Beginn der Epoche der Weltstars

Vor 100 Jahren starb das Multitalent Sarah Bernhardt

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

Ende des 19. Jahrhundert besuchten Reisende aus aller Welt Paris, die Hauptstadt Frankreichs, aus zwei Gründen: den Eiffelturm zu besichtigen und Sarah Bernhardt zu bewundern. Zum ersten Mal in der Geschichte der Künste schaffte es eine Schauspielerin, in Paris, London, Berlin, Australien, Nord- und Südamerika gefeiert und umschwärmt zu werden. Die Epoche der Weltstars hatte mit einer Frau aus Paris begonnen. Bernhardt war überall, auf Bühnen, in Filmen, schrieb Romane und Theaterstücke, verkaufte Kosmetik und Alkohol unter ihrem Namen, hatte prominente Liebhaber und Verehrer und trat in entlegenen Orten auf, wo vorher nie eine Theatertruppe aus dem Ausland gespielt hatte.

Prachtbau

Autoren schrieben Stücke, um Bernhardt für die Hauptrolle zu gewinnen - wie "L'Aiglon" von Edmond Rostand. Am 15. März 1900 war in Paris Premiere. 1.700 Gäste - Herren in dunklen Abendanzügen, Damen in bodenlangen Kleidern - waren gekommen. Die Ehrengäste in Parkett und Logen interessierte weniger das Drama um den jungen Mann, der nie französischer Kaiser werden konnte. Sie warteten auf die Person, die ihn auf der Bühne verkörperte. Mit den Worten: "Ich bitte um Verzeihung, wenn ich störe" betrat Bernhardt die Bühne, und allein dafür gab es Szenenapplaus, schallte Bravo durch das Haus. Im Laufe des Abends, notierte ein Kritiker, versetzte die Schauspielerin das "zitternde Publikum in ein Delirium", bis schließlich der "halbe Saal zu weinen begann". Das Theater - in dem "L'Aiglon" acht Monate lang ausverkauft war - ein Prachtbau aus cremefarbenem Kalkstein in Sichtweite von Notre-Dame mit Säulen und weiten Rundbögen und einem Lichtspektakel aus 5.700 Glühbirnen mit dem Namen des Hauses: Théatre Sarah Bernhardt.

Sarah Bernhardt
© imago/Album Sarah Bernhardt

Gazelle

Abseits des breiten Publikums gab es kaum eine bekannte Persönlichkeit, die sie nicht bewunderte. Victor Hugo nannte sie "die goldene Stimme", Alexandre Dumas und der Schriftsteller Jean Cocteau, der sie ein "heiliges Biest" nannte, waren von ihr verzaubert und besuchten jedes Theaterstück, in dem sie auftrat. Mark Twain schrieb nach einem Treffen: "Es gibt fünf verschiedene Schauspielerinnen: schlechte Schauspielerinnen, mittelmäßige, gute, fantastische, und dann gibt es Sarah Bernhardt."

Oscar Wilde nannte sie die "Unvergleichliche" und schrieb das Theaterstück "Salomé" auf Französisch, um ihr die Hauptrolle anzubieten. D. H. Lawrence, der sie als junger Schriftsteller in dem Stück "La Dameaux Camélias" sah, schrieb: "Sarah Bernhardt war wundervoll und schrecklich, sie ist eine wilde Kreatur, eine zarte Gazelle und gleichzeitig erschreckend wie ein schöner, furchterregender Panther." Sigmund Freud beschrieb sie nach einer Vorstellung: "Ich könnte nichts über das Stück sagen, aber diese Sarah, wie sie spielte! Vom ersten Satz an hatte ich das Gefühl, sie seit Jahren zu kennen, nichts überraschte mich, ich glaubte ihr jedes Wort. Jeder Zentimeter ihres Charakters verzauberte mich!"

Konservatorium

Sarah Bernhardt wurde 1844 in Paris geboten und starb vor 100 Jahren, am 26. März 1923. Ihre Mutter, Judith Bernhardt, in Berlin geboren mit holländischen Eltern, ließ sich in Paris als Kurtisane nieder und war in den feineren Kreisen als "Madam Youle" bekannt. Bernhardt wuchs ohne Vater auf, dessen Name auch in ihren Memoiren nicht erwähnt wird. Ihre ersten Jahre verbrachte sie mit einem Kindermädchen, wurde trotz einer jüdischen Mutter getauft und besuchte eine Klosterschule. Sie wollte als Kind unbedingt Nonne werden. Herzog von Morny, Geliebter und Gönner der Mutter, Halbbruder von Napoleon III., erkannte ihr schauspielerisches Talent. Mit Hilfe seiner Kontakte wurde sie als 14-Jährige in die Schauspielausbildung am Pariser Konservatorium aufgenommen. Vier Jahre später bekam sie ihre erste Hauptrolle, an der Comédie Française in dem Klassiker "Iphigénie" von Jean Racine.

Während des deutsch-französischen Kriegs 1870/71, als alle Theater schließen mussten, half sie als Krankenschwester und pflegte verwundete Soldaten. Nach dem Krieg kehrte sie an die Comédie Française zurück. Wenige Jahre später war sie die berühmteste Darstellerin ihrer Zeit, in Frankreich gefeiert als "La Divine" ("Die Göttliche"). Mit ihrer eigenen Schauspieltruppe trat sie 1879 in London auf. 1880 folgte eine halbjährige Tournee durch 51 Städte der USA. 1881 gab sie Vorstellungen in Russland, Italien, Griechenland, Ungarn, in der Schweiz, Dänemark, Belgien und in den Niederlanden. Englands Königin Victoria und der russische Zar Alexander III. gehörten zu ihren Bewunderern.

Kameliendame

1882 heiratete Bernhardt den griechischen Botschaftsattaché Jacques Damala, eröffnete für ihn ein eigenes Theater, doch das Publikum machte sich lustig über die schauspielerischen Künste des Ehemanns. Er flüchtete ins Glücksspiel und wurde morphiumsüchtig. Nach einem Jahr trennten sie sich. Damala starb 34-jährig an seiner Drogensucht, und Bernhardt hatte ihr gesamtes Vermögen verloren. Sie begann wieder mit Gastspielen in den USA, von 1891 bis 1893 folgte eine Welttour. 150 Mal konnte man sie in Alexandre Dumas' "Kameliendame" bewundern, der Geschichte der Prostituierten Marguerite und ihrer Liebesbeziehung zu einem vornehmen Freier. Mit dem Bühnentod der einsamen Marguerite erreichte Bernhardt den Höhepunkt ihrer Popularität. Zeitungen waren voll von Bewunderung und auch Spott. Kritiker beschrieben sie als "The Great French Dier" (die große französische Sterbende), andere kommentierten ihre große, schlanke Figur mit Spott: "Wenn sie ein Bad nimmt, sinkt der Wasserspiegel."

1902 trat sie in Berlin über mehrere Wochen in "Fedora","Tosca","Kameliendame", "Hamlet" und "Phädra" auf. Selbst Kaiser Wilhelm II. besuchte einige Vorstellungen. In Paris leitete sie zahlreiche Theater, das Théatre de la Renaissance und Téatre Lyrique und von 1899 bis zu ihrem Tode das heutige Théatre de la Ville. Alfons Mucha, einer der bekanntesten Vertreter des Jugendstils, entwarf ihre Plakate.

Sie spielte Frauen- und Männerrollen, sang und tanzte, malte, widmete sich der Bildhauerei und verstand es, mit Sensationen und Aktionismus ständig im Gespräch zu bleiben. Sie bot Fotos an, wie sie in einem Sarg liegend ihre Rollen studiert und die Nächte verbrachte, in einem Heißluftballon über Paris flog, engagierte sich in der Dreyfus-Affäre als Freundin von Émile Zola, kritisierte die Todesstrafe und forderte während der Gastspiele in den USA die Regierung auf, in den Ersten Weltkrieg einzugreifen.

Ehrenlegion

Sie sammelte exotische Tiere für ihren Privatzoo, erwarb in New Orleans ein Krokodil, in Liverpool sieben Chamäleons und einen Panther und hielt in Paris in ihrer Wohnung stets zehn Hunde. 1907 veröffentlichte sie ihre Memoiren, die Marcel Proust zur Figur der Schauspielerin La Berma in seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" inspirierten. Im Jahr 1906 erhielt sie eine Professur am Pariser Konservatorium. 1914 wurde sie Mitglied der französischen Ehrenlegion, eine der höchsten Auszeichnungen in Frankreich.

1905 stürzte sie auf der Bühne und verletzte sich das Knie. Geplagt von Schmerzen verlangte sie, dass ihr Bein amputiert werde, und inszenierte auch diesen Eingriff für die Öffentlichkeit. Die Anästhesistin berichtete: "Ich fühlte mich wie im Theater." Sie arbeitete weiter, ließ sich in einer weißen Sänfte auf die Bühne tragen, begann 1920, bereits Anfang 70, eine neue Tournee durch die USA und gastierte in 99 Städten. Im Jänner 1923 während der Proben für ein neues Stück erkrankte sie, konnte kaum mehr sprechen. Bis zu ihrem Tod sammelten sich täglich Menschenmengen vor ihrem Haus in Paris. Gemäß ihrem Testament wurde der Leichnam für die in einer langen Reihe stundenlang wartenden Trauergäste in ihrem Bett aufgebahrt, eingehüllt in weißem Satin, umringt von Lilien und Rosen.

"Petit Palais" in Paris zeigt bis August eine Ausstellung mit Plakaten, Kleidungsstücken, Fotografien und anderen Memorabilien der Künstlerin Sarah Bernhardt.