Elfriede Jelinek
ohne Feinripp

Eine wunderbare Aufführung von Elfriede Jelineks Trump-Groteske "Am Königsweg" eröffnet neue Blicke auf die hoch musikalische, zuinnerst österreichische Autorin

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Elfriede Jelinek ist die heute einflussreichste Autorenpersönlichkeit ihres Sprachraums. Ahnt sich eine Bühne in Deutschland, Österreich oder der Schweiz mit den funkelnden Textgebilden überfordert, rückt sie wenigstens einen Wilde oder Feydeau in Jelinek-Übersetzung ins Programm. Schon haben sich unter den Regisseuren Jelinek-Reisende etabliert, die auch in Fremdtexte - von "Faust" bis "Pension Schöller" - prinzipiell ein paar Sätze von Nobelpreisträgerinnenhand verschneiden. Das war alles andere als vorhersehbar, als die Schwedische Akademie vor 15 Jahren ihre Entscheidung bekannt gab. Die zum Teil identische Afterraupenprozession des Feuilletons, die der österreichischen Weltliteratin heute die Verehrung erklärt, gefiel sich in abstoßenden Hohnbekundungen. Dabei logierte der sein Amt desavouierende "Spiegel"-Kulturchef -er feierte kürzlich im AfD-und Identitärenkreis den Fünfundsechziger -mit seinen achselschwitzenden sexuellen Anzüglichkeiten nur im Mittelfeld der Widerwärtigkeit. Wie konnte sich die Wahrnehmung der Kulturblase derart in ihr Gegenteil verkehren? Weil sich Elfriede Jelinek den größtmöglichen Luxus geleistet hat: den des Ablaufdatums. Ihre scharfgeschliffenen, hundertdeutigen Textflächen ohne Rollen und Dialoge nehmen zu Tagesaktualitäten Stellung. Damit schenkt sie dem Theater die Illusion der Erfüllung des alten Traums von der politischen Wirkmächtigkeit. Die Regisseure wiederum hat sie ausdrücklich zum freien, rücksichtslosen Zugriff auf das Werk ermutigt. Dass Kollegen von Goethe bis Turrini das eventuell anders gesehen haben, steht mittlerweile nicht mehr zur Debatte. Wirklich haben einige wenige Genies -etwa Schleef oder Schlingensief -die freie Hand zu visionären, das Genre erneuernden Schöpfungsakten erhoben. Aber Legionen anderer trampeln jetzt durch Pretiosen der Weltliteratur und haben zudem den Beruf des Schauspielers pervertiert: Psychologie, Verwandlungskunst, zwischentonreiche Sprachbeherrschung gelten als paläozoisch. Lautes, präpotentes Krampfgewitzel tunlichst von Herren, die mindestens einmal pro Abend aus der Feinripp-Unterhose mit dem Gemächt wedeln, ist der Feuilleton-zertifizierte Maßstab der Virtuosität. All das wurde auch in Jelineks Namen angerichtet.

Und denn materialisiert sich in St. Pölten ein Theaterwunder, das diese Eskapaden zu Missverständnissen erklärt. "Am Königsweg", ein zu internationaler Aufmerksamkeit gelangter Kampftext gegen Trump, wurde auf Wunsch der Autorin nach Niederösterreich vergeben. Auch den Regisseur, den Puppenmagier Nikolaus Habjan, hat sie selbst ausgesucht. Und das mit Bedacht, sind doch die Kreaturen, die sich in den Textflächen verstecken, laut Szenenanweisung den "Muppets" nachgeformt. Habjan gehorcht, aber er tut noch mehr: "Am Königsweg" ist auch Reflexion des eigenen Schmerzes, des ohnmächtigen Aufbegehrens, des Altwerdens und Sterbens. Deshalb sprach die öffentlichkeitsabstinente Autorin längere Passagen auf Tonband, und sie treten in magische Widerrede mit drei Jelinek-Puppen. Mit einem Mal wird klar, dass Elfriede Jelinek keine Feinripp-Couturière, sondern eine zuinnerst österreichische Dichterpersönlichkeit ist. Die Musikalität der Sprache waltet da, das Lächeln unter Tränen: "Am Königsweg" ist in Habjans Deutung ein Zaubermärchen, sarkastisch wie "Lumpazivagabundus" und doch voll Raimund'schem Abschiedsschmerz. Sie habe sich die Aufführung streamen lassen, schreibt Elfriede Jelinek auf Anfrage, sei beeindruckt und von der eigenen, erkältungshalber "brüchigen Greisinnenstimme" seltsam ergriffen gewesen. Und jetzt die Pointe: Mancher meiner Kollegen reagiert auf die nicht Feinripp-kompatible Regie mit Skepsis. Besser, man ignoriere Jelineks Szenenanweisungen. Wie war das gleich mit den Geistern, die man rief?

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