Wie besorgte Bürger
versuchen, sich zu schützen

15.516 Einbrüche wurden im Jahr 2015 in ganz Österreich angezeigt

Wenn Andrea nach der Arbeit vor ihrer Wohnung steht, lauscht sie zunächst einmal -und kontrolliert. Ist das Schloss manipuliert worden? Hört man von drinnen seltsame Geräusche? Könnte jemand eingedrungen sein? Erst wenn alles in Ordnung scheint, sperrt sie die lädierte Türe, von der Lack abblättert, auf und huscht hinein. Dann schließt sie wieder ab -einmal, zweimal, dreimal. So hermetisch abgesichert die Türe mit Querbalken, Kastenzusatzschloss und Türangel-Bandsicherung von innen wirkt, so kaputt erscheint sie von außen. "Damit niemand glaubt, hier gibt es etwas zu holen", erklärt die 53-Jährige. Nach einem Einbruch vor knapp einem Jahr ist Andrea merkbar traumatisiert. Die alleinstehende Angestellte hat Angst und ist damit nicht allein.

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Einbrüche - Wie besorgte Bürger
versuchen, sich zu schützen

Schlimme eigene Erfahrungen, aber auch reißerische Medienberichte und spürbare Folgen von Krieg und Terror wie Betonpfeiler vor dem Weihnachtsmarkt bereiten manchen schlaflose Nächte. Sie wollen sich schützen -mit Sicherheitstüren, Alarmanlagen, dem Engagement in Nachbarschaftsgruppen oder Pistolen.

Der Waffennarr von nebenan

Dass die Zahl an Waffenbesitzern zunimmt, zeigt ein Blick in die Statistik: 184.443 Personen verfügten am 1. Dezember 2016 über eine Waffenbesitzkarte, mit der man Gewehre, Revolver und andere Faustfeuerwaffen legal kaufen und zu Hause aufbewahren darf. Mit Stichtag 1. Jänner 2015 waren es zum Vergleich nur 150.705. "Seit ungefähr Oktober 2015, seit die Flüchtlingsthematik virulent geworden ist, gibt es ungeheuerliche Veränderungen. Ich verzeichne um Hunderte Prozent mehr Anmeldungen für psychologische Tests zur Beantragung einer Waffenbesitzkarte oder eines -passes", sagt eine Psychologin, die in Österreich schon seit vielen Jahren diesbezüglich Beurteilungen erstellt. "Die größte Gruppe ist jene, die sich unsicher fühlt und die etwas in der Hand haben will, falls die Polizei nicht rasch genug zur Stelle ist", erzählt die Expertin, die unbedingt anonym bleiben will. Sie fürchtet, sonst künftig noch öfter von Waffenpassanwärtern kontaktiert zu werden. "Bis auf eine kleine Gruppe, die Pistolen aus beruflichen Gründen verwendet, gibt es aber auch noch Sportschützen", meint sie. "Es ist für mich sehr erstaunlich, wie viele in letzter Zeit Schießen als neues konzentrationsförderndes Hobby entdecken."

Nachbarschaftshilfe

Matthias aus Klosterneuburg steht einer solchen Bewaffnung skeptisch gegenüber: "Es ist eine Gratwanderung. Inwiefern bin ich so gut geschult, dass ich sie verwenden kann? Und wann setze ich sie tatsächlich ein?" Eingebrochen wurde bei dem 17-Jährigen noch nie -aber Sorgen um seine Sicherheit macht er sich trotzdem. Er ging daher einen anderen Weg und gründete die Facebook-Gruppe "Sicheres Klosterneuburg", in der sich Ortsbewohner über Einbrüche, Diebstähle, angstmachende Beobachtungen, aber auch die besten Schutzmaßnahmen austauschen. Plattformen wie "Pronachbar" in Wien und die "Bürgerwehr Tulln" verfolgen ähnliche Ziele. "Wir haben es satt, zu warten und zu bangen, ob und wann man bei uns einbricht", lautet zum Beispiel das Credo, das Peter als Initiator seiner Facebook-Gruppe "Einbrüche Bruck-Mürzzuschlag" zuschreibt. Nicht jedes ihrer Mitglieder ist mit der Exekutive zufrieden, manche schimpfen: "Habe verdächtige Personen beobachtet und die Polizei informiert. Eine Stunde später war noch immer keine da. Wofür soll ich die das nächste Mal überhaupt noch anrufen?"

© Marko Mestrovic News Matthias,17, aus Klosterneuburg (Mitte) mit seinen Mitstreitern Gerhard und Patrick

Genauere Polizei-Infos

Kritik kommt diesbezüglich auch von Karl vom Verein "Pronachbar". Seit 2007 listet der Wiener mit seinem ehrenamtlichen Team auf einer eigenen Homepage auf, wann wo welche Delikte vorgefallen sind und mit welchen Tricks die Kriminellen arbeiten. "Leider bekommen wir immer weniger Informationen von der Polizei", kritisiert er. "Ein Grund dürfte sein, dass man dann mit einem Blick sehen würde, wie viele Einbrüche tatsächlich in einer Nacht an einem Ort stattfinden. Ich glaube, das will die Polizei so nicht." Nachvollziehbar ist das für den 70-Jährigen aber nicht: "Sie schlagen irgendeine Zeitung auf und lesen etwas über umherziehende Gaunerbanden. Das macht Angst", sagt Karl. "Wenn man sich im Internet freiwillig registriert, weil man gerne mehr über Straftaten im eigenen Wohnviertel wüsste, ist das nicht so. Das könnte die Polizei auch selbst anbieten, dazu bräuchte es keine Nachbarschaftshilfen."

© Marko Mestrovic News Karl, 70, aus Wien: "Es ist wichtig, über die Methoden der Einbrecher zu informieren, damit man sich schützen kann"

Detailreichere Informationen -das wünschen sich auch Inge und Herbert aus Wien, die nach einem Einbruch beide die Informationen von "Pronachbar" für sich nützen. "Wenn die Bewohner in jedem Grätzel wüssten, da und dort ist auf diese Weise eingebrochen worden, würden sie aufmerksamer reagieren", meint Inge. Den Einbruch in ihr ebenerdiges Arbeitszimmer mitten in einer Sommernacht hat die resolute Pensionistin aus Döbling locker weggesteckt: "Einbrüche können immer passieren. Das ist Zufall", meint sie. Herbert aus Hietzing hat danach alle seine 26 Fenster extra abgesichert und nimmt noch heute seine Geldbörse und die Fahrzeugschlüssel mit ins Schlafzimmer im ersten Stock. "Das war extrem", erinnert er sich. "Ich konnte fast ein halbes Jahr nicht einschlafen. Und in der Nacht schreckt man bei jedem Geräusch hoch."

© Marko Mestrovic News Bei Inge wurde im Arbeitszimmer eingebrochen. Sie wünscht sich mehr Polizeiinformationen

Dass die Reaktionen auf einen Einbruch so unterschiedlich sein können, ist laut Psychologin Sandra Pitzl völlig verständlich und hängt sehr vom subjektiven, inneren Sicherheitsgefühl eines Menschen ab. Alle Maßnahmen, die dieses nach einem Einbruch stärken und dabei nicht die Alltagsroutine beeinträchtigen, sind gut.

Gruppen als Selbsthilfe

So ein hilfreicher Schritt kann, wenn man vor Einbrüchen generell Angst hat, auch die Organisation in einer Nachbarschaftsgruppe wie "Sicheres Klosterneuburg" sein. Für Initiator Matthias funktioniert das Konzept jedenfalls bestens.

Nachdem er sich im Sommer noch Sorgen machte, fühlt er sich heute sicher und ist auch von der Arbeit der Exekutive überzeugt. "Mich hat es gewundert, dass die Polizei so zugänglich ist", erzählt er. "Es gibt einen eigenen Ansprechpartner für uns. Wenn etwas Verdächtiges beobachtet wird, wie Unbekannte, die einfach in Gärten gehen, kommt eine Streife und kontrolliert. Man weiß ja nicht, ob die Fremden etwas Kriminelles im Schilde führen. Aber potenzielle Einbrecher wissen dann, es ist jemand da, und werden abgeschreckt. Dadurch fühlen wir uns sicherer."

Matthias geht es darum, dass seine Umgebung Bescheid weiß, wenn es Diebe auf Autos abgesehen haben. Denn dann parken die Fahrzeuge nicht mehr in der Einfahrt, sondern in der Garage. Und der 17-Jährige will, dass sich die Nachbarn trauen, bei merkwürdigen Beobachtungen die Polizei zu rufen. Und genau diese Zwecke erfülle seine Facebook-Gruppe.

Facebook-Paranoia

Prinzipiell sehen auch die Kriminalisten in den Onlinegruppen eine positive Sache. "Es gibt sehr gute Nachbarschaftshilfen, die sehr eng mit der Polizei kooperieren", meint dazu Oberst Michael Mimra von der Wiener Polizei. "Oft sind wir auch auf Informationen über verdächtige Fahrzeuge und Personen von Nachbarn angewiesen."
Facebook-Postings bezüglich jedweder unerklärbaren Beobachtung sieht der Kriminalist allerdings zwiespältig: "Man muss aufpassen, dass da keine paranoide Situation entsteht." Denn immer wieder gibt es laut Mimra auch Hinweise auf Verdächtige, die sich bei Kontrollen dann als Touristen entpuppen, die nur Gebäude eines tollen Baustils fotografieren wollten.

Tatsächlich finden sich auf Facebook immer wieder Einträge, die je nach Sichtweise mehr oder weniger beunruhigend wirken können. Zum Grübeln verleiten jedenfalls Postings wie "diese Pizzeria-Flyer wurden heute bei uns im Haus direkt vor die Wohnungstüren gelegt. Es steht keine Adresse darauf und ich habe weder das Lokal noch die Telefonnummer im Internet finden können, seltsam."

Will da jemand testen, ob die Werbung weggeräumt wird? Oder hat die Pizzeria beim Druckwerk einfach geschlampt? Beides ist plausibel und eine endgültige Antwort wird man meist nicht herausfinden. Denn auch die Polizei kann diesbezüglich nur allgemeine Kriminalitätstrends zur Orientierung anbieten oder erklären, wie die Täter generell vorgehen.

Meist ausländische Täter

Fest steht, dass der Großteil der Einbrecher aus dem nahen Ausland anreist, einige Tage auf Beutezug geht und dann wieder verschwindet. Abgesehen haben es die in Zweier-und Dreiergruppen organisierten Kriminellen dabei fast ausschließlich auf Geld, Schmuck, Dokumente und Wertgegenstände wie Münzen oder Silberbesteck, die rasch auf dem Schwarzmarkt verkauft werden können.

»Wenn plötzlich ein unscheinbares Pickerl an der Türe klebt, sollte man hellhörig sein«

"Das größte Problem sind die Personen, die in Österreich leben und die für die anreisenden Täter als Anlaufstelle dienen", erklärt Chefinspektor Rudolf Frühwirth aus Oberösterreich. "Sie organisieren Örtlichkeiten zum Übernachten oder auch Fahrzeuge, gehen aber selbst nur selten zu Einbrüchen mit." Insofern sind sie schwer zu erwischen. Ihre Komplizen reisen dann meist in zwei Tranchen mit dem Auto an: Die erste Gruppe kundschaftet eine Gegend aus. Sie bringt in Erfahrung, in welchen Liegenschaften es Lukratives zu holen geben und wo man zu welcher Uhrzeit am besten eindringen könnte. Nachdem die Späher genug wissen, reisen sie wieder ab und geben die gewonnenen Informationen an die tatsächlichen Einbrecher weiter. Diese reisen dann separat an und schlagen zu.

Recht unterschiedlich ist die Raffi nesse der Ausspähtricks der Einbrecher-Vorhut: Manche läuten einfach Sturm. Wenn keiner öffnet, schließen sie daraus, dass an den Vormittagen niemand zu Hause ist. Andere greifen zu aufwendigeren Methoden: "Wenn plötzlich ein unscheinbares Pickerl an der Türe klebt, sollte man hellhörig sein", erklärt Mimra. Manche Einbrecher testen so ab, ob und wann Eingangstüren geöffnet werden - wird der am Spalt klebende Sticker zerrissen, geht jemand ein und aus. "Wir hatten auch schon Täter, die sich eine Stunde in den Garten gestellt und gelauscht haben", erinnert sich Frühwirth.

Weniger Fälle - mehr Angst

Für das Sicherheitsgefühl offenbar nicht unbedingt maßgeblich scheint die Summe der Einbrüche zu sein. Diese hat von 17.110 (2014) auf 15.516 Delikte (2015) eigentlich abgenommen. Und auch für 2016 rechnet die Polizei mit einem Rückgang. Möglicherweise ist es die niedrige Aufklärungsquote von 9,4 Prozent, die so beunruhigt. Denn die Sorge vor Einbrüchen zählt laut einer Imas-Umfrage trotzdem zu den größten und beschäftigt mehr Menschen als die Angst vor Terroranschlägen.