"Was soll ich machen?
So ist das Leben"

Warum viele Lungenkrebspatienten nicht aufs Rauchen verzichten

Nur etwa die Hälfte der Patienten auf der Onkologischen Ambulanz für Lungenkrebspatienten im Otto-Wagner-Spital auf der Baumgartner Höhe in Wien hört nach der Diagnose auf, zu rauchen. Dabei kann mit neuen Therapien die verbleibende Lebenszeit mittlerweile deutlich verlängert werden - falls man endlich auf die Zigaretten verzichtet.

von Rauchen © Bild: Istockphoto.com/Altayb

Die Otto-Wagner-Pavillons auf der Baumgartner Höhe sind kein sehr einladender Ort an diesen trüben Tagen, die Bäume sind ohne Laub, die Gehwege sind nass. Gegen die Kälte wappnen sich viele hier mit aufgestelltem Kragen, und nicht wenige wärmen sich mit einer Zigarette. Bei winterlichen Temperaturen zieht man sich 650 Grad heißen Rauch in die Atemorgane, die bei den Patienten des Pavillons Leopold je nach Schwere der Erkrankung voll mit Tumoren sind.

Hier ist die onkologische Tagesambulanz des Spitals untergebracht, auf den drei Balkonen am Pavillon davor stehen Patienten, die rauchen, vor dem Pavillon stehen Patienten mit dem Pflegepersonal zusammen und rauchen, und im Garten davor ragt eine ein Meter hohe Metallzigarette aus einem riesigen Aschenbecher, der voll ist mit halb gerauchten Chesterfield. War es zu kalt zum Fertigrauchen? Oder plagte dann doch das schlechte Gewissen? Im ersten Stock sitzt Mediziner Maximilian Hochmair, er ist 40 Jahre alt, und es ist kaum vorstellbar, dass je ein Mediziner mit größerer Begeisterung über seine Arbeit redet. Das triste Wetter ist dem bald vierfachen Vater egal. Den nächsten Frühling werden viele seiner Patienten nicht erleben, pro Jahr gibt es circa 700 Aufnahmen, jeden Tag sterben zwei oder drei. Und: "90 Prozent aller Tumore gehen auf das Rauchen zurück", erklärt er zu Beginn unseres Gesprächs. Ausnahme wäre das EGFR-mutierte Karzinom, an dem zum Beispiel Theatergenie Christoph Schlingensief, ein lebenslanger Nichtraucher, verstarb.

Zehn bis 15 Prozent der Patienten würden am besonders gefährlichen kleinzelligen Lungenkarzinom erkranken, das sich nur bei Rauchern ausbildet. Beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom unterscheide man zwischen Adenokarzinom (schleimbildend) und dem Plattenkarzinom, "wo man auch sagen kann: Das Rauchen ist an dessen Ausbildung schuld." Und dann gäbe es noch Tumore, die zu keiner dieser Gruppen gehörten.

Mit zehn Jahren Raucher

In seiner Ambulanz wird dem Patienten die Diagnose gestellt und werden Therapiemöglichkeiten besprochen, und fast immer ist das Rauchen ein Thema und sein Appell, sofort damit aufzuhören: "Beim kleinzelligen Karzinom weiß ich, dass der Patient doppelt so lange lebt, wenn er sofort damit aufhört." Und bei anderen Tumoren könne man immerhin sagen, Aufhören habe einen "positiven Effekt".

Hier im Pavillon Leopold sind einige Patienten im "Stadium 4" untergebracht. "Der Krebs metastasiert bereits", sagt Hochmair, "und es gibt keinen heilenden Ansatz. Eine Gesundung ist recht unwahrscheinlich, und wer operiert wird, der hat trotzdem ein höheres Risiko, dass Tumore sich wieder bilden." Aber immer gelte: Wer zu rauchen aufhört, der verringert die Chance auf eine Wiederkehr. "Wenn jemand trotzdem weiterraucht, ist das ein maximaler Kas", sagt Hochmair.

Otto-Wagner-Spital Rauchen
© Lukas Ilgner/www.lukasilgner.at Im Otto-Wagner-Spital gibt es eine onkologische Tagesstation
»Je früher die sich noch entwickelnde Lunge des Jugendlichen geschädigt wird, desto problematischer«

Der Arzt macht mich mit Alfred, 82, bekannt, der auf einem von acht Stühlen im Ambulanzraum sitzt, seit einer Stunde tropft Flasche um Flasche einer Chemotherapie in seine Venen. Er hat mit zehn Jahren angefangen zu rauchen, mit anderen Wiener Kindern ging er den Erwachsenen nach, hob die weggeworfenen Tschick auf und rauchte die Reste. Später bekamen sie von den russischen Besatzern den Mochowka-Tabak geschenkt. "Klassisch!", sagt Hochmair. "Je früher die sich noch entwickelnde Lunge des Jugendlichen geschädigt wird, desto problematischer. Das Rauchen in jungen Jahren ist eine Katastrophe."

Wobei: "Nikotin ist eine wunderbare Droge", weiß auch er: "In stressigen Momenten beruhigt sie einen, und wenn man zu ruhig ist, dann stimuliert sie." Das Problem sei der Suchtaspekt.

Alfred rauchte zuletzt Milde Sorte, "vor 24 Jahren", erzählt er, "habe ich einen Rausch gehabt". Er hat die Schnur am Klo nicht erwischt und ist auf den Hinterkopf gefallen. Wenn er in der Folge einen kleinen Huster machte, dann hatte er das Gefühl, das Hirn fahre ihm oben aus dem Schädel. Da hat er zum Rauchen aufgehört und auch mit dem Alkohol, "weil wenn ich ein Achterl Wein getrunken hätte, hätte ich wieder zum Rauchen angefangen". Jetzt isst er stattdessen Schwedenbomben, auch mal 30 Stück aus einer 32-Stück-Schachtel, die restlichen zwei kriegt seine Frau.

Früher, sagt Hochmair, sei seine Arbeit so anspruchsvoll gewesen wie die eines Fließbandarbeiters. Patienten, denen es bereits sehr schlecht ging, bekamen oft gar keine Therapie mehr. Früher, das war bis 2007: "Behandelbare Patienten kriegten alle die Tyrosinkinase (TKI) in zweiter Linie nach der Chemo. Die wirkte aber vor allem bei Frauen mit Adenokarzinom, die nie geraucht hatten." Heute seien die Therapiemöglichkeiten ungleich komplexer, es gäbe so viele interessante Studien, und man könne "deutlich häufiger etwas Sinnvolles machen": Eine systemische Behandlung in der ersten Therapielinie wie die Chemo werde ungefähr bei der Hälfte der Patienten angewendet, erklärt er. Eine zielgerichtete Therapie mit Medikamenten bei einem weiteren Viertel. Und Immuntherapie beim Rest.

Mediziner Hochmair
© Lukas Ilgner/www.lukasilgner.at Mediziner Hochmair betreut Patienten mit Lungenkrebs

Das wären die drei Säulen der Therapie, die hier in jedem Fall "palliativ" angewendet würden: "Eine bestmögliche Beschwerdefreiheit" solle erreicht werden. Eine "Chronifizierung" der Krankheit als Ziel zu nennen, wäre falsch, sei aber immer häufiger möglich. "Jeder entwickelt Tumorzellen", erklärt Hochmair die Immuntherapie für den Laien. "Ein intelligentes Abwehrsystem erkennt sie und hält sie auf. Das System wird aber durch Rauchen zum Beispiel gehemmt", durch eine Immuntherapie werde "das System" wieder aktiviert.

Die Hälfte hört auf

"Wir müssen erst verstehen, warum sie beim einen hilft und beim anderen nicht. Was müssen wir beitragen, damit es funktioniert? Man hemmt einen Rezeptor an einer Stelle, und das System funktioniert wieder adäquat. Man hemmt einen anderen, und es funktioniert trotzdem nicht." Jedoch wäre das Verständnis mittlerweile viel höher, und es gehe in der Forschung rapide voran. Er selbst hat allein im Jahr 2017 sieben Toppublikationen zum Thema veröffentlicht. Der erste Patient, der auf diese Weise ab April 2015 hier behandelt wurde, erreicht heuer sein Drei-Jahres-Jubiläum, da könne man bereits von "Chronifizierung der Krankheit" sprechen. Vor zehn Jahren hätte man in diesem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung von einer solchen Lebenserwartung nicht einmal träumen können.

Frau D. erlitt im Juli 2015 einen Kollaps, sie war im Auto unterwegs nach Holland. Bei der Untersuchung hat man festgestellt, dass sie Flüssigkeit in Lunge und Herzbeutel hatte und Krebszellen. Sie war 61 Jahre alt und hatte 30 Jahre langt Winston geraucht, ein Packerl pro Tag. "Ich hab so gerne geraucht", sagt sie, und bereuen würde sie es nicht. "Man kann ja eh nichts ändern", sagt sie. "Sie bekam eine Immuntherapie im Rahmen einer Studie, und der Tumor ist vollkommen verschwunden", sagt Hochmair begeistert. "Sie hing schon an der Sauerstoffflasche, und nun hat sie ihr Leben zurück." So wie bei anderen Patienten auch, musste ihr Tumor zuerst mit einer Chemo "angeheizt" werden, damit er anschließend auf die Immuntherapie reagieren konnte.

Frau D. hörte sofort auf zu rauchen, und das gefiel dem Arzt, der selbst nie eine Zigarette angefasst hat. "Es gibt Patienten, die sagen: Ich hau das Tschickpackerl da in den Mistkübel hinein und ich rauche nicht mehr." Aber: "Nicht jeder ist ganz ehrlich! Ich habe ein gutes Näschen! Manche sagen dann: 'Die Frau raucht zu Hause', weil er sich geniert, dass er noch immer raucht."

Aber wenn er zu stark Druck mache, fühle der Patient sich vielleicht bei jeder Zigarette schuldig. "Und das ist auch nicht gut für die Zeit, die er noch hat. Es ist immer ein Spagat, aber egal, ob der Patient mit Nachdruck drauf angeschossen wird oder sehr kollegial -er muss wissen, was das Rauchen bewirkt." Vom Gefühl her höre die Hälfte auf, sagt er, und das wäre relativ wenig, wenn man wisse, was einen erwartet. Zumindest würde heute keiner der Ärzte auf seiner Abteilung mehr rauchen, sagt Hochmair. Mit dem Pflegepersonal hingegen kann er nicht so zufrieden sein. "Was soll ein Patient denken, wenn er sie draußen vor dem Pavillon rauchen sieht?"

Die Krankenschwester Elda raucht Golden Virginia Grün, ungefähr zwölf Stück Selbstgedrehte am Tag. Ihre Kollegin Tamara bis zu 15 rote Marlboro, obwohl sie jeden Tag zwei oder drei Menschen hier sterben sehen. Elda hasst es, zu rauchen, schaffte es aber immer nur höchstens drei Wochen, nicht zu rauchen. Tamara hat sofort aufgehört, als sie schwanger wurde, und rauchte vier Jahre lang nicht. Aber dann ging sie mit Freundinnen fort und fing wieder an. "Man steht selbst bei der Visite dabei, und dann geht man hinaus, steht wieder links unten vor der Türe oder im Raucherkammerl", sagt sie und schüttelt den Kopf über ihr eigenes Verhalten.

Langsamer Tod

"Du denkst ständig, dass du auch so sterben wirst wie die Leute hier!", erzählt Elda und spricht mit Tamara über die "letzte Phase". Man sehe richtig, wie die Patienten verfallen, man merke es immer ein paar Tage vorher, dass es zu Ende geht. Dann schaue man zu als Pflegerin und sei hilflos. "Geht es schnell?""Unterschiedlich." Aber eher nicht. "Mithilfe der Palliativmedizin kann ich durch entsprechende Medikamente wie Morphinpräparate die Angst vor der Atemnot nehmen", sagt Mediziner Hochmair. Momentan wüssten Tamara und Elda von zwei Patienten, dass sie in den nächsten 24 Stunden sterben werden. Die meisten schaffen es am Rücken liegend, manche im Sitzen, abgestützt durch Pölster. Kann es sein, dass Hochmair eines Tages sagen wird: "Raucht weiter, wir haben eh ein Pulverl!"? "Nein", lacht er.

Ich gehe zu Frau S. in den Ambulanzraum, eine 58-jährige gebürtige Serbin, Frohnatur trotz Diagnose "unheilbar". Sie raucht nach wie vor jeden Tag ein Packerl. "Was soll ich machen?", sagt sie und zuckt die Schultern. Sie sitze den ganzen Tag zu Hause und würde lieber nichts essen als nichts rauchen. Ob sie Angst vor dem Tod hätte? "Was soll ich machen?", sagt sie noch einmal. "So ist das Leben."