Ein bisschen Streit muss sein

Die viel beklagte Polarisierung der Gesellschaft hat auch ihr Gutes: Endlich hat man bei Wahlen eine Wahl

von Eva Weissenberger © Bild: Ian Ehm

Sagen Sie bitte etwas Kantiges.
Oje. Das kann ich nicht.

Versuchen Sie es einmal.
(Schweigt zehn Sekunden.) Ich bin ein begeisterter Österreicher.

Was ist daran kantig? Das würde jeder Spitzenpolitiker genauso sagen.
Es ist ohne Einschränkungen gesagt. Das ist heute gar nicht so selbstverständlich. Es gibt Menschen, die überlegen, ihren Wohnsitz ins Ausland zu verlegen.

Stört Sie Ihr Image, brav, diplomatisch und angepasst zu sein?
Das kommt - wie immer - auf den Blickwinkel an. Sie bezeichnen mich als brav, die Freiheitlichen als Links-Linken und Salon-Bolschewiken. Im Übrigen schlägt das Pendel in Österreich so sehr von der Konsens-zur Konfliktdemokratie aus, dass es doch wenigstens ein paar Leute geben muss, die weiterhin um die Ausgewogenheit bemüht sind.

Das ist kein Interview mit dem designierten Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen aus dem längsten Wahlkampf aller Zeiten, das antwortete mir Heinz Fischer, damals Nationalratspräsident, gegen Ende des Wendejahres 2000.

Was wurde im vergangenen Jahr (auch an dieser Stelle) nicht über die Polarisierung der Gesellschaft geklagt: Frau/Mann, Stadt/Land, Hautevolee/Volk. Österreich, eine gespaltene Nation. Wir müssen wieder zusammenrücken, uns versöhnen, an einem Strang ziehen. Die Politik soll arbeiten, nicht streiten. Natürlich ist man froh, wenn Kanzler Christian Kern und Vize Reinhold Mitterlehner am Ende dieses politisch anstrengenden Jahres in Bürgerforen ein bisserl schmusen. Konstruktive Sacharbeit, juhu! Einerseits.

Andererseits: Was ist so schlecht an ein bisschen Konflikt? Solange nicht um des Streites willen gestritten wird. Jammern wir nicht seit einem Vierteljahrhundert darüber, dass man bei Wahlen keine echte Wahl hätte? SPÖ und ÖVP konnte man mit freiem Auge schon lange nicht mehr unterscheiden, drängten doch beide in die Mitte. Und egal, was man bei Wahlen ankreuzte, es kam (fast) immer eine Große Koalition heraus, selbst dann noch, als die beiden Parteien nicht mehr groß, sondern nur mehr mittelmäßig waren. Und in den sieben Jahren, in denen Schwarz-Blau-Orange regierte, schauten die Sozialpartner darauf, möglichst viele Ecken abzuschleifen. Keine Frage, der österreichische Weg war vor 70 Jahren wichtig und richtig. Die Relikte davon aber erinnern nur noch an unselige Zeiten der Parteibuchwirtschaft und des Proporzes, etwa wenn Nieder-und Oberösterreich ihre Konzentrationsregierungen nicht abschaffen wollen: Ab einer gewissen Stimmenanzahl sitzt jeder drinnen -egal, ob er was zu melden hat oder nicht.

Bei der nächsten Nationalratswahl haben Sie endlich die Wahl! Da wäre Christian Kern, ein liberaler Sozialdemokrat, der tatsächlich die eine oder andere wirtschaftspolitisch linke Position vertritt. Dann muss man mit Sebastian Kurz rechnen, einem konservativen Christdemokraten, der auf abendländische Werte pocht. Dazu kommt Heinz-Christian Strache, ein autoritärer Rechtspopulist, der Österreich abschotten möchte. Dass die drei Männer einander äußerlich ähneln, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie inhaltlich wenig gemeinsam haben.

Solange Meinungsverschiedenheiten zivilisiert, mit Argumenten unterfüttert ausgetragen werden, halten wir das doch locker aus.

Kommentare

1. Man hat die Auswahl z.B. nach formaler Ausbildung:
Kern: Magisterabschluss
Kurz : Studienabbrecher
Strache: Lehre ohne Matura
2. Mundwerk:
Kern: gut, fundierte Ausdrucksweise
Kurz: gut, angepasste, zivilisierte Ausdrucksweise
Strache: gut, aufgeregter Schlagwort -und Floskelsprecher

Ob Österreich nochmals die blaune Anzockertruppe verkraftet, darf bezweifelt werden.

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