Elfriede Jelinek: Die Nobelpreisträgerin zur
Uraufführung ihrer Meinl-affinen Groteske

Jelinek im NEWS-Talk: "Ich bin wie ein Terrier"

Dass die Nobelpreisträgerin Absprachen mit der Staatsanwaltschaft getroffen hätte, darf ausgeschlossen werden. Auch dass sich Julius V. fluchtverdächtig in den Privatjet gesetzt hätte, um der aktuellen Jelinek-Premiere quasi als Sachsponsor Werbung zukommen zu lassen, ist unwahrscheinlich.

Elfriede Jelinek: Die Nobelpreisträgerin zur
Uraufführung ihrer Meinl-affinen Groteske © Bild: NEWS/Martin Vukovits

Am 16. April wird in Köln das „Wirtschaftsstück“ mit dem Titel „Die Kontrakte des Kaufmanns“ szenisch uraufgeführt (die spektakuläre Urlesung im Akademietheater mobilisierte schon im März die Theater- und Literaturwelt). Nun wurde, beeindruckend terminpräzise, der unmissverständliche Protagonist des Werks, Julius Meinl V., 58, in Wien verhaftet und nach Entrichtung von 100 Millionen Kaution freigelassen.

Wird die Autorin, die ihre Texte im Internet gern Veränderungen unterwirft, die letzte, an Trash gemahnende Entwicklung noch in die Uraufführung einarbeiten? „Nein“, sagt sie gegenüber NEWS. „Da muss nichts mehr adaptiert werden. Das wäre auch unredlich, das nachträglich noch einzufügen, es steht ja schon alles drin.“

Zum Beispiel das: „Wir müssen eine Haftpflichtversicherung abschließen, bevor man uns verhaftet und damit wir dann nicht mehr haften müssen und nicht mehr in der Pflicht sind, das ist doch wohl verständlich, daß wir uns mit einer Haftpflichtversicherung gegen die Haftung, gegen die Sippenhaftung versichern können, die unseren alten Namen in den Dreck zieht, den wir uns mit Kaffee, Marmelade, Käse, Schinken und Würsten und so weiter erworben haben, und so reicht unser Name also viel weiter als wir selber, unser Name reicht aus, um uns reich gemacht zu haben, unser Name reicht aus, um auch Sie reich zu machen, um elegant ins Fernsehen zu treten, aus dem Kapital unseres Namens noch mehr Kapital zu schlagen, dem Kapital unseres Namens ein weiteres, größeres Kapitel hinzuzufügen, eine Bank, die vom Kapital unseres Käse-, Wurst-, Marmeladen- und Kaffeeimperiums zehrt.“

Fast tagesaktuell hatte die Nobelpreisträgerin den Meinl-Skandal des Jahres 2007 zum Stück verarbeitet. Im Sommer waren seltsame Transaktionen der Immobilienverwaltungsgesellschaft Meinl European Land ruchbar geworden. Viele, auch Ältere und weniger Betuchte, hatten im Vertrauen auf den großen Traditionsnamen ihr Erspartes investiert. Schon im Herbst entstand Jelineks Stück. Die Grundlagen dafür gaben Medienberichte und das euphorisch seriöse Vorwort zum Geschäftsbericht 2006 der Meinl-Bank.

Elfriede Jelinek zu NEWS: „Ich bin sehr schnell in solchen Sachen, das stimmt, mich interessiert halt der hohe Ton der Antike in Verbindung mit dieser Kleinkariertheit und Erbärmlichkeit dieser Geschäftemacher, die ja im Grunde sehr banal sind, auch wenn sie Tausende betrügen. Und wenn ich mal an einem Thema hänge, bin ich wie ein Terrier, da lass ich nicht mehr los.“ So verdichtet sie den Wirtschaftsskandal im Stil einer griechischen Tragödie. „Chöre der Greise und Kleinanleger“ treten auf. Der Name Meinl wird nie genannt, doch die Firma ist etwa in der Gestalt ihres berühmten Emblems allgegenwärtig. So ist da vom „Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat und schon gegangen ist“ die Rede, vom „Greißler als Bankier, der Bauer als Millionär: viel versprochen, nichts gehalten!“ oder vom „Mohr, der gegangen ist, wenn auch nicht dahingegangen, doch dahingegangen mit unserem Ersparten, unser Knecht, der sich zum Herrscher aufgeschwungen.“ Irgendwie gönnt man dem Mann die Unsterblichkeit nicht. Susanne Zobl

Aus dem aktuellen NEWS Nr. 15/2009