-Besuchs als Kopf einer Terrororganisation verhaftet, jedoch freigesprochen. Akhanlı lebt in Köln und zählt zu den bekanntesten Exilautoren.