Das Endgutachten zum tödlichen
Bootsunfall am Wörthersee

Exklusiv: Das Endgutachten zum tödlichen Bootsunfall auf dem Wörthersee vom 2. Juni ist fertig und den Beschuldigten zugestellt. Es bringt den prominenten Bootslenker unter Druck und seine Angaben ins Wanken.

von Exklusiv - Das Endgutachten zum tödlichen
Bootsunfall am Wörthersee © Bild: Shutterstock

Der Bootsunfall beschäftigt seit fast vier Monaten die Repu blik: Am 2. Juni kam ein niederösterreichischer Bauunternehmer bei einer rasanten Kurvenfahrt auf dem Wörthersee ums Leben; gesteuert hatte das Boot ein prominenter Medienmanager unter Alkoholeinfluss - ein tragischer Unfall. Allerdings tauchten sukzessive immer mehr

Ungereimtheiten in der Causa auf: Spärlicher Informationsfluss seitens der Exekutive, offenbar schleppende Ermittlungen, widersprüchliche Zeugenaussagen, angebliche Vertuschungsversuche und Weisungen sorgten dafür, dass seitdem die Gerüchteküche brodelt. Nicht zuletzt auch, weil der Bootslenker, dessen Name aus medienrechtlichen Gründen nicht genannt werden darf, mit Innenminister Wolfgang Sobotka gut bekannt ist. Dieser dementierte jegliche Einflussname.

News berichtete als erstes Medium über wesentliche Aspekte des Vorfalls, die in der ersten offiziellen Darstellung nicht erwähnt wurden. Diese Details scheinen sich nun zu bestätigen: News liegt das Endgutachten zu dem Fall exklusiv vor - und es zeigt, was an diesem frühsommerlichen Freitagnachmittag mit allergrößter Wahrscheinlichkeit tatsächlich passiert sein dürfte.

Laut Gutachten, das News zugespielt wurde, hat der Medienmanager den Unfall nicht nur bei hoher Geschwindigkeit verursacht. Er hat danach noch dazu falsch reagiert: mit tödlichem Ausgang.

Mehrere Messfahrten

Doch der Reihe nach: Das Gutachten wurde vom renommierten Linzer Sachverständigen Hermann Steffan erstellt, einem international tätigen Fachmann für Schadens-und Unfallanalysen in den Bereichen Bootsport, Schifffahrt und Straßenverkehr. Er unterzog die zuvor getätigten Zeugenaussagen sowie technischen und medizinischen Gutachten einer Plausibilitätsprüfung. Dazu wurden am 14. August in Reifnitz mehrere Messfahrten mit dem Unglücksboot gemacht. Dabei handelt es sich um ein Malibu Response TXI mit einer Länge von 6,28 Metern, einer Breite von , 37 Metern, einem Gewicht von etwas mehr als 1.300 Kilo und 335 PS. Das Boot befand sich beim Test im Originalzustand; allerdings wurde der beim Unfall beschädigte Propeller gegen einen neuen -baugleichen -getauscht.

Insgesamt wurden ungefähr eine Stunde lang Testfahrten durchgeführt -mit Geschwindigkeiten von 40, 50 und 60 Stundenkilometern. Zudem wurde die Maximalgeschwindigkeit des Bootes ermittelt: Diese betrug 67 Stundenkilometer.

Die entscheidende Frage war, wie der Unfall passierte und wie glaubwürdig die Aussagen des Hauptbeschuldigten und der mitgefahrenen Zeugen sind. Laut Gutachten hatte der Medienmanager angegeben, dass "der tödlich Verunglückte in das Lenkrad eingegriffen" hätte. Die Verteidigungsstrategie liegt auf der Hand: In diesem Fall hätte das Opfer zumindest eine Mitschuld am eigenen Tod.

Kurz zusammengefasst: Diese Variante ist für den Sachverständigen nicht haltbar. Laut Gutachten ist es dem rund 1,78 Meter großen tödlich verunglückten Baumeister zwar nicht völlig unmöglich gewesen, von einer Sitzposition auf der Motorhaube in das Lenkrad zu greifen - jedoch: "Es zeigt sich, dass das Lenkrad überhaupt nur dann erreicht werden kann, wenn man auf der vorderen Kante der Abdeckung sitzt. Selbst dann ist aber das Lenkrad kaum zu erreichen, und zwar nur mit ausgestreckten Armen", heißt es in der Expertise. Und weiter: "Es gilt, zu bedenken, dass hier ja das Lenkrad um fast zwei Umdrehungen verdreht werden muss, bis der volle Einschlag erreicht wird." Und dies sei "aus dieser Entfernung, wobei das Lenkrad nie optimal angegriffen werden kann, praktisch nicht möglich."

Falsche Angaben?

Stimmt das, so hätte der Bootslenker falsche Angaben gemacht. Dies wäre ihm als Beschuldigtem in einem Strafverfahren erlaubt, schließlich muss sich niemand selbst belasten. Erwähnt sei allerdings, dass der Medienmanager immerhin auf einem Ticket des Landes Niederösterreich im Aufsichtsrat eines wichtigen Infrastrukturunternehmens sitzt - und damit quasi eine öffentliche Funktion bekleidet.

Auch eine weitere kolportierte Aussage des Bootslenkers wird vom Sachverständigen hinterfragt -nämlich, dass dieser selbst ins Wasser gefallen sei. Ein wichtiger Punkt im Gutachten bezieht sich darauf, welche Fliehkräfte beim Kurvenfahren auf die Bootsinsassen wirken.

Hinsichtlich der Gefahr des "Ausschleuderns von Personen aus dem Motorboot" heißt es im Gutachten: "Der Fahrersitz selbst befindet sich (...) so tief, dass bei einer Sitzposition im Boot es praktisch unmöglich ist, dass der Fahrer versehentlich aus dem Boot geschleudert wird - insbesondere, weil er sich ja auch am Lenkrad anhalten kann."

Zusätzlich wurde eine Computersimulation durchgeführt, wobei angenommen wurde, dass sich der Bootslenker nicht am Lenkrad festgehalten hat und auch im Schalensitz so saß, dass er die Schalenwirkung des Sitzes durch ein leichtes nach vorne Lehnen nicht nutzte. Ergebnis: Selbst dann wird der Medienmanager zwar aus dem Sitz geschleudert, kommt aber im Bereich neben dem Beifahrersitz am Boden zu liegen. "Ein Hinausschleudern aus dem Boot ist so nicht zu erklären", heißt es im Gutachten. Das widerspricht der angeblichen Aussage des Medienmanagers.

Doch wie ist der Unfall laut Gutachten nun tatsächlich abgelaufen? Zusammenfassend lässt sich der Ablauf des Unfalls für Gutachter Steffan in Verbindung mit den Aussagen aller Beteiligten nur wie folgt erklären: "Das Motorboot muss eine recht massive Rechtskurve durchfahren sein, wobei offensichtlich der später tödlich Verunglückte zunächst aus dem Boot seitlich nach links ausgeschleudert wurde. Es ist praktisch nur erklärbar, dass dieser relativ aufrecht auf der Haube saß und zwar links von der Zugstange ( )." Dabei sei es "unmöglich", dass dieser "im Zuge des Hinausfallens von der Schraube des Bootes erfasst wurde." Denn: "Sobald der tödlich Verunglückte ins Wasser fällt, wird der Körper sofort massiv abgebremst und das Boot entfernt sich von der möglichen Aufprallstelle. So ist es völlig unmöglich, dass der Verunglückte so überfahren wird."

Fataler Fehler?

Der Baumeister wurde also laut Gutachten nicht sofort von der Schiffsschraube erfasst bzw. überfahren. Wie ist er dann zu Tode gekommen? Alles deutet darauf hin, dass der Bootslenker nicht nur alkoholisiert war und ein halsbrecherisches Manöver durchgeführt hat, sondern auch einen fatalen Fehler begangen hat. Einen Fehler, der laut Gutachten auf keinen Fall vorkommen darf.

Der Gutachter geht von folgendem Verlauf aus: "Nachdem der tödlich Verunglückte aus dem Boot fiel, muss noch von jemandem der Rückwärtsgang eingelegt worden sein und dann im Zuge des Zurückfahrens des Bootes der tödlich Verunglückte vom Propeller erfasst worden sein -und zwar zu einem Zeitpunkt, als er sich mit dem Kopf noch unter Wasser befand." Laut Angabe des Gerichtsmediziners habe "zwischen dem Hineinfallen ( ) und dem Erfassen durch den Propeller ein Zeitraum von 30 Sekunden bis eine Minute" gelegen. "Durch diesen Zeitraum ergibt sich auch, dass der Rückwärtsgang nicht eingelegt worden sein kann, bevor der Verunglückte ins Wasser fiel", schreibt der Sachverständige. Er weist dezidiert auf ein offensichtliches Fehlverhalten beim "Mann-über-Bord-Manöver" hin: Demnach müsste in so einem Fall, wenn die über Bord gefallene Person sicher nicht mehr in der Nähe des Bootes ist, eine Wende mit ganz langsamer Geschwindigkeit durchgeführt werden -und zwar erst dann, wenn die Person sichtbar ist und ein Überfahren ausgeschlossen werden kann. Und: "Das Einlegen des Rückwärtsganges ist absolut verboten."

Laut dem Fazit des Gutachters geschah der Unfall bei einer Kurvenfahrt mit einer Geschwindigkeit von um die 60 Stundenkilometer. Zur Erinnerung: Das liegt knapp unter der ermittelten Höchstgeschwindigkeit von 67 km/h. Der Rückwärtsgang wurde laut Gutachten "jedenfalls mit höherer Drehzahl" eingelegt -nachdem der später tödlich Verunglückte ins Wasser gefallen war. Der Sachverständige untermauert die Rückwärtsfahrt auch mit dem Zustand und der Drehrichtung des Propellers, der "an allen drei Enden deutlich verbogen" war. Da das Boot bis zum Unfall einwandfrei funktioniert habe, könne der Schaden an der Schiffsschraube erst durch den Unfall entstanden sein.

Entsprechend den Schäden "ergibt sich, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Propeller sich in einer Rückwärtsdrehbewegung befunden hat", heißt es im Gutachten weiter. Und: "Somit ergibt sich aber auch aus technischer Sicht, dass jedenfalls der Rückwärtsgang am Boot noch eingelegt werden musste, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die tödlichen Verletzungen noch nicht eingetreten waren."

Eine Variante, bei der der tödlich Verunglückte noch ins Lenkrad eingegriffen hätte, schließt der Sachverständige - wie zuvor erwähnt - aus technischer Sicht aus. Ebenso die Möglichkeit, dass der Verunglückte selbst noch vor dem Sturz ins Wasser den Retourgang eingelegt haben könnte: "Ein Griff auf den Schalthebel selbst ist überhaupt nicht möglich - dies aus einer Sitzposition in der Mitte."

Gutachten zum Alkotest

Ein weiteres Gutachten -diesmal vom Grazer Institut für Gerichtliche Medizin - widmet sich der Frage, wie betrunken der Medienmanager beim Unfallzeitpunkt um ca. 17.20 Uhr tatsächlich war: Peter Grabuschnigg geht in seinem Gutachten davon aus, dass der etwa 179 Zentimeter große und etwa 100 Kilo schwere Unglückslenker ein großes Bier, ein Achtel Rosé-Wein, vier Zentiliter Gin und vier Zentiliter Rum -und ein zweigängiges Menü zu sich genommen hatte. Trinkbeginn war um zwölf Uhr mittags, Trinkende um 17.15 Uhr. Der Unfall geschah um 17.20 Uhr: die Messungen der Atemalkoholkonzentration fanden etwa eine Stunde später statt. Ort des Alkoholkonsums war ein am Wasser gelegenes Inlokal in Reifnitz, von wo aus dann auch die Bootsfahrt startete.

Bei der Berechnung des Alkoholisierungsgrads berücksichtigt der Sachverständige eine "statistisch ermittelte Streubreite" und "drei Umrechnungsfaktoren".

Ergebnis: Bei Verwendung des günstigsten Faktors lag der Blutalkohol des Medienmanagers zum Unfallzeitpunkt zwischen 1,062 und 1,162 Promille; im ungünstigsten Fall zwischen 1,57 und 1,67 Promille. Weiter heißt es im Gutachten: "Sollte zum Unfallzeitpunkt die restliche Menge Rum, die angeblich in einem Zug getrunken worden sein soll, noch nicht resorbiert worden sein, so müssten für die angenommenen 4 cl Rum 0,18 Promille in Abzug gebracht werden und dann ergebe sich im günstigsten Fall (...) eine Blutalkoholkonzentration von 0,882 Promille".

Übersetzt heißt das: Der Medienmanager hat offenbar angegeben, dass der in einem Zug getrunkene Alkohol beim Unfall noch nicht vom Körper aufgenommen war und gewirkt hat.

Mehr getrunken?

Der Gutachter rechnet in seiner Expertise weitere mögliche Trinkvarianten durch und bringt für die Nahrungsaufnahme "Resorptionsverluste" von 20 Prozent in Abzug. Fazit: "Demnach besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den Trinkangaben und den Messungen der Atemalkoholkonzentration um 18.20 Uhr bzw. 18.21 Uhr des 2.6.2017." Bei einer "Blutalkoholkonzentration von im günstigsten Fall 1,062 Promille" schlussfolgert der Gutachter, "dass die angeblich aufgenommenen Getränke die Atemalkoholkonzentration zum Messzeitpunkt (...) nicht zu erklären vermögen". Und er stellt fest: "Alkoholgewöhnte Personen können bei den oben angeführten Alkoholkonzentrationen durchaus keine auffälligen Alkoholisierungsmerkmale zeigen." Eine durchaus günstige Aussage für den mitbeschuldigten Skipper, der dem Medienmanager vor dem Unfall das Steuer übergeben hatte.

Klar sei jedoch: "Die von (...) angegebenen und nicht nachvollziehbaren Trinkmengen würden für den Unfallszeitpunkt erwarten lassen, dass keine nennenswerte Alkoholwirkung gegeben war."

Bei zumindest 1,062 Promille stellt sich die Frage, ob der Medienmanager beim Alkotest weniger angeben hat als tatsächlich getrunken. Oder hatte er noch Restalkohol vom Vorabend im Blut? Denn da soll er beim Fußball-Cup-Finale zwischen Red Bull Salzburg und Rapid Wien Gast im VIP-Club des Klagenfurter Wörthersee- Stadions gewesen sein.

Wie geht es in der Causa jetzt weiter? Zu Redaktionsschluss war offen, wann die Staatsanwaltschaft Klagenfurt eine Entscheidung darüber treffen wird, ob die strafrechtlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der "fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen" tatsächlich zu einem Gerichtsverfahren führen. Wenn ja, würde es voraussichtlich zumindest zwei bis drei Monate bis zum Prozessbeginn dauern. Dazu sagt Markus Kitz von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt: "Der Zeithorizont hängt von etwaigen Ergänzungen, die beantwortet werden müssen, und etwaigen daraus resultierenden weiteren Ermittlungen ab." Bisher hat die Staatsanwaltschaft fünf Gutachten beauftragt; den Beschuldigten steht es offen, zusätzlich Privatgutachten einzubringen.

Anwalt kontert

Der Anwalt des Medienmanagers sagt auf Anfrage von News, dass "die bisher eingeholten Gutachten aus Verteidigungssicht noch kein plausibles und schlüssiges Bild zum tatsächlichen Unfallhergang" ergeben. "Sie werden daher unter Berücksichtigung weiterer Beweisergebnisse jedenfalls noch in Kernbereichen zu ergänzen bzw. zu präzisieren sein." Die ergänzenden Fragestellungen würden derzeit gerade ausgearbeitet und sodann bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. "Ob ein Privatgutachten vorgelegt wird, steht derzeit noch nicht fest", sagt der Anwalt.

Derzeit steht nur eines mit Sicherheit fest: Vor der Wahl wird es jedenfalls kein Gerichtsverfahren geben.

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Der Unfall hatte sich am 2. Juni vor Maria Wörth (Bezirk Klagenfurt-Land) ereignet. Insgesamt befanden sich fünf Menschen an Bord, vier Freunde aus Niederösterreich und der 32-jährige Bootsführer als Vertreter des Bootseigentümers, eines Kärntner Unternehmers. Das Boot fuhr in westlicher Richtung, als der 44-jährige Lenker aus dem Waldviertel laut Aussagen von Augenzeugen einige scharfe Kurven einlegte. Dabei ging der gleichaltrige Unternehmer aus dem Weinviertel über Bord. Was danach passierte, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen. Die Zeugen, die den Zwischenfall vom Ufer aus beobachtet hatten, sprachen davon, dass das Boot dann rückwärts geführt wurde.

Das Opfer wurde erst tags darauf in der Früh von Tauchern aus 30 Meter Tiefe geborgen, eine erste Suchaktion hatte wegen eines Gewitters abgebrochen werden müssen. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der grob fahrlässigen Tötung ein. Beschuldigter ist neben dem Niederösterreicher auch der 32 Jahre alte Kärntner, der als Bootsführer dem 44-Jährigen das Steuer überlassen hatte.

News liegt das Endgutachten vor. Die Ergebnisse des Gutachtens lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von News 39/17.