Ein echter Wiener ging unter

"Mundl" Schöpfer Hinterberger als Schriftsteller nie ernst genommen

von Ernst Hinterberger © Bild: imago images/SKATA

Am 17. Oktober wäre Ernst Hinterberger 90 Jahre alt geworden. 1931 in Wien geboren, 2012 gestorben, lebte er den Großteil seines Lebens in einer 44 Quadratmeter großen Gemeindewohnung am Margaretengürtel im 5. Wiener Bezirk. Der Wohnblock trägt heute seinen Namen: Ernst-Hinterberger-Hof. Hinterberger wächst mit seiner Mutter auf, die in einer Schraubenfabrik arbeitet. Sein Vater stirbt bereits 1934. Nach dem Krieg beginnt er eine Lehre, bricht sie ab und schlägt sich als Hilfsarbeiter durch. Erfahrungen und Erlebnisse als Fabriksarbeiter verarbeitet er in zahlreichen Romanen, Erzählungen und Drehbüchern. In dem 1975 erschienenen Buch "Wer fragt nach uns: Geschichten von kleinen Leuten, armen Hunden und Außenseitern" beschreibt er seine Arbeitswelt: "In den Fabriken war man ein Niemand. Besonders als Hilfsarbeiter hatte man Tag für Tag eine Arbeit zu machen, die auch jeder halbwegs dressierte Affe hätte leisten können. Stumpfsinnig wurde man. Die Arbeit trieb einem alles aus."

Er versucht die Polizeischule, wird jedoch aufgrund seiner Sehstörung entlassen. Das plötzliche Ende dieser Chance drängt ihn in die Verzweiflung: "Ich musste mich als geborener Verlierer sehen, der bei allem, was er anpackt, nicht zum Ziel kam, sodass es egal war, was er machte, weil alles bloß ein schmieriger Brei war, der mich irgendwohin mitzog."

Bibliothekar in Ottakring

Die Begeisterung für Literatur -in einem Interview sagt er, er habe alles gelesen, von Schundheft bis zum Klassiker -motiviert ihn, die Büchereischule der Stadt Wien zu besuchen. Er leitet zehn Jahre lang die Bibliothek im Volksbildungshaus Ottakring, bis sie geschlossen wird, geht zurück in die Fabrik, wo er als Hilfsarbeiter begonnen hatte. Hinterberger bleibt dort als Angestellter bis zur Pensionierung trotz seiner Erfolge mit den TV-Serien "Kaisermühlen Blues","Ein echter Wiener geht nicht unter" und "Trautmann".

Ein Leben lang hofft er auf Anerkennung für seine literarische Arbeit. In Interviews bezeichnet er den Roman "Kleine Leute -Roman einer Zeit und einer Familie" als sein wichtigstes, jedoch ein erfolgloses Werk. Sein Begriff "kleine Leute" reduziert ihn allerdings zum Autor der "kleinen Leute", den die "Großen" nie wirklich achten und respektieren.

Mit dem Versuch, als Schriftsteller seine Welt zu beschreiben, die Menschen, mit denen er aufwuchs, in Form einer Familienchronik zu verewigen, fällt er zwischen zwei Stühle. Auf einem sitzen seine "Helden", die nur bedingt Interesse an Literatur haben, und auf dem anderen die Schriftsteller, Leser und Kritiker, die sich nicht angesprochen fühlen. Die einen fühlen sich "benutzt", die anderen lassen ihn nicht in ihre Nähe, weil er ihnen zu "primitiv" ist.

"Als ich schrieb, war ich nicht mehr der Ernstl, für den das Fabriksleben nicht das wirkliche, sondern eine Gelegenheit zum Geldverdienen war. Das merkten die Kollegen, sie suchten immer weniger Kontakte zu mir, weil ich nicht mehr bei jedem dummen Spaß dabei war und auch nicht mehr mit ihnen saufen ging, man mit mir nichts Vernünftiges mehr reden konnte. Und in Literaturkreisen und bei meinen neuen sogenannten Kollegen kam ich wegen meiner Herkunft, Redeweise und Ansichten nicht an, sie hielten mich für einen Strizzi oder Proleten, jedenfalls für einen, der von ganz unten aus der Gosse kam, groben Dialekt, und nicht die unter Intellektuellen übliche Hochsprache sprach, weder die Mittelschule absolvierte noch zumindest wie die meisten einige Semester, wenn auch erfolglos, studiert hatte, sondern bloß Hilfsarbeiter in einer Fabrik war."

Erfolg mit Drehbüchern

Erst mit Verfilmungen und Drehbüchern erreicht Hinterberger die Bekanntheit, die er mit Büchern gesucht hatte. Der Roman "Salz der Erde" ist Grundlage der Erfolgsserie "Ein echter Wiener geht nicht unter". Der grobe, laute und ewig schimpfende Mundl entspricht jedoch nicht der Figur im Buch.

Dort ist der Held eine eher tragische Figur, die sich mehr und mehr zurückzieht und von seiner Umgebung entfremdet. Der ORF verändert den Helden in eine kabarettistische Kunstfigur, einen eher humorvollen, cholerischen Familienvater, der Hinterberger nie sympathisch war: "Der Mundl ist zum Schluss mehr und mehr eine Mickymaus geworden oder der Popeye, der statt dem Spinat eine Flasche Bier nimmt, und immer gewinnt."

Die TV-Serie "Kaisermühlen Blues", eine der erfolgreichsten Produktionen des ORF, wurde zu Beginn in den Zeitungen verrissen. Die "Kronen Zeitung" führte einen medialen Krieg gegen die Filme und den Autor. Der Kolumnist unter dem Pseudonym "Aurelius" bezeichnete die Serie als "Furz" und "absoluten Tiefstand unseres kulturellen Schaffens". Der Hausdichter
der "Krone", Wolf Martin, reimte: "Der Autor, dieser alte Kummerl, schießt sich damit ein Eigenbummerl." Mitte der Achtzigerjahre veröffentlicht Hinterberger die ersten Kriminalromane, die Grundlage für die TV-Serie "Trautmann":"Ich hab begonnen, Kriminalromane zu schreiben, weil mir klar wurde, dass gesellschaftskritische Sachthemen in Romanform kaum Anklang finden. Für wichtige Themen -Neonazismus, Kriminelle, Kindesmisshandlung -hab ich die Krimi-Form gewählt."

Die Reaktionen sind wieder gespalten. Einerseits wird die genaue, authentische Beschreibung der Arbeit der Polizei gelobt, Kritiker bemängeln jedoch mangelnde literarische Qualität und Fantasielosigkeit. "Es ist der Alltag der Polizisten, dem Hinterberger ein literarisches Denkmal versucht zu errichten. Die Gewerkschaft der Kriminalbeamten wird diese Hommage wohl zu danken wissen, der Leser weniger", schreibt ein Kritiker.

Mit mehr als zwei Dutzend Büchern, fast ebenso vielen Film-und TV-Projekten und fünf Theaterstücken ist Hinterberger einer der erfolgreichsten Autoren der Nachkriegsjahre. Dennoch, die Literaturwissenschaft, das Feuilleton und die Kulturjournalisten konnten wenig mit ihm anfangen. Als würden sie sich schämen, ihm zu applaudieren, verurteilten sie seine Bücher als einfache Hausmannskost eines Wirtshauses in Margareten im Vergleich zu den Haubenlokalen im Zentrum.

Milieuschreiber

Das Kleinbürgertum der Mittel-und Oberschicht mit Theater-Abos, Leseabenden und Literaturpreisen, erlebte -ohne mit dem Milieu je in Berührung zu kommen - die "kleinen Leute" am liebsten verpackt in eine "Kunstsprache" in Theaterstücken und Büchern. Meldete sich jemand wie Hinterberger mit seiner eigenen Sprache als einer der "Helden" in den gesellschaftskritischen Stücken zu Wort, reagierte man verstört und irritiert. Manche Kritiken waren verletzend und beleidigend, oft mit verkrampft formulierten Klischees aus dem Repertoire der eigenen Vorurteile. Kritiker warfen ihm vor, zu sehr auf die "Mitleidstränendrüse" zu drücken und "den armen Hunden", die sich täglich in eine trostlose Arbeit schleppen, ein "Bedauern" zu schenken, "das ihren Zustand weder erleichtert noch ändert".

Sie bezeichneten Hinterbergers Arbeiten als "Stoffsammlung, einmal schnell heruntererzählt", seinen Schreibstil als "abgebrauchte, leicht geschwollene und oft leere Sprache gehobener Deutschaufsätze". Manche griffen ihn persönlich als "Anlernling der Literatur, der etwas Wichtiges gelernt hat: seinen Horizont nicht zu überschreiten".

Hinterberger ließ sich nicht beirren. Verletzt und trotzig blieb er seiner Herkunft treu, seinem Dialekt, seiner Gemeindewohnung und der Heftigkeit seiner Sprache: "Nur eine Ratte kann wahrheitsgemäß über andere Ratten schreiben. Wenn das jemand anderer macht, kommt auch beim besten Willen, zwar nicht fein, aber richtig gesagt, nur Scheiß mit Reis heraus."

Bezüglich seines literarischen Stellenwerts meinte Franz Schuh: "Über dem Abgrund zwischen der nicht ganz dummen Esoterik des "hochliterarischen" Betriebs und der manchmal, selten, doch ganz intelligenten "Massenkultur", über diesem Abgrund nimmt Ernst Hinterberger eine der wenigen möglichen, überbrückenden respektablen Haltungen ein."