Nicht ganz voll genommen

Um das gestörte Verhältnis der Öffentlichkeit zu den Lehrern (und umgekehrt) zu normalisieren, braucht es vor allem eines: Angleichung.

von Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Kennen Sie den? Arbeitet ein Lehrer mehr als fünf Stunden am Tag der Witz ist schon vorbei, Sie dürfen lachen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat ihn vor einiger Zeit etwas drastischer erzählt, die einen fanden seine klaren Worte erfrischend, andere waren empört.

Über 20.000 Lehrer gibt es in Österreich - viele von uns haben täglich mit ihnen zu tun -, und trotzdem sind es irgendwie "die anderen". Die mit den neun Wochen Sommerurlaub. Die, die den ganzen Tag nur mit Kindern zu tun haben. Die aus einer Art geschützter Werkstätte kommen. Die, die es nie aus der Schule heraus geschafft haben. Tatsächlich kämpft die Lehrerprofession mit vielen Problemen. Dass LehrerIN ein Frauenberuf ist, zum Beispiel. Es ist ein Teufelskreis: Der Lehrberuf ist schlechter angesehen, weil er hauptsächlich von Frauen ausgeübt wird, und er wird hauptsächlich von Frauen ausgeübt, weil Männer in die prestigeträchtigeren Jobs gehen.

Arzt, Anwalt, das ist was. Lehrerin dagegen gilt als -akademischer -Beruf zweiter Klasse, den in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit vor allem latent arbeitsscheue Frauen ergreifen, die den merkwürdigen Wunsch verspüren, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Welche überfordert zwischen Familie und einem normalen Fünf-Wochen-Urlaub-Job hin und her hetzende Frau kann ihnen das verdenken?

"Unverkennbar besitzt der Lehrberuf, verglichen mit anderen akademischen Berufen wie dem des Juristen oder des Mediziners, ein gewisses Aroma des gesellschaftlich nicht ganz Vollgenommenen", formulierte es Theodor W. Adorno 1965 in seinem Text "Tabus über dem Lehrberuf" elegant. Manches darin ist uns heute fremd, anderes regt zum Nachdenken an. Seine Beobachtung zum Beispiel, dass gerade die begabtesten Absolventen es als eine Art Zwang empfänden, Lehrer zu werden, dem sie sich nur "mit ultima ratio" fügen.

Um das gestörte Verhältnis der Öffentlichkeit zu den Lehrern (und umgekehrt) zu normalisieren, braucht es vor allem eines: Angleichung. Der Lehrberuf muss, bei allen Besonderheiten der Pädagogik und des Schulwesens, ein ganz normaler Beruf werden. Einer, bei dem sich Leistung lohnt und bei dem man sich auszeichnen kann. Der aber auch gewissen kritischen Überprüfungen durch die Gesellschaft standhält. Die Zeit der Witze und Pauschalverurteilungen ist vorbei. Die der Arbeitsscheu auch.

"Ein hoher Bildungsstand der Bevölkerung und eine hohe Qualität des Bildungssystems sind wichtige Voraussetzungen für wirtschaftliche Erfolge und für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes", ist in einer Wifo-Studie nachzulesen. Der Schlüssel dazu sind gute, motivierte Lehrer. Wir haben keine andere Wahl.

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