Was die Einstufung von Atomkraft als "grün" bedeutet

Umweltfaktoren haben für Firmenbewertungen, Finanzprodukte und Finanzinstrumente an Bedeutung gewonnen. Die EU hat sich des Themas angenommen und will einheitliche Kriterien für klimafreundliche Investitionen. Heute präsentiert die EU-Kommission ihren finalen Text zur sogenannten Taxonomie. Es wird erwartet, dass Atomkraft und Gas als "grüne" Brückentechnologien eingestuft werden. Österreich droht in diesen Fall mit einer Klage gegen die EU-Kommission.

von Was die Einstufung von Atomkraft als "grün" bedeutet © Bild: imago images/ANP

Was ist die Taxonomie?

Die sogenannte Taxonomie ist eine Art Klassifizierung für EU-weit einheitliche Kriterien, die bestimmen sollen, welche Finanzprodukte und Investitionen sich als nachhaltig im ökologischen Sinne deklarieren dürfen - das soll dabei helfen, die für die Klimawende benötigten Milliarden zu mobilisieren. Private Investoren sollen ermuntert werden in die entsprechenden Energieträger zu investieren, aber auch für staatliche Fördergelder spielt die Einordnung eine große Rolle.

Anfang Dezember wurde ein Rechtsakt mit dem weniger umstrittenen Teil der Taxonomie für "grüne" Bioenergie, Wasserkraft oder Forstwirtschaft angenommen. Darin werden Aktivitäten wie die Stromproduktion mit Solarpaneelen oder Transport per Bahn als klimafreundlich aufgelistet. Es werden auch etwa Kriterien für umweltfreundliche Wasserkraftwerke festgelegt.

Einen Entwurf für den strittigen Teil über Atomenergie und Gas legte die EU-Kommission in der Silvesternacht vor. Danach konnten die EU-Staaten bis 12. Jänner für ihre Änderungen an dem Text werben, auch Experten wurden angehört. Am heutigen Mittwoch will die EU-Kommission nun das Endergebnis präsentieren, dabei dürften jedoch nach Angaben von EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness keine großen Änderungen zutage treten.

Der Einbeziehung von Atomkraft unterliegen laut dem aktuellen Text Bedingungen: Investitionen in neue AKW sollen dann als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neusten technischen Standards entsprechen. Darüber hinaus muss ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt werden. Zudem ist als eine weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten und somit gilt die Einstufung gemäß der Taxonomie nur einen bestimmten Zeitraum.

Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm sogenannte CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt - gerechnet auf den Lebenszyklus.

Ist Atomkraft CO2-neutral?

Keineswegs. Bei Uranabbau, Brennelementherstellung, Kraftwerksbau und -rückbau sowie Endlagerung ist teilweise ein hoher Energieaufwand notwendig. Laut einem Bericht des UNO-Weltklimarats (IPCC) von 2014 liegen Treibhausgasemissionen von Kernkraftwerken über den gesamten Lebenszyklus im Bereich von 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde, wahrscheinlich eher im Bereich von zwölf CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde, wie das deutsche Umweltbundesamt (UBA) auf seiner Homepage darlegt. Im Vergleich zu anderen Energiequellen gibt es jedoch unterschiedliche Berechnungen, die aber meist eines gemein haben: Atomkraft liegt in der CO2-Emission immer hinter fossilen Energieträgern wie Braunkohle und Erdgas.

Wer sind die Befürworter und Gegner der Einstufung von Atomkraft als "grün"?

Frankreich führt die Atomlobby unter den EU-Staaten an. Rund 70 Prozent des Stroms stammt in Frankreich aus nuklearer Energie. Zum Vergleich: Der EU-Durchschnitt liegt bei einem Viertel. Französische Spitzenpolitiker betonten stets, nur mit Atomstrom könnten auch die ehrgeizigen Klimaziele eingehalten werden. Kritiker führen primär einen anderen Grund ins Feld: Die Einstufung von nuklearer Energie als "grünes" Investment nutze vor allem dem staatlichen Energiekonzern und weltweit größten Anbieter von Atomstrom EDF, der derzeit in einer tiefen Krise stecke.

Hinter Frankreich steht jedoch die Mehrheit der Mitgliedsländer. Vertreter aus Bulgarien, Kroatien, Frankreich, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn unterzeichneten im Oktober einen Text, in dem Kernenergie als Teil der Lösung für die Klimaneutralität bezeichnet wird. Auch die Niederlande und Schweden äußerten sich positiv zu dieser Technologie.

Auf der anderen Seite steht Österreich, unterstützt unter anderem von Luxemburg, Dänemark und Deutschland. "Grün" dürfe nur auf Finanzprodukten stehen, wo auch grün drin sei, forderte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Die erneuerbaren Energien seien "deutlich günstiger, deutlich schneller verfügbar und die sichere und bessere Alternative". Gewessler kündigte rechtliche Schritte an, sollte Atomkraft als nachhaltige Energiequelle eingestuft werden.

Kann eine Klage erfolgreich sein?

Da gehen die Meinungen auseinander. Europarechtler Walter Obwexer rät Österreich von einer Klage gegen die EU-Kommission ab. Die Aussichten, damit durchzukommen, seien nicht groß, sagte Obwexer Anfang Jänner. Eine Klage vor dem EuGH, wie von Gewessler anvisiert, hätte ihm zufolge auch keine aufschiebende Wirkung.

Eine sogenannte Nichtigkeitsklage gegen die Taxonomie könnte laut dem Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck aus zwei Gründen erfolgen: Verstoß der Kommission gegen die bisherige Taxonomieverordnung von 2020 und/oder Ermessensüberschreitung durch die Kommission. Obwexer: "Beide Klagegründe scheinen nicht Erfolg versprechend zu sein."

Gewessler zeigte sich unterdessen optimistisch, dass der Rechtsweg durchaus erfolgreich sein könnte. "Wir haben sehr, sehr starke Argumente", sagte sie unlängst. Auch ein Jurist des europäische Think Tank "Centre for European Policy Studies (CEPS) erklärte, "europarechtlich darf die EU-Kommission nicht über die Nachhaltigkeit von Atomenergie und Erdgas entscheiden". Weil die Frage hochumstritten ist, müsste eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) laut Reichert Erfolg haben, da es sich nicht nur um eine "nicht wesentliche", technische Detailregelung handelt, so der Experte Götz Reichert.

Bringt das "grüne" Label mehr Investitionen in die Atomkraft?

Das wird sich erst zeigen müssen, aber die im Vorfeld gab es schon Zweifel. Der Chef der Europäischen Investitionsbank (EIB), der Deutsche Werner Hoyer, erteilte Investitionen in nukleare Projekte auf jeden Fall bereits eine Absage. "Es war uns nie verboten in nukleare Projekte zu investieren, aber wir haben es nie getan und beabsichtigen das auch nicht zu ändern", sagte Hoyer zuletzt. Er fürchtet wie auch EU-Budgetkommissar Johannes Hahn um die Glaubwürdigkeit von nachhaltigen Investitionen.

Wie geht es weiter?

Beschließt die EU-Kommission ihren Vorschlag endgültig, ließe sich das geplante Inkrafttreten der neuen Regeln zum 1. Jänner 2023 nur noch verhindern, wenn 20 der 27 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung oder eine absolute Mehrheit im Europaparlament dagegen stimmen. Beides gilt aber als nahezu ausgeschlossen.