Elisabeth Gürtlers
Überlebensstrategien

Vor fünf Jahren übergab Elisabeth Gürtler das "Sacher" an ihre Kinder und baute das vom Vater ererbte "Astoria" um. Der Kredit war hoch, der Erfolg ansprechend. Dann kam Corona, und Tirol war Isolationszone.

von Menschen - Elisabeth Gürtlers
Überlebensstrategien © Bild: Astoria Resort/Ing. Andreas Rottensteiner

Das "Sacher" ist wie der Großglockner oder der "Jedermann": Sie würden auch ein noch wesentlich größeres Krisenaufkommen überstehen, und das auf lange Zeit. Elisabeth Gürtler, 70, hat das "Sacher" vor fünf Jahren nach dem Tod ihres Mannes Helmuth Lohner an ihre Kinder übergeben. Sie hat daraufhin 20 Millionen investiert, um das vom Vater ererbte Hotel "Astoria" in Seefeld zu einer der feinsten Wellness-Adressen des Landes auszubauen. Auch dank glänzender Vernetzung hatte sie guten Zulauf.

Dann kam Corona, und seither steht der Tiroler Tourismus noch ein wenig stiller als der Rest des Landes. 30 Prozent Auslastung im Juni, hohe Kredite: Andere würden da resignieren. Aber zur Resignation neigt Elisabeth Gürtler nicht. Und so brechen um dieses Wochenende herausragende Künstler des Landes per Sonderwaggon ins Tirolerische auf: Thomas Hampson, Angelika Kirchschlager, Michael Schade und Bo Skovhus aus der Welt der Oper, Michael Maertens, Herbert Föttinger, Sandra Cervik und Michael Dangl von der sprechenden Abteilung, die Maler Christian Attersee und Xenia Hausner, der Geiger Julian Rachlin. Unter stürmischer medialer Begleitung erkunden sie das körper- und seelenfreundliche Biotop und gestalten kurze Programme.

Frau Gürtler, bereuen Sie eventuell, dass Sie das Sacher abgegeben haben? Ein Hotel in Tirol ist doch derzeit keine sichere Aktie.
Ich bin eine nicht mehr ganz junge Person und 2015 zur Überzeugung gelangt, dass man rechtzeitig an die Jungen übergeben muss. Das habe ich gemacht, indem ich das "Sacher" an meine Kinder weitergegeben habe. Allerdings habe ich mich mit 65 nicht alt genug gefühlt, um mich zurückzuziehen. Erst wenn man nichts tut, wird man wirklich alt.

Schön, aber wie ist jetzt die Situation?
Ich hatte von meinem Vater ein Hotel ererbt, das so, wie es dastand, nicht lebensfähig war. Es schien mir damals eine große Gelegenheit, zu zeigen, dass ich etwas kann. Es ist ja eine ganz andere Aufgabe als diejenige, die ich gewohnt war, denn Stadttourismus und Erholungshotellerie sind verschiedene Dinge. So habe ich zu investieren begonnen und dieses Hotel während der Nebensaison umgebaut. Im Vorjahr wurde es fertig und ist sehr gut gelaufen. Aber dann kam schon die Schließung.

Wie viel haben Sie in das Hotel investiert?
Wenn ich die Dinge abrechne, die nicht unbedingt notwendig waren, etwa den Zukauf eines Grundstücks oder das Personalhaus, das ich gebaut habe, waren es 20 Millionen. Da laufen die Kredite, die abbezahlt werden müssen, wobei die Zinsen im Moment nicht sehr hoch sind.

Können Sie da in eine bedrohliche Situation kommen?
Das glaube ich nicht, außer, es kommt eine zweite Welle. Dann wird es haarig.

Sie sperren am 10. Juni wieder auf. Wie ist denn die Buchungslage?
Es wird nicht sein wie vorher, weil mir die Buchungszeit seit März fehlt und viele Menschen durch die Kurzarbeit ihren Urlaub schon abbauen mussten. Auch die Zahl derer, die überhaupt Urlaub machen können, ist geringer geworden. Ich habe jetzt pro Tag zehn, zwölf Buchungen, meine Auslastung für den Juni beträgt 30 Prozent. Normalerweise hätte ich um die 60. Im Juli komme ich wohl mit 45 bis 50 Prozent hin. Und wenn keine zweite Welle kommt, hoffe ich, spätestens im September wieder in einem Normalzustand zu sein. Vielleicht kriegen wir den August auch noch hin.

»Man muss Ideen haben, man muss Optimismus versprühen. Wenn ich jammere, werde ich nicht viele Gäste bekommen«

Viele sperren fürs Erste gar nicht auf. War das keine Option?
Auch wenn ich nicht aufmache, habe ich Kosten. Ich habe Abschreibungen, die ich verdienen muss, Energiekosten, Instandhaltungskosten, Mitarbeiter, die zwar in Kurzarbeit sind, aber im Haus beschäftigt werden. Unternehmer zu sein, heißt, etwas zu unternehmen. Und deshalb tue ich etwas. Man muss Ideen haben, man muss Optimismus versprühen. Wenn ich jammere, werde ich nicht viele Gäste bekommen. Aber wenn ich auf etwas Lust mache, werden die Leute von meinem Optimismus angesteckt. Auch der Ort Seefeld muss dieses Gefühl vermitteln, denn nur wenn der Ort offen hat, haben wir Chancen, dass Gäste kommen.

Ihr Optimismus ist nicht etwas zweckgebunden?
Die Frage ist, ob das, was wir in Seefeld haben, nicht eigentlich die neuen Werte verkörpert. Städtetourismus hat etwas mit Business und Kultur zu tun, ist aber sehr international und hat nichts mit Erholung zu tun. Herunterkommen, zu sich finden, es sich gut gehen lassen, die Balance finden, das sind die Werte, die jetzt zählen. Ibiza, Party und Ischgl sind vorbei. Ruhe, Besinnung, Familie, Natur, Regionalität zählen. Also genau das, was ich, vielleicht auch, weil ich älter bin, hier aufgebaut habe.

Wer kommt denn zu Ihnen? Auch Österreicher?
In den Ort Seefeld kommen sieben Prozent Inländer, in mein Hotel wegen der guten Vernetzung in Wien zehn Prozent. Der Großteil sind Deutsche und auch Schweizer, die auf Grund des besseren Preis-Leistungs-Verhältnisses von Österreich zur Schweiz gern hierher kommen. Sie gehen gerne wandern, spielen gerne Golf, und in Österreich schlägt der Preis.

Haben Sie Leute gekündigt?
Ganz zu Beginn der Krise war die Kurzarbeit noch nicht bekannt. Wir haben viele Mitarbeiter aus den Oststaaten, aus Kroatien, Slowenien, Ungarn. Die wollten nur schnell weg und gingen beim AMS in die Arbeitslose, aber mit Wiedereinstellungsgarantie. Sowie es ging, habe ich zumindest die Stammmitarbeiter aus dem AMS in die Kurzarbeit herausgeholt und mit zehn Prozent Arbeitsleistung angemeldet. Damit bekommen sie 70 bis 90 Prozent des Gehalts und kommen durch. Und da sie nicht nach Hause fahren konnten, haben sie gratis bei mir gewohnt.

Hat die Regierung nun richtig gehandelt oder die Wirtschaft ruiniert? Oder womöglich beides?
Sie hat richtig gehandelt, denn wären die Ansteckungszahlen in Österreich größer gewesen, wäre unser Tourismus für viel längere Zeit tot. So gehören wir zu den Ersten, die überhaupt aufmachen. Wäre ich in Italien und Spanien hätte ich ein echtes, großes Problem und viele Tote dazu. Niemand fährt in ein unsicheres Land, in dem er eine Krankheit fängt, an der er stirbt. Die Menschen haben Angst, und ihnen diese Angst zu nehmen, indem man zeigt, dass man alles Notwendige tut, das ist für den Tourismus ganz wichtig. Wichtig ist aber auch, nicht wahllos aufzumachen. Wenn man jetzt Italien gegenüber öffnet, fehlt jeder Überblick, und die Unsicherheit steigt wieder. Aufmachen darf man nur gegenüber Ländern, die einen ähnlichen Reproduktionsfaktor wie Österreich haben. Schlecht wäre allerdings, wenn diese Länder die Italiener einreisen ließen.

»Die Tragweite dieser Pandemie hat weder Tirol noch Ischgl verstanden«

Wie lebt es sich derzeit überhaupt in Tirol? Das Land wurde ja vielerorts zum Schurkenstaat Europas erklärt.
Aber sehen wir uns doch an, wie das zu Beginn war! Ich selbst habe Corona zuerst überhaupt nicht ernst genommen. Im bin am Mittwoch nach Tirol gekommen, weil ich für Samstag zu einem Gourmet- Essen mit 13 Haubenköchen eingeladen hatte. Am Donnerstag kamen die ersten Anfragen, ob ich das wirklich mache, und ich sagte: "Corona? Seids doch nicht hysterisch, ich hab keine Angst!" Aber Donnerstag kamen schon die ersten Absagen, Freitag habe ich storniert, und dann wurde bald alles zugesperrt. Die Tragweite dieser Pandemie hat weder Tirol noch Ischgl verstanden.

Und Tirol kann sich von diesem Debakel erholen?
Was nördlich vom Inn ist, das Seefelder Hochplateau, das Mieminger Hochplateau, der Achensee, dort war nie Event. Dort ist die Wellnesskultur entstanden, dort waren die Wurzeln des neuen Umgangs mit sich selbst. Paris Hilton hat ihren Sekt nicht bei uns, sondern in Ischgl präsentiert! Der Süden war der Eventplatz! Jetzt haben sich die Werte hoffentlich verschoben.

Wie viele Hotels werden die Krise nicht überleben? 30 Prozent?
Das kann ich mir schon vorstellen. Wer schon vor der Krise hohe Kredite hatte und jetzt Investitionsbedarf hat, schafft es nicht.

Kommen wir zum Beginn des Gesprächs zurück. Das Sacher hat schwerste Einbrüche, ist aber praktisch unsinkbar. Sie wären nicht doch lieber dort?
Da ging es ja nicht um mich, sondern darum, dass sich meine Kinder eine Zukunft aufbauen! Es stimmt schon: Etwas abzugeben, womit man sich so identifiziert wie ich mit dem Sacher: Das ist nicht leicht, denn wenn man etwas abgibt, muss man es wirklich abgeben und darf sich nicht mehr einmischen. Das tut weh. Aber man braucht einen Plan für etwas Neues, und ich war über meinen Plan froh und bin es immer noch. Außerdem konnte ich im Sacher die letzten Jahre schon mit der Routine arbeiten. Da schafft erst eine Herausforderung neue Energie: alles neu überdenken, mit einem neuen Beruf, denn Ferientourismus ist ein anderer Beruf als Städtetourismus. Die Menschen bleiben länger, sie sitzen den ganzen Tag bei dir im Haus, du musst sie bespaßen. Ich bin der Entertainer, ich muss entscheiden, ob ich ihnen Yoga oder Wandertouren biete oder Intervallfasten. Das ist eine neue Aufgabe.

Sie haben das Hotel in Seefeld seinerzeit unter unglaublichem Stress wieder aufgebaut, sind wöchentlich zwischen Wien und Tirol gependelt. Das war wohl auch eine Strategie gegen die Verzweiflung nach Helmuth Lohners Tod im Frühjahr 2015
Freilich.

Was sagen Sie denn Leuten, die deprimiert sind, die keine Perspektive haben?
Es ist zunächst eine Frage der Konstitution, ob man untergehen will oder einen Selbsterhaltungstrieb hat. Wenn man das Leben noch nicht aufgegeben hat, sondern im Leben auch Positives sieht, weil man etwas bewirken kann -mit einem Wort: Wenn man Energie hat, dann findet man etwas, das einen engagiert. Das kann auch ein soziales Engagement sein wie bei Cecily Corti, der Witwe von Axel Corti, die sich für Obdachlose engagiert. Etwas zu tun, ist ein Lebenselixier. Das kann im Großen und im Kleinen sein.

»Auf keinen Fall darf man sich selbst bemitleiden, denn sonst gibt man sich auf«

Und wenn jemand vor dem Nichts steht?
Auf keinen Fall darf man sich selbst bemitleiden, denn sonst gibt man sich auf. Man muss einen Zettel nehmen und eine Aufstellung machen: Was ist schlecht, aber wo gibt es einen guten Ansatz, etwas, das ich tun kann? Wem kann ich helfen, der in einer noch schlechteren Lage ist als ich, sodass er wieder ein Licht am Ende des Tunnels sieht?

Wie lange dauert es, einen Verlust zu überwinden?
Man braucht drei Jahre, und vergessen kann man nie. Für mich ist der Helmuth nach wie vor da, seine Stimme ist präsent, ich denke täglich einige Male an ihn. Aber man verdrängt irgendwann die letzten, schweren Zeiten, und die schönen Erinnerungen werden stärker.

Michael Köhlmeier, der seine Tochter verloren hat, spricht vom Glück des Neubeginns, wenn man den Schmerz akzeptiert hat.
Ja, man spürt wieder, dass man lebt, aber es ist anders. Und dieses Anderssein, diese neue Phase des Lebens, spendet Energie.

Leben Sie wieder in einer Partnerschaft?
Nein. Das ist auch gar nicht so einfach. Wenn man 20 Jahre glücklich miteinander gelebt hat, geht das nicht so. Man ist ja auch älter. Wenn man jung ist, ist man eher bereit, sich anzupassen. Aber ein Zusammenleben, wie ich es mit meinem ersten Mann Peter Gürtler und dann mit dem Helmuth hatte, das ersetzt man nicht einfach durch ein anderes.

Nun rücken Sie Ihr Hotel mit einem Künstlerprojekt ins Bewusstsein. Was ist da Ihre Strategie?
Kunst und Tourismus haben etwas miteinander zu tun, weil sie voneinander abhängig sind. Ein Gastronom ist aus Leidenschaft, was er ist. Er ist Gastgeber und versucht, alles, was in seinen Emotionen ist, in sein Haus zu packen. Auch Kunst ist Ausdruck von Emotionen, sie drückt sich nur anders aus. Kunst kann überall stattfinden, auch auf einer Alm und am Badesee. Das will ich zeigen, und ich will zeigen, dass wieder Optimismus möglich ist. Ich bin optimistisch, und auch die Künstler, die zu mir kommen, sind es, jetzt, wo sich wieder so viel öffnet. Aus diesem Optimismus werden sie einen Nachmittag bei mir ihren Emotionen freien Lauf lassen. Wir beginnen schon mit der gemeinsamen Anreise, wir treffen einander auf dem Wiener Hauptbahnhof und fahren mit einem Sonderwaggon. Die Umwelt hat ja aufgeatmet, als plötzlich alles niedergefahren wurde, und die Seen sind wieder rein. Warum sollen wir da nicht auch aufatmen?

ZUR PERSON: Elisabeth Gürtler-Mauthner wurde am 7. Mai 1950 in Wien als Tochter eines internationalen Handelsunternehmers geboren, studierte Welthandel und schloss mit dem Titel "Diplomkaufmann" ab. Nach dem Tod ihres Ehemanns Peter Gürtler übernahm sie die Geschäftsführung des familieneigenen "Sacher". Sie war Organisatorin des Opernballs und Leiterin der Hofreitschule. Sie hat zwei Kinder. 2015 starb ihr zweiter Ehemann Helmuth Lohner.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News 23/2020 erschienen.