Causa Maaßen:
Kröten geschluckt, Koalition gerettet

Verfassungsschutzpräsident wird doch nicht befördert - aber auch nicht entlassen

Zwei Wochen lang hat der Streit um Hans-Georg Maaßen die Große Koalition in Deutschland wieder einmal an den Rand des Scheiterns geführt - doch am Ende ging alles ganz schnell. Nur gut eine halbe Stunde sitzen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Sonntagabend im Kanzleramt zusammen, dann verkünden der Innenminister und die SPD-Chefin in getrennten Auftritten die Einigung. Der Präsident des Verfassungsschutzes soll nach seinen Äußerungen zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz nun doch nicht befördert werden. Aber entlassen wird er auch nicht. Merkel räumte indes Fehler ein.

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Einigung - Causa Maaßen:
Kröten geschluckt, Koalition gerettet

Seehofer und Nahles müssen für diesen Kompromiss am Sonntag Kröten schlucken. Der CSU-Chef, weil Maaßen nun doch nicht wie eigentlich am Dienstag zwischen ihm, Merkel und Nahles vereinbart befördert und mit einem stattlichen Gehaltsplus Staatssekretär im Innenministerium wird. Nahles und die SPD deswegen, weil Maaßen nun doch an verantwortlicher Stelle an der Seite Seehofers weiterarbeiten darf. Teile der Sozialdemokraten hatten sogar vehement verlangt, dass Maaßen aus dem Beamtenverhältnis geworfen wird. Doch Seehofer hatte sich mehrfach öffentlich hinter den 55-jährigen Spitzenbeamten gestellt und darauf gepocht, dass er auf dessen Expertise nicht verzichten wolle.

Am 7. September, sozusagen an einem Schwarzen Freitag für die erst ein halbes Jahr alte vierte Koalition von Kanzlerin Merkel, hatte sich Maaßen in der "Bild"-Zeitung mit distanzierenden Einordnungen zu den ausländerfeindlichen Vorgängen in Chemnitz zu Wort gemeldet. Viele hatten seine Worte auch als Pfeil gegen die Kanzlerin gewertet.

Zwei Wochen später ziehen die Spitzen der Koalition nun an diesem dramatischen Wochenende die Notbremse in einem Streit, den in der Bevölkerung viele nicht mehr nachvollziehen konnten. Da sollte am Ende einer, dem quasi alle Seiten Verfehlungen bescheinigen, auch noch befördert werden.

Kanzlerin unter Druck

Merkel hatte am Freitagabend bei einem für sie ungewöhnlichen Auftritt in München eine Lösung noch im Laufe des Wochenendes angekündigt. Zum Fall Maaßen hatte Merkel bisher nur gesagt, das Vertrauen in ihn sei in Teilen der Koalition nicht mehr gegeben. Ob sie sich da mit einschloss, blieb unklar. Unter Druck steht auch die Kanzlerin - die Umfragewerte für die Union sind insgesamt mau. Und am Dienstag muss ihr Vertrauter Volker Kauder in der Fraktion fürchten, als Chef seinem Herausforderer Ralph Brinkhaus zu unterliegen.

Merkel räumt Fehler ein

Merkel räumte indes auch Fehler im Umgang mit dem Fall ein: Sie habe bei der ursprünglichen Entscheidung "zu wenig an das gedacht, was die Menschen zurecht bewegt, wenn sie von einer Beförderung hören", sagte Merkel am Montag in Berlin. "Das bedauere ich sehr." Sie habe sich zu sehr davon leiten lassen, dass nach einer Versetzung Maaßens die Funktionsfähigkeit innerhalb des Innenministeriums nicht gestört werde. Das neue Ergebnis sei nun "sehr gerecht und auch vermittelbar".

Interview-Schlacht

Was am Samstag und Sonntag folgte, war eine Interview-Schlacht um die Deutungshoheit. Zunächst beherrscht Seehofer am Sonntag die Schlagzeilen. Maaßen sei "ein hoch kompetenter und integrer Mitarbeiter", er habe kein Dienstvergehen begangen, sagt er der "Bild am Sonntag". "Deshalb ist es mir unerklärlich, warum die SPD eine Kampagne gegen Herrn Maaßen führt." Er entlasse keine Mitarbeiter, "weil die politische und öffentliche Stimmung gegen sie ist".

Nahles bekräftigt, als Verfassungsschutzpräsident sei Maaßen nach seinen Äußerungen zu Chemnitz nicht mehr tragbar. Die Lösung dürfe das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen nicht verletzen. An Maaßen werde die Regierung nicht scheitern. Aber sie scheitere, wenn gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit nicht mehr gegeben seien.

Schnelle Einigung

Als dann am Sonntagnachmittag durchsickert, dass sich Merkel, Seehofer und Nahles am Abend doch noch im Kanzleramt treffen, ist schnell klar, dass es eine Einigung geben würde. Der CSU-Chef hatte zuvor eine Absprache über eine tragfähige Lösung zur Bedingung für ein neuerliches Treffen gemacht - der Kompromiss war im Laufe des Tages in zahlreichen Telefonaten ausgehandelt worden.

Die Einigung muss bereits gestanden sein, bevor die drei Koalitionsspitzen im Kanzleramt zusammenkommen: Seehofer verschickt schon um 19.37 Uhr die Einladung zur Verkündung des Ergebnisses - zu dieser Zeit fährt Nahles erst ins Kanzleramt.

Maaßen wird Sonderberater im Innenministerium

Gegen 20.15 Uhr steht Seehofer dann im Innenministerium vor den Kameras und verkündet die Einigung. So überstürzt ist seine Pressekonferenz einberufen worden, dass er das Statement nochmals von vorne beginnen muss, weil einige Kamerateams es nicht mehr rechtzeitig zu Beginn geschafft haben. Seehofer teilt mit, dass Maaßen nun Sonderberater im Innenministerium werden soll. Im Rang eines Abteilungsleiters werde er für europäische und internationale Aufgaben zuständig sein - etwa für die Aushandlung von Rücknahmeabkommen mit afrikanischen oder europäischen Ländern.

Maaßen muss damit Aufgaben übernehmen, die Merkel an Seehofer übertragen hatte und denen der Innenminister in den vergangenen Wochen - so war in Berlin zu hören - eigentlich nur mit Groll im Bauch nachgegangen war. Insofern dürfte Seehofer nun ganz gelegen kommen, dass er mit Maaßen einen in internationalen Verhandlungen geschulten Spitzenbeamten an der Seite hat.

Auch SPD zufrieden

Auch Nahles und die SPD-Linke um Ralf Stegner geben sich zufrieden mit der Lösung. Es sei "ein gutes Signal, dass die Koalition in der Lage ist, die öffentliche Kritik ernst zu nehmen und sich selbst zu korrigieren", bewertet die SPD-Vorsitzende erleichtert den Kompromiss. Auch ihre Zukunft steht an diesem Wochenende auf dem Spiel, nachdem viele in der Partei extrem unzufrieden mit ihren vorangegangenen Verhandlungen mit Seehofer und Merkel waren.

Zudem kann Nahles nun darauf verweisen, dass sie zwei wesentliche Punkte in den Nachverhandlungen durchgesetzt hat. Zum einen wird Maaßen nicht befördert, auch seine Vergütung bleibt bei der bisherigen Besoldungsklasse B9 - anders, als es bei einer Beförderung zum Staatssekretär gewesen wäre. Zudem wird Maaßens Arbeit nichts mehr mit dem Verfassungsschutz zu tun haben.

Seehofer: Vertrauen uneingeschränkt gegeben

Darauf angesprochen, ob die Koalition nun doch noch vertrauensvoll werde zusammenarbeiten können, sagt Seehofer, das Vertrauen in die Koalitionspartner sei für ihn uneingeschränkt gegeben. Es müsse schließlich "möglich sein, dass man auf die Menschen hört, die wir jeden Tag vertreten". Zudem sei ein Bruch der Regierung bei allen Besprechungen, die er geführt habe, "zu keinem Zeitpunkt ein Thema" gewesen und von niemandem angedroht worden.

Blick nach Bayern

Die CSU von Seehofer, die in Bayern am 14. Oktober die Landtagswahl - für die Partei eine Schicksalswahl - zu bestehen hat, hofft vor allem eines: dass der Fall Maaßen nun endlich abgehakt ist. Die Sorge war zwar, dass ein Rauswurf Maaßens vor allem der rechtspopulistischen AfD genutzt hätte. Mit Sorge registrierte man in der CSU aber auch, auf wie viel Kritik die zunächst geplante Beförderung Maaßens stieß.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht seinen Wahlkampf vom Maaßen-Streit wohl längst genug torpediert. Wahlkämpfende Abgeordnete schimpfen hinter vorgehaltener Hand lautstark über Seehofer, sogar von "Kasperltheater" ist die Rede. Seehofer ist es, den die meisten für den CSU-Absturz in den Umfragen verantwortlich machen. Sollte die Wahl schiefgehen, dürfte sich dieser Zorn über den Parteivorsitzenden sehr schnell entladen.

Ob der Frieden in der Großen Koalition nun länger hält, zumindest bis zur bayerischen Landtagswahl? Seehofer sagt am Abend, der nun beschlossene Kompromiss sei schon mal in der Runde der drei Parteichefs besprochen worden - "insofern ist es mir nicht schwer gefallen". Nahles stellt umgehend klar, dass Seehofer die jetzige Lösung nicht schon beim Treffen der drei Parteichefs am vergangenen Dienstag angeboten habe. Dies sei komplett falsch. Genug Zündstoff bleibt in der Koalition also erhalten - auch für die Sitzung des Koalitionsausschusses, der am 1. Oktober zusammenkommen soll.

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