Eine Frage des Gewissens

Wenn Musikstars über Politik sprechen, lernt man einiges - zum Beispiel, was sich Wähler von der Politik wünschen

von LEITARTIKEL - Eine Frage des Gewissens © Bild: Matt Observe

Rainhard Fendrich hat neulich Tom Walek auf Ö3 allerhand erzählt und dabei auch die Politik nicht ausgelassen. Ohne konkrete Vorlieben zu nennen, ließ er dennoch einiges durchblicken. Der schönste seiner Sätze war zweifelsohne jener, in dem er die Frage des Gewissens in der Politik stellte. In Zeiten, in denen der Kampf um die Worte immer wilder wird - von "Verrat", der Peter Pilz vorgeworfen wird, bis hin zur "Verräterin", die SPD-Chef Martin Schulz in Nordrhein-Westfalen eine Grünpolitikerin nennt, die zur CDU wechselte -ist das Gewissen eine schöne Wendung in der gesellschaftspolitischen Beschreibung.

Was heißt schon Verrat? Kain und Abel? Petrus, der Fels, auf den Jesus seine Kirche baute, obwohl er ihn dreimal verleugnete, bevor der Hahn krähte? Schon Plautus wusste im antiken Rom, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dass er zuallererst an sich und die Sicherheit der Seinen denkt. Wir haben ein Gemeinwesen, damit sich nicht nur der Stärkere durchsetzt.

Politik hat noch nie ohne Intrigen, Verrat, Kampf funktioniert und agiert. Die Frage des Gewissens aber ist eine schöne und zugleich gute, die nicht nur in der Politik viel zu selten gestellt wird. Fragen Sie Christian Kern einmal, ob er kein schlechtes Gewissen hat, weil er uns weismachen will, dass wir uns das nehmen können, was uns zusteht. Oder Sebastian Kurz: Hat er vielleicht ein schlechtes Gewissen, weil er als Integrationsstaatssekretär schöne Worte für geflüchtete Menschen fand, die er ein paar Jahre später nicht einmal mehr buchstabieren mag, weil jetzt alle Grenzen dicht sind und am besten Lampedusa zur Auffanginsel für Flüchtlinge umfunktioniert werden soll? Weil eh weit genug weg von Brennergrenze oder Kanaltal?

Und Heinz-Christian Strache? Plagt ihn vielleicht das schlechte Gewissen, weil er immer noch kein Wirtschaftsprogramm vorgelegt hat, um bloß niemanden in der Partei vor den Kopf zu stoßen, weil die Gratwanderung zwischen sozialen und neoliberalen Ideen eine gewaltige ist? Was ist mit Irmgard Griss? Hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie durch ihr Zaudern wohl so manch vorerst willigen Big Spender und Wirtschaftsvertreter zurück in die Arme der ÖVP trieb? Oder Ulrike Lunacek und Ingrid Felipe, weil sie Peter Pilz keinen besseren Listenplatz gegeben haben, um ihn in ihren Reihen zu halten? Und natürlich Peter Pilz, der seine ehemalige Partei mit seinem Austritt und seiner neuen Liste zu spalten droht? Und so weiter und so fort könnte man die Gewissensfrage stellen.

»Wer Liebe teilt, vermehrt sie. Dasselbe gilt beim Hass. Seien wir achtsam«

Ja -Politiker sind keine Heiligen. Nein -müssen sie auch nicht sein. Was uns aber allen guttun würde, wäre mehr Klarheit und Weitsicht. Wer ein paar Monate vorher noch freundliche Nasenlöcher machte, wenn es um die Flüchtlinge ging, und dann die Grenzen schließen und aus einer italienischen Insel, die dem afrikanischen Festland näher als dem italienischen Festland ist, ein Zentrum für Flüchtlinge machen will, zeigt einen Mangel an Weitsicht. Das ist derzeit ein Manko, das die gesamte europäische Politik aufweist. Das heißt noch lange nicht, dass wir sie gutheißen und uns auch auf die Rolle des "Mir-san-mir" zurückziehen. Wohin das in der Vergangenheit geführt hat, zeigt die Geschichte. Wer Liebe teilt, vermehrt sie. Dasselbe gilt für Hass. Leider. Seien wir achtsam. Für unsere Heimat, aber auch für unsere Familie Europa.