1.000 Euro für alle: Eine
Utopie im Faktencheck

Tausend Euro für alle - das klingt großartig. Aber wie könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Realität aussehen? Eine Utopie im Faktencheck.

von Einkommen - 1.000 Euro für alle: Eine
Utopie im Faktencheck © Bild: iStockphoto.com

Helmo Papes Weltbild zerbröselte 2008. Bis dahin hatte der Banker fest an Grundsätze geglaubt wie: "Jeder ist seines Glückes Schmied." Oder: "Wenn du dich nur genug anstrengst, kannst du alles schaffen." Dann kam die Finanzkrise. Triple-A-Banken gingen pleite, Staaten wankten. Und Pape war klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. "Aber wenn man gefragt hat, wie es weitergehen soll, waren überall leere Gesichter", erzählt Pape. "Auch bei mir." Er begann zu lesen und zu recherchieren und geriet bald an ein Buch, das sein Leben verändern sollte: "Einkommen für alle" von Götz Werner, Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm. "Ich habe das zuerst abgelehnt", sagt Pape, der Ex-Banker. "Ich dachte zuerst, das ist die größtmögliche Sozialhilfegießkanne. Erst dann bin ich darauf gekommen, es ist das Werkzeug zu einer Gesellschaft freier Menschen. Das gab es noch nie. Das ist etwas ganz Neues."

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Selbstverwirklichung für alle

Die Idee ist nicht ganz neu, aber sie verbreitet sich gerade rasant. Was, wenn jeder Mensch ein festes, bedingungsloses Einkommen beziehen würde, das ihm ein einfaches, aber würdevolles Leben ermöglicht? Nicht nur Künstler und Intellektuelle schwärmen von diesem Gesellschaftsmodell. Tesla-Chef Elon Musk sprach sich vor zwei Jahren für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Facebook-Gründer Marc Zuckerberg äußerte sich in einer Rede vor Harvard-Absolventen ähnlich: "Wir sollten Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen erforschen, weil es jedem einen Polster gibt, um neue Dinge auszuprobieren." Selbstverwirklichung ist das eine Argument. Das zweite, vielleicht wichtigere: Die Silicon-Valley-Milliardäre wissen ganz genau, welche Auswirkung Automatisierung und Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt haben. Studien zufolge könnten durch neue Technologien bis zu 50 Prozent der Jobs verschwinden.

"Im Moment ist das Grundeinkommen noch eine Utopie", sagt der Linzer Volkswirtschaftsprofessor Friedrich Schneider. "Aber da die Finanzierung unserer Sicherungssysteme durch die sich stark ändernden Arbeitsbedingungen und die demografische Entwicklung gefährdet ist, kann es durchaus eine realistische Alternative sein." Konkret heißt das: Immer weniger Berufstätige müssen immer höhere Ausgaben im Sozialbereich stemmen. Auf dem Faktor Arbeit werde das langfristig nicht aufzubauen sein, ist Schneider überzeugt. "Arbeit wird immer mobiler. Die Leute treten nicht mehr mit 16 in einem Betrieb an und hören mit 65 auf. Sie gehen ins Ausland, arbeiten woanders, sind mal selbstständig, mal unselbstständig, mal arbeitslos. Das erschwert eine dauerhafte Finanzierung."

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle könnte das System entlasten. Die genaue Umsetzung ist aber unklar. Es gibt zahlreiche Modelle, die sich in ganz grundsätzlichen Punkten unterscheiden. In einer Studie aus dem Jahr 2017 stellt Schneider mehrere vor. Dm-Gründer Götz Werner, Proponent der Debatte im deutschsprachigen Raum, möchte bis zu 1.500 Euro pro Person auszahlen und sieht eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer vor. Eine Version, über die 2016 in der Schweiz abgestimmt wurde, würde auf Österreich umgelegt bedeuten: 1.362 Euro für jeden Erwachsenen, 340 Euro pro Kind. Familienbeihilfe, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und ähnliche Leistungen werden eingespart. Die Finanzierung erfolgt über eine Einkommenssteuer als Flat Tax mit 45-prozentigem Steuersatz. Die Organisation Attac schließlich legte 2013 ein Modell vor, wonach 1.000 Euro 14 Mal pro Jahr ausbezahlt werden -die hohen Kosten (114 Milliarden Euro pro Jahr) setzen laut der NGO umfangreiche Reformen der Steuer-und Sozialversicherungssysteme voraus.

Gefahr Sozialabbau

Ein besseres Leben für alle oder doch nur gnadenloser Sozialabbau? Theoretisch ist beides drin. Der österreichische Filmemacher Christian Tod setzt sich seit vielen Jahren mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auseinander. In seinem auf DVD erhältlichen Kinofilm "Free Lunch Society" lässt er Vertreter der Bewegung zu Wort kommen und zeigt internationale Beispiele. "Grob gesagt gibt es zwei Denkrichtungen", sagt er. "Einerseits die Vorstellung von einem progressiv-emanzipatorischen Grundeinkommen, dessen Höhe bei mindestens 1.500 Euro liegen müsste und das echte gesellschaftliche Teilhabe erlaubt. Und andererseits das neoliberale Grundeinkommen. 600 bis 800 Euro pro Monat bei gleichzeitigem Abbau des jetzigen Sozialstaates. Wenn es eine Gefahr an dieser Diskussion gibt, dann die, dass wir bei dem neoliberalen Modell landen."

So oder so: Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde jedenfalls einen radikalen System-und Gesellschaftswandel bedeuten. Pensionen wären mit der Höhe des Grundeinkommens weitgehend vereinheitlicht. Leistungen wie das Arbeitslosengeld fallen weg. Der Anteil der Einkommen unter der Armutsgrenze verschwindet -bei ausreichend hoher Auszahlung -fast komplett, höhere Einkommen verlieren leicht. Der Mensch ist nicht mehr Leistungsträger im Arbeits-Hamsterrad, sondern selbstbestimmter Verwalter seiner eigenen Ressourcen. Dieses neue Menschenbild, meint Christian Tod, sei der Hauptgrund für die politischen Widerstände. "In Österreich liegt das Thema weitgehend brach. In Deutschland sind sie schon weiter, aber es gibt in allen Lagern Gegner. Die Politiker trauen den Menschen zu wenig zu. Deswegen haben wir auch diesen kontrollierenden Sozialstaat, der jedem vorschreibt, wie er zu leben hat. Das ist ganz tief in uns drinnen. Im linken wie im rechten Lager gleichermaßen."

Die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen, am vehementesten von Unternehmern vertreten, sei in diesem Sinne "weder rechts, noch links, sondern vorwärts", meint Tod. Eine weiteres Problem besteht in der Definition der Anspruchsberechtigten. "Wenn Sie sagen, jeder in Österreich lebende EU-Bürger bekommt das Geld, haben Sie sofort einen Massenzuzug aus dem Osten, aber auch aus Italien und Spanien", sagt Wirtschaftsprofessor Schneider. "Österreich könnte nicht im Alleingang ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Sie sehen schon, es ist eine gute Idee, aber in der Umsetzung teuflisch schwierig."

Mit einem Vorurteil immerhin kann Schneider aufräumen: Untersuchungen haben gezeigt, dass die Menschen nicht plötzlich jede Arbeit einstellen, wenn sie bedingungsloses Grundeinkommen beziehen. "Der Arbeitsanreiz ginge um etwa 15 bis 20 Prozent zurück, aber eher in den besser verdienenden Einkommensgruppen. Die Billa-Verkäuferin würde vielleicht nur mehr drei oder vier Tage die Woche arbeiten und sich daneben weiterbilden, um irgendwann einen qualifizierten Job zu bekommen. Das hätte durchaus einen positiven Effekt. Es ist ganz sicher nicht so, dass alle plötzlich nichts mehr tun würden."

Dennoch, die Idee würde bei einer Volksabstimmung in Österreich keine Mehrheit finden, glaubt Schneider. "Ich diskutiere das häufig mit Freunden. Zwei Drittel sagen mir: Ich bin strikt dagegen, dass jemand etwas ohne Gegenleistung bekommt. Daran, und nicht an der Finanzierbarkeit, ist ja auch die Volksabstimmung in der Schweiz gescheitert."

Generation Grundeinkommen

Zurück zu Helmo Pape. Der 46-jährige Ex-Banker ist Gründer und Obmann des österreichischen Vereins Generation Grundeinkommen. Im Vorjahr versuchten er und die rund hundert anderen Vereinsmitglieder, Geld für die Vorbereitung eines Volksbegehrens zu sammeln. Das Ziel, 500.000 Euro, wurde deutlich verfehlt. Ist die Idee gut, doch die Welt noch nicht bereit? Vielleicht, sagt Pape. "Vielleicht waren es aber auch handwerkliche Fehler. Vielleicht konnten wir unsere Glaubwürdigkeit noch nicht genug nachweisen. Wir arbeiten jedenfalls weiter und planen nach wie vor ein Volksbegehren."

Einer der prominentesten Unterstützer des Vereins Generation Grundeinkommen ist News-Karikaturist Gerhard Haderer. "Man verdrängt gerne, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft", sagt er. Aber ohne soziale Gerechtigkeit könne es keinen Frieden geben. "Menschen ohne Existenz-angst können mit Kreativität und Fantasie Modelle entwickeln, die unsere Gesellschaft vielleicht noch nicht heute, aber ganz sicher in zehn Jahren brauchen wird. Wenn der Staat für alle Menschen im Land Schecks ausstellt, zusätzlich zum Arbeitseinkommen, könnte das ein Schritt in die richtige Richtung sein. Also lasst uns darüber reden."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 10/2019) erschienen.