Wie steht es um Europas Politik?

Das Coronavirus bestimmt seit einem Jahr das Leben in Europa, die politischen Verhältnisse hat es aber (noch) nicht auf den Kopf gestellt. Die großen Parteifamilien liegen im gesamteuropäischen Umfragedurchschnitt ziemlich genau bei den Werten von Februar 2020. Die rechtsgerichteten Regierungsparteien in den Niederlanden, Bulgarien, Zypern und Deutschland dürften bei den heuer stattfindenden Parlamentswahlen bestätigt werden, nur in Tschechien könnte es einen Umsturz geben.

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Ein Jahr Corona - Wie steht es um Europas Politik? © Bild: iStockphoto.com

Schon im Vorjahr gab es einzig in der Slowakei einen radikalen Kurswechsel, und das gleich zu Beginn der Coronakrise. Bei der Parlamentswahl am 29. Februar kam in einem Protestvotum gegen die Ermordung des Journalisten Jan Kuciak die rechtspopulistische Partei "Gewöhnliche Menschen" (OLaNO) an die Macht, doch könnte es für Premier Igor Matovic schon bald wieder vorbei sein. Umfragen sehen nämlich die neue Partei "Hlas" (Stimme) des abgewählten Premiers Peter Pellegrini deutlich in Führung, während OLaNO auf den dritten Platz zurückgefallen ist.

Bei den Parlamentswahlen in Kroatien (Juli) und Rumänien (Dezember) wurden jeweils die rechtsgerichteten Regierungschefs bestätigt, auch bei der Präsidentenwahl in Polen (Juni) konnte sich der konservative Amtsinhaber Andrzej Duda knapp eine zweite Mandatsperiode sichern. In Litauen eroberte die konservative Vaterlandsunion bei der Parlamentswahl im Oktober ihren traditionellen Platz als stärkste Kraft zurück, die bürgerlichen Grünen mussten in die Opposition.

Schwere Zeiten für populistische Parteien

Populistische Parteien hatten es im ersten Coronajahr nicht leicht. In Estland endete das Experiment einer Koalition aus Rechtsliberalen und Rechtspopulisten im Jänner nach nicht einmal zwei Jahren. Somit konnte die Siegerin der Parlamentswahl 2019, die liberale Kaja Kallas, das Amt der Regierungschefin übernehmen, an der Spitze einer Großen Koalition mit dem gestürzten Premier Jüri Ratas. In Italien musste die populistische Fünf-Sterne-Bewegung erst vor wenigen Tagen ihre bestimmende Rolle in der Regierung abgeben, nachdem ihr Ministerpräsident Giuseppe Conte die Parlamentsmehrheit verloren hatte. Neuer Premier ist der frühere EZB-Chef Mario Draghi mit einer lagerübergreifenden Regierung aus Politikern und Experten.

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Der niederländische Premier Mark Rutte kann bei der Parlamentswahl Mitte März mit einem klaren Sieg rechnen, ebenso sein bulgarischer Amtskollege Bojko Borissow bei dem Urnengang Anfang April. Auch in Deutschland sind die Unionsparteien bei der Bundestagswahl Ende September ungefährdet, obwohl sie erstmals seit zwei Jahrzehnten ohne Angela Merkel antreten. Wegen des erwarteten starken Abschneidens der Grünen dürfte sich der Union eine zweite Koalitionsoption neben der ungeliebten schwarz-roten eröffnen. In Zypern zeichnen sich vor der Parlamentswahl im Mai zwar deutliche Verluste für die Konservativen von Präsident Nikos Anastasiades ab, der erste Platz ist aber ungefährdet.

Stabile politische Großwetterlage in Europa

Eine aktuelle Projektion der Zusammensetzung des 705-köpfigen Europaparlaments bestätigt den Eindruck einer stabilen politischen Großwetterlage in Europa. Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) kann laut dem "Poll of Polls"-Umfragedurchschnitt von Politico aktuell auf 177 Sitze zählen, um sechs weniger als vor einem Jahr. Die Sozialdemokraten liegen bei 143 Sitzen (plus fünf), die Liberalen bei 94 (minus eins), die rechtspopulistische "Identität und Demokratie" bei 77 (minus vier), die rechtskonservative ECR bei 60 (minus vier), die Grünen bei 52 (minus fünf) und die Linken bei 46 (minus acht).

Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch schon Anzeichen für Veränderungen. So hat sich der errechnete Mandatsanteil neuer Parteien innerhalb eines Jahres von zwölf auf 34 fast verdreifacht. In diese Gruppe fallen etwa die neue Partei des slowakischen Ex-Premiers Pellegrini oder die Partei "Polen 2050" von Szymon Holownia, die sich innerhalb eines halben Jahres an die zweite Stelle in den Umfragen (mit 20 Prozent) vorgearbeitet hat.

Hier wird es im Herbst spannend

Spannend dürfte es im Herbst auch in Tschechien werden. Dort liefert sich ein neues Bündnis aus Piratenpartei und der Bürgermeisterpartei STAN ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der liberalpopulistischen ANO von Ministerpräsident Andrej Babis, der das politische Leben das Landes in den vergangenen Jahren dominiert hatte. Gewählt wird am 8. und 9. Oktober.

Und wie sieht es in den anderen Ländern aus? In Schweden, Dänemark, Finnland, Spanien, Portugal und Malta liegen die jeweiligen sozialdemokratischen Regierungsparteien in den Umfragen an oder über ihren jeweiligen Wahlresultaten vor der Coronakrise. Dies gilt auch für die liberale luxemburgische Regierungspartei DP und die konservative griechische Regierungspartei ND.

Eher nach unten zeigt der Trend hingegen für die konservativen Regierungsparteien von Slowenien, Irland, Polen und Ungarn. Die irische Fianna Fail ist nur ein Jahr nach ihrem Wahlsieg auf den dritten Umfrageplatz abgerutscht, die Slowenische Demokratische Partei (SDS) dürfte bei der Parlamentswahl im nächsten Jahr ohne Aussicht auf eine Koalitionsmehrheit bleiben, selbst der erste Platz wackelt. Deutlich auf aktuell 35 Prozent abgerutscht ist auch die rechtskonservative PiS in Polen (Wahl 2019: 44 Prozent). In Ungarn wiederum hat das jüngst gebildete Sechs-Parteien-Oppositionsbündnis in einer Umfrage mit der Fidesz von Langzeit-Ministerpräsident Viktor Orban gleichgezogen und hält bei 47 Prozent.

Hoffnungsgebiete für Europas Rechtspopulisten

Aktuelle Hoffnungsgebiete für Europas Rechtspopulisten sind Frankreich, Belgien und (potenziell) Italien. Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen hat in einigen Umfragen vor der Präsidentenwahl 2022 Amtsinhaber Emmanuel Macron überholen können, der sich nun nicht einmal eines Sieges in der Stichwahl sicher sein kann. In Belgien wiederum setzt der langjährige FPÖ-Bündnispartner "Vlaams Belang" unter seinem jugendlichen Anführer Tom Van Grieken (34) den mit der Wahl 2019 eingeleiteten Höhenflug fort und ist mit 25 Prozent mit Abstand die stärkste Kraft im Lande. In Italien hat sich die neofaschistische "Fratelli d'Italia" (FdI) der "italienischen Marine Le Pen" Giorgia Meloni mit ihrem Fernbleiben von der Draghi-Regierung das Oppositionsmonopol gesichert. Mit bereits 17 Prozent in den Umfragen startet die populäre Meloni nun den Kampf um Platz eins bei der Parlamentswahl, die spätestens im Juni 2023 stattfinden muss.