Emmanuel Macrons
Schule der Liebe

Bei Flaubert fing er Feuer: Macron verliebte sich als Teenager in seine Lehrerin

Der hagere Teenager ist in verschmutzte Lumpen gehüllt, irgendwie wirkt er angekränkelt von des Gedankens Blässe: "Was bereitet den Menschen mehr Angst, das Bellen eines Hundes oder der Schatten eines Mannes?", deklamiert er feierlich und streckt die Arme seitlich von sich, als wären sie Flügel - und er auf dem Weg in die große Freiheit. Dabei spielt er doch bloß eine Vogelscheuche.

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Frankreich - Emmanuel Macrons
Schule der Liebe

Es ist das Ende eines absurden Theaterstückes namens "La comédie du langage", "die Komödie der Sprache", und die Vogelscheuche in dieser Schulaufführung verkörpert ein gewisser Emmanuel Macron. Zu diesem Zeitpunkt ist er 15 Jahre alt und Hals über Kopf in seine Französischprofessorin verschossen. Die Performance ist ein voller Erfolg, das Publikum klatscht frenetisch, und Madame Brigitte Trogneux, die erleichterte Lehrerin, haucht dem gelehrigen Schüler wie beiläufig ein Küsschen auf die Wange. Bonjour, amour!

Heute ist der blässliche Gymnasiast von damals 39 Jahre alt, Chef seiner eigenen Bewegung und schickt sich an, Frankreichs nächster Präsident zu werden. Die blonde Pädagogin von damals zählt mittlerweile 64 Jahre, ist noch immer blond und wird wohl Frankreichs nächste Präsidentengattin. Ein Vierteljahrhundert trennt die beiden -aber sonst rein gar nichts: Seit 2007 sind sie nun schon verheiratet. Und aus dem Gefühlsleben einer adoleszenten Vogelscheuche ist ein Rührstück mit leicht frivolem Einschlag geworden: Emmanuel, seine Erzieherin und die harte Schule der Liebe - oh, là, là!

Es begann im Frühling des Jahres 1993 an der Jesuitenschule La Providence in der nordfranzösischen Provinzstadt Amiens. Brigitte, die Leiterin der Theatergruppe, inszenierte, und Emmanuel, der talentierte Darsteller, spielte die Hauptrolle. Erst galt es rein der Kunst, die beiden feilten selbstvergessen an den Dialogen und verdichteten gemeinsam die Szenenabfolge. Rasch entdeckte man Gemeinsamkeiten, beide schwärmten sie für Goethe, den gefühlsweisen Deutschen. Und erst für Gustave Flaubert, mon dieu! Flaubert, der alte Romantiker! "Stets gibt es ein Begehren, das mitreißt, und ein Gebot der Schicklichkeit, das zurückhält", schrieb er in seiner "Madame Bovary".

Ursprünglich war es Brigitte, die die Schicklichkeit verkörperte und das Begehren zu verdrängen versuchte. Mit ihren 40 Jahren war sie damals bereits eine erfahrene Frau, verheiratet, Mutter von drei Kindern, großbürgerlich-gediegener Hintergrund. Ihre mittlere Tochter, Laurence, war im selben Jahr geboren worden wie Emmanuel. Und dennoch: "Das Schreiben hat Emmanuel und mich jeden Freitag zusammengebracht und eine unglaubliche Nähe ausgelöst", blickt Brigitte zweieinhalb Jahrzehnte später zurück. "Ich spürte, dass ich ins Wanken gerate - und er auch."

Bürde der Bürgerlichkeit

Doch Madame Brigitte, die Literaturexpertin, wusste nur zu gut, welch tragisches Ende es mit Madame Bovary und deren Auflehnung gegen die bürgerlichen Konventionen genommen hatte. Und so schickte sie ihren schmachtenden Schüler schweren Herzens weg, weit weg: nach Paris, wo er sogleich ins Elitegymnasium Henry IV, eine Kaderschmiede für die französische Politik, wechselte. Doch gerade aus der geografischen Distanz wuchs - anstatt der von Brigitte erhofften Entfremdung - neue zwischenmenschliche Nähe. "Wir verbrachten Stunden und Stunden am Telefon", erzählt Brigitte. Mit 17 Jahren schließlich soll Emmanuel ihr voll Inbrunst versichert haben: "Egal was Sie tun: Ich werde Sie heiraten."

Doch waren die beiden nach zwei Jahren wechselseitiger Zutraulichkeit tatsächlich noch immer beim förmlichen Sie? Wurde der Hochzeitsplan wirklich derart pathosgeladen vorgetragen? Es wäre gut denkbar, dass die Spindoktoren des späteren Präsidentschaftskandidaten Macron da im Nachhinein noch am einen oder anderen dramaturgischen Schräubchen drehten, um ihren Mann zum emotionalen Helden zu hypen. Aber ist doch egal, n'a pas d'importance, wer will denn schon angesichts dieser generationsumspannenden Liebe dermaßen kleinkariert sein? Als im Jahr 2006 alle drei Kinder ausgezogen waren, reichte Brigitte die Scheidung ein, zog zu Emmanuel nach Paris und heiratete ihn ein Jahr darauf - so weit die Fakten.

Blankes Unverständnis

Und dennoch, der öffentliche Umgang mit dieser ungleichen Beziehung, die nun von der liberalen Welt als Inbegriff lässiger Selbstverständlichkeit gelobt wird, war nie wirklich einfach. Selbst im handverlesenen Kreis der Eingeweihten stieß das Ehepaar Macron immer wieder auf blankes Unverständnis. "Man erklärte uns, dass wir gegen die guten Sitten und die herrschende Ordnung verstoßen", erinnert sich Emmanuel Macron im Zuge des Wahlkampfes an die Frühphasen seiner Ehe zurück.

Macron, der smarte, vielleicht etwas streberhaft wirkende Investmentbanker, wechselte im Jahr 2012 in den Beraterstab von Präsident Hollande und wurde 2014 Wirtschaftsminister, war also längst eine öffentliche Person. Doch erst ein weiteres Jahr später machte er seine Beziehung öffentlich. Sowohl Emmanuel als auch Brigitte wussten: Es war ein Wagnis mit völlig offenem Ausgang. Immerhin, das Couple wurde von den Hochglanzgazetten hofiert, allein der französische Marktführer "Paris Match" hob den aufstrebenden Politstar und die siebenfache Großmutter schon viermal aufs Cover - und steigerte seine Auflage so um 30 Prozent.

Doch brachte die französische Öffentlichkeit dem ungleichen Paar tatsächlich ihr uneingeschränktes Wohlwollen entgegen -oder dominierte in Wirklichkeit der Voyeurismus, das Bedürfnis, diese politischen Liebesexoten möglichst oft in möglichst privaten Posen zu sehen? Einmal inszenierten sich die Macrons gar als legere Urlauber am Nacktstrand, sie mit makelloser Figur im geblümten Badeanzug, er in Poloshirt und punktierten Shorts. Die Nörgler und Neider formierten sich rasch, zunächst in Frankreich, dann weltweit.

Transatlantische Allianz

"Emmanuel Macron hat es bereits auf 65 Zeitungstitel geschafft, ohne überhaupt ein Programm zu haben", entrüstet sich etwa Arnaud Montebourg, Macrons Vorgänger als Wirtschaftsminister. Selbst das russische Internetportal "Sputnik" mischte mit, zitierte einen republikanischen Abgeordneten des US-Kongresses, der Macron als "Kandidaten der Gay-Lobby" verunglimpfte, ihm Homosexualität unterstellte und seine Brigitte so zur Alibi-Ehefrau degradierte. Keiner konnte ahnen, ob sich die toxischen Dämpfe aus der Gerüchteküche rechtzeitig zur Wahl verflüchtigen würden.

Doch nun haben die Macrons immerhin den ersten Wahlgang gewonnen. Ein Sieg für Europa, sagen die politischen Pragmatiker. Gustave Flaubert würde es wohl als Sieg der Romantik verbuchen.