Doskozils Welt

Der burgenländische Landeshauptmann hat sich bundespolitisch zurückgenommen. Das bedeutet nicht, dass sich Pamela Rendi-Wagner in Ruhe aufs Kanzleramt vorbereiten kann.

von Kolumne - Doskozils Welt © Bild: Privat

Bald wird eine vorgezogene Nationalratswahl stattfinden, für die SPÖ wird Pamela Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin antreten, gewinnen, Regierungsverhandlungen führen und schließlich zur zweiten Bundeskanzlerin nach der parteiunabhängigen Brigitte Bierlein (2019-2020) angelobt werden. So steht's in gewissen Drehbüchern, zumal alles in diese Richtung zu gehen scheint: Die türkis-grüne Koalition wirkt, als befinde sie sich in der Nachspielzeit; fertig, aber noch nicht zu Ende. Die SPÖ liegt in den meisten Umfragen vorne und Rendi-Wagner hat in der Partei klargestellt, dass sie nicht nur Spitzen-, sondern auch Kanzlerkandidatin sein möchte.

Gemacht hat sie das souverän. Und zwar mit der Rede, die sie Ende März an ihre "Freundinnen und Freunde" in der Aula der Wissenschaften in Wien richtete. Vor Franz Vranitzky, Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern, also allen lebenden Ex-Regierungschefs aus den Reihen der Sozialdemokratie. Das war ein starkes Zeichen.

Auch Kritiker attestieren ihr, derzeit überhaupt einen Lauf zu haben: Früher und wahrnehmbarer als etwa Herbert Kickl (FPÖ) fing sie an, auf die Teuerungswelle einzugehen, die für eine Masse beim Tanken und beim täglichen Einkauf spürbar ist: "Die Inflation ist kein Schmutz", wetterte Rendi-Wagner und forderte eine Lohnsteuersenkung ebenso wie eine Erhöhung der Pensionen und eine Reduktion von Sprit-, Strom- und Gaspreisen.

Gießkanne, aber wirkungsvoll

Natürlich könnte, ja sollte man darüber streiten, wie viel von der Teuerung hausgemacht ist, also durch Österreich beeinflussbar ist und ob es vernünftig ist, darauf mit der Gießkanne zu reagieren, sodass nicht nur denjenigen geholfen ist, die es brauchen, sondern auch Leuten mit sehr viel Geld. Jeder Politikberater wird jedoch bestätigen, dass man auf dieses Thema laut und deutlich eingehen muss, wenn man keine Wahlen verlieren möchte. Rendi-Wagner bemüht sich darum. Es ist einfacher für sie als für Kanzler Karl Nehammer oder Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP), die im Unterschied zu ihr nicht nur fordern können, sondern auch liefern müssen. Aber das ist schlicht Glück für sie.

Dieser Lauf der SPÖ-Vorsitzenden ist auch dadurch begünstigt, dass sich ihr größter Kontrahent seit einem Jahr mehr und mehr zurücknimmt: der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Gesundheitliche Gründe sind es nicht, obwohl er sich in der Vergangenheit mehreren Operationen im Kehlkopfbereich unterziehen musste. Es ist Vernunft: In direkter, permanenter Auseinandersetzung mit Rendi-Wagner hat er auf Dauer nichts zu gewinnen. Die Stimmung ist da schon gegen ihn gekippt: Wenig verachten Sozialdemokraten mehr als illoyales Verhalten gegenüber der Parteispitze.

Also schied Doskozil auf eigenen Wunsch und in Befürchtung einer Abfuhr bei einer allfälligen Wiederkandidatur als stellvertretender Parteichef aus. Blieb einem Neujahrstreffen im heurigen Jänner ebenso fern wie Rendi-Wagners "Kanzlerinnenrede" vor wenigen Wochen. Hier zog er es vor, nach Deutschland zu reisen, um den Geburtstag seiner Lebensgefährtin zu feiern.

Hof halten in Eisenstadt

Spielt er also gar keine Rolle mehr für die Bundespolitik? Bei der Beantwortung sollte man vorsichtig sein. Der 51-Jährige mischt auf seine Weise mit. Als Landeshauptmann arbeitet er an einem sozialdemokratischen Modell, das über die Grenzen hinaus Beachtung findet. Und zwischendurch empfängt er Vertreterinnen anderer Parteien aus Wien, wie zuletzt Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer oder Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Nicht etwa vertraulich, sondern so, dass es wahrgenommen und ordentlich darüber berichtet wird. Nach dem Gespräch mit Meinl-Reisinger ließ er wissen, dass es überraschenderweise große Übereinstimmungen gebe und er glaube, dass die Neos "sehr interessante Partner" für eine Koalition auf Bundesebene wären.

Aber hallo! Solche Signale sind bemerkenswert für einen, der sich nicht mehr an der SPÖ-Führung beteiligen will. Indirekt bemüht er sich doch darum, weiterhin mitzumischen. Das ist das eine. Das andere: Für einen, der sich vor vier Jahren noch darüber empört hatte, dass die Partei unter ihrem damaligen Vorsitzenden Christian Kern mehr auf Klima und Weltoffenheit setzen wolle als auf Migration, hört sich das nach einem radikalen Wandel an: "Wir dürfen keine grün-linke Fundi-Politik betreiben", schäumte er damals, "da schaffen wir uns selbst ab."

»Wer der SPÖ die Kanzlerschaft zurückerobert, ist nebensächlich. Zum Zug kommt auf längere Sicht, wer das Ziel am ehesten erreichen kann«

In Wirklichkeit ist es so, dass sich Doskozil nur einer veränderten Lage angepasst hat: Gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine betont auch er uneingeschränkte Hilfsbereitschaft, außerdem bewegt sich das Pendel momentan generell von rechts nach links. Eine Regierung könnte sich sogar ohne ÖVP und FPÖ ausgehen. Dem trägt Doskozil Rechnung. Im Übrigen ist er der alte geblieben: Dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat er zu dessen jüngstem Wahlerfolg gratuliert und ausgerichtet, dass er einen verlässlichen Partner in ihm sehe.

Wie einst im roten Wien

Weniger sichtbar ist die landespolitische Welt, die Hans Peter Doskozil pflegt: Sie ist straff organisiert wie einst vielleicht das rote Wien, er war bei einer Landtagswahl so erfolgreich wie kein anderer Sozialdemokrat Österreichs. Im Zentrum steht ein starker Staat, der einen Mindestlohn von 1.700 Euro netto für seine Bediensteten einführt oder eine Anstellung pflegender Angehöriger bei einer Landesgesellschaft ermöglicht. Knapp 70 solcher Landesgesellschaften, von den Verkehrsbetrieben über Thermen und Hotels bis zur Immobilienverwaltung, sind in einer Holding zusammengefasst. Dazu gehört auch eine Agentur, die sich um die gesamte PR kümmert, die die Bevölkerung beispielsweise wissen lässt, dass Doskozil und die übrigen Regierungsmitglieder ihre Wahlversprechen einhalten würden. Das ist eine Welt, von der viele Genossen in der Partei träumen. Genossen außerhalb des Burgenlands, wohlgemerkt.

Das steht innerparteilich auf der Haben-Seite des ehemaligen Verteidigungsministers, der 2017 nach Eisenstadt ging, um drei Jahre später bei einer Landtagswahl für die SPÖ acht Prozentpunkte zuzulegen und damit haarscharf an die absolute Stimmenmehrheit heranzukommen (49,94 Prozent). Das kann ihn selbstbewusst und zunehmend auch gelassener machen. Sollen einige glauben, er könne eh nie Kanzler werden. Sie könnten sich täuschen.

Wenn es bald zu einer Nationalratswahl kommt, ist Rendi-Wagner Spitzenkandidatin. Daran besteht kein Zweifel. Je länger ein solcher Urnengang auf sich warten lässt, desto ungewisser wird jedoch alles zusammen. Coronapandemie, Sebastian- Kurz-Rücktritt und Ukraine-Krieg waren zuletzt drei Ereignisse, die kaum jemand auf der Rechnung haben konnte und die auch innenpolitisch einiges durcheinandergebracht haben. Abgesehen davon hat Rendi-Wagner noch immer eine große Schwäche: Bei einer Kanzlerdirektwahl würde sie wahrscheinlich gegen Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP) verlieren.

Gestärkt wird sie auf der anderen Seite dadurch, dass Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hinter ihr steht. Das ist jedoch eine zweischneidige Geschichte: Ludwig ist der einflussreichste Sozialdemokrat Österreichs. Sein Wort hat Gewicht. Durch sein Corona-Krisenmanagement hat er sich Respekt verschafft. Seit der Faymann-Ablöse 2016 ist jedoch klar, dass ein Wechsel an der Bundesparteispitze über kleinere Landesorganisationen durchgesetzt werden kann.

Damit geht ein Risiko für Rendi-Wagner einher: In sechs von neun Bundesländern bilden die Genossen nur noch Mittel-oder Kleinparteien, in Salzburg, Tirol und Vorarlberg sind sie überhaupt hilf-wie machtlos in Opposition. In einem solchen Umfeld ist die Sehnsucht nach einer sozialdemokratischen Kanzlerschaft umso größer, über die auch etwas abfallen könnte. Und sei es nur das Gefühl, einer Partei anzugehören, auf die man endlich wieder stolz sein kann. Wer diese Kanzlerschaft zurückerobert, ist nebensächlich. Zum Zug kommt auf längere Sicht, wer die besten Chancen hat, das Ziel zu erreichen.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at