Der Twitter-Nazi

von Twitter © Bild: iStockphoto.com/DKart

Einst wurde er gefeiert als einer der wenigen Superreichen, einer, der sich lautstark für die Klimarettung einsetzten und "Global Warming" als "die größte Gefahr für die Menschheit in diesem Jahrhundert" bezeichnete. Das war damals, als er erklärte, die Entwicklung der Elektroautos sei seine persönliche Reaktion auf die Klima-Katastrophe. Das Auto Tesla wurde zum Statussymbol der betuchten Klimaretter, die stolz in ihren Kreisen behaupten konnten, man tue eben etwas und rede nicht nur. Teslas Sonnenkollektoren "Solar Roof" schmücken viele Einfamilienhäuser, Musk unterstützt Entwicklung und Bau neuer, superschneller Bahnprojekte in den USA, um den Flugund Autoverkehr teilweise zu ersetzen.

Er verurteilte den Überfall der Russen auf die Ukraine und finanzierte Satelliten, die der Ukraine den Zugang zum Internet ermöglichte. Vertreter des Militärs lobten den Einsatz der Starlink-Satelliten" als kriegsentscheidend, da Bewegungen und Angriffe der russischen Armee beobachtet werden konnten. Musk war ein großzügiger Unterstützer von Ex-Präsident Obama während dessen Wahlkampf gegen Mitt Romney, der ihn damals als "Loser" bezeichnete.

Plattform des Teufels

Was hatte sich plötzlich geändert? Wie wurde aus diesem Elon Musk für die "Linksliberalen" plötzlich ein "Rechter", eine Gefahr für Demokratie und "Free Speech"? Als Musk vor einer Woche ankündigte, Twitter zu übernehmen, reagierte ein Teil der Twitter-Gemeinde wie Rumpelstilzchen, das von der Königin, die sich weigerte, ihm ihr Erstgeborenes zu überlassen, entlarvt wurde. Ein gewisser "Dr Philoponus" auf Twitter reagierte auf die Übernahme: "Ein guter Tag für alle Nazis weltweit". Mit seinem Vergleich mit Massenmördern und den Verantwortlichen für den Holocaust bewies er wahrscheinlich unbeabsichtigt, wie dringend notwendig eine Reform dieses Spielplatzes der "Anständigen" sei, die sich eine Narrenfreiheit sicherten, die faschistoide Propaganda wie Kinderbuch-Reime erscheinen lässt.

Amnesty International, sonst bemüht, Menschenrechtsverletzungen weltweit aufzuzeigen, twitterte: "Two words: Toxic Twitter". Vivian Schüller, Ex-Twitter Manager und gern gesehener Gast bei TV-Diskussionen, sprach von einer "katastrophalen Zukunft" für Twitter und einer "existenziellen Bedrohung". Die Schauspielerin Jameela Jamin schrieb, Twitter sei nun eine "Plattform des Teufels", und Jan Böhmermann, Satiriker und mehrfacher Millionär, twitterte: "Hä? Wieso gehört am Ende alles immer reichen Wichsern, die machen können, was sie wollen?" - wie haben wir doch alle gelacht.

Die Abgeordnete Anke Domscheit-Berg für "Die Linke" kritisierte, dass die Übernahme hochgefährlich sei. Das Beispiel Russland habe gezeigt, wie einseitige Kontrolle über Kommunikationskanäle Meinung und Wahrnehmung von Realität verändern könne. Natürlich kam der Vorwurf einer ideologischen Nähe zu rechtsextremen Parteien wie der AfD.

Verleumdung, Denunzierung bis zur Kriminalisierung, Gleichsetzung mit NS-Mördern, mit radikalen, politischen Gruppierungen und dem russischen Kriegsverbrecher. Wenn einem gar nichts mehr einfällt, geht es um den "gefährlichen" Reichtum der Milliardäre. Hass und Hetze wird im Dienst der "Guten Sache" als freie Meinung verteidigt, zumutbar und vertretbar, auch wenn es inhaltlich ein Schulbuch-Beispiel für "Hate Speech" ist -weder kritisiert noch von Twitter blockiert.

Progressive Ecke

Inflationär wird aus "progressiver" Ecke mit Begriffen hantiert, die den Schrecken teilweise verloren haben. Faschist, Nazi, Rassist und Sexist sind die häufigsten Etikettierungen. Die ursprünglich bedrohliche Symbolik ist verwässert und verlor an Bedeutung. Auf dem politischen Twitter-Spielplatz dominieren Warnungen vor und Verurteilungen von "Rechts" - wie ein Fußballmatch mit nur einem Tor. Vergleichbare Vorwürfe existieren nicht im Wortverzeichnis gegenüber der Linken. Kommunist ist immer noch eine akzeptierte, politische Einstellung. Stalinist oder Maoist wird weder als ehrenrührig noch herabsetzend erlebt. Man zeigte sich gerne mit Fidel Castro auf herzigen Erinnerungsfotos und veröffentlichte rührende Geburtstagsgrüße an ihn.

Mit einem reduzierten Twitter-Vokabular hat man es geschafft, in "Rechts" eine Gefahr für die Demokratie, und "Links" als demokratische Haltung zu verteidigen -als ob es Verbrechen von Stalin, Khmer Rouge und Mao nie gegeben hätte und keine Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Diktaturen. Das demokratische Gleichgewicht mit Links-Mitte-Rechts wurde zur schiefen Ebene umfunktioniert. Rechts der Mitte wird versucht, aus dem demokratischen Rahmen zu drängen, während auf der anderen Seite Linksradikale und Kommunisten hineinschlüpften.

Aus den Kreisen um US-Präsident Biden kamen bereits Bedenken, dass das Twitter-Verbot gegen Ex-Präsident Trump aufgehoben werden könnte. Empörung über die Hetze der Taliban und des Irans ist allerdings ausgeblieben. Unterstützer der radikalen Palästinenser übernahmen auf Twitter in den letzten Tagen die Drohung des Hamas-Führers Yahia Sinwar, "weltweit Tausende Synagogen zu zerstören" - mit keinerlei Konsequenzen. Als die "New York Post" während des Wahlkampfes Biden vs. Trump Dokumente über den Korruptionsverdacht gegen Bidens Sohn veröffentlichte, blockierte Twitter alle "Links" zu diesem Vorwurf.

Gebührenpflichtig

Musks Ankündigung, Twitter nicht für alle kostenfrei anzubieten, löste Empörung aus. Die Grenze zwischen Meinung und Werbung war oft unklar und irritierend. Journalisten zum Beispiel benutzten es, um auf Publikationen und Programme zu verweisen -in vielen Fällen jedoch mit polemischer Propaganda die Aufdeckung der "Wahrheit" anzukündigen.

Der Plan, eine Form der Authentifizierung einzuführen -selbst bei Benutzung eines anonymen Accounts -, stieß ebenfalls auf wenig Begeisterung. Es funktionierte doch so perfekt bisher. Auf gegenteilige Meinungen oder Kritik gut vernetzter "Stars" kam sofort eine Gegenattacke mittels eines Accounts mit null "Following" und null "Followern" - neu gegründet, um mit einem anonymen Account die Kritik auszugleichen und den Kritiker zu denunzieren. Das setzte sich lawinenartig fort mit oft infantilen Beleidigungen und bösartigen Beschimpfungen bis zu verbalen Ringkämpfen, die an Mark Twains Worte erinnern: "Wenn du mit einem Schwein raufst, werdet ihr beide schmutzig, und das Schwein genießt es."

Auch "Fake Accounts" als "Follower" würden mit Authentifizierung verhindert werden. Auf Kommentare von Twitter-Stars mit Hunderttausenden "Followern" reagiert etwa ein halbes Prozent - 99.5 Prozent der Fan-Gemeinde scheint es nicht zu interessieren.

Klima-Wandel

Trotz der teils emotionalen Diskussionen um die Twitter-Übernahme kam auch der Humor nicht zu kurz. "Ich werde nie vergessen, wo ich war, als Musk Twitter kaufte -ich war auf Twitter", schrieb der Schriftsteller Casey Newton. Der Satiriker Mike Drucker schrieb: "All jene, die behaupten, Twitter zu verlassen, haben heute mehr Zeit auf Twitter verbracht als je zuvor." Quinta Brunson, Star einer Satire-Show des US-Senders ABC, schrieb: "44 Milliarden für das?"-und zeigte daneben eine Mitteilung, die Elon Musk (@elonmusk) vor ein paar Monaten schrieb: "Twitter sucks".

Elon Musk ist keine einfache Persönlichkeit, so wie viele außerordentlich begabte Individualisten. Er liebt es, zu provozieren, passt mit seinen politischen Ansichten in keine Schublade und überrascht mit Entscheidungen, die anderen nie eingefallen wären. Für die progressive Umwelt-Bewegung scheint die Erkenntnis irritierend zu sein, dass ohne erfolgreiche Industrielle auch kein Klimawandel zu erreichen sei, erfolgsorientierte, kapitalistische Strukturen eher eine Verbesserung durchsetzen als verkehrsstörende Demonstrationen, angekettete Aktivisten und schöne Reden der Politiker. Musk hat den Anführern und Sprechern der Klimabewegung das Thema sozusagen aus den Händen gerissen, es in die Realität umgesetzt und damit auch noch viel Geld verdient. Das werden ihm viele nie verzeihen.