"Don Giovanni" in Salzburg

ein Gesamtkunstwerk, das Festspielgeschichte schreibt

Romeo Castellucci inszeniert Mozarts Oper als bildmächtiges Spiel vom Sterben eines einsamen Mannes

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Salzburger Festspiele - "Don Giovanni" in Salzburg © Bild: Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Zu Beginn seiner Intendanz in Salzburg 2017 definierte Markus Hinterhäuser seine Aufgabe darin, die Festspiele zu einem „Epizentrum des Besonderen“ zu machen. Das löste er mit der Neuproduktion von Mozarts „Don Giovanni“ auch in diesem Sommer ein. Romeo Castellucci, einen der aufregendsten Opernregisseure unserer Zeit, der 2019 mit Richard Strauss’ „Salome“ bereits Denkwürdiges geschaffen hat, und Teodor Currentzis am Pult seiner formidablen Originalklangformation MucicAeterna, hatte für Da Pontes Oper geholt. Im Interview mit News gab Castllucci erste Einblicke in seine Arbeit. Don Giovanni sei ein Mysterium. „Er stiftet Chaos, er stört und zerstört, aber tatsächlich ist er der Gebrochene“, so Castellucci. Seine Geschichte sei eine über den Tod. So zeigt er sie auch, und das ist überwältigend. Denn Castellucci ist nicht nur Regisseur, er ist ein Künstler. Bühnenbild und Kostüme schuf er selbst. Das Faszinierende, die Kraft seiner überwältigenden Bilder entsteht aus der Musik. Da passt jedes Detail.

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Noch bevor der erste Takt geschlagen wird, nimmt ein Arbeitstrupp in weißen Overalls die Arbeit in einem strahlendweißen Kirchenschiff auf. Das Kreuz, Heiligenstatuen, alles, was an den christlichen Glauben erinnert, wird fein säuberlich verpackt und weggebracht. Die sakrale Ordnung hat Pause, jetzt zieht das Menschliche ein. Eine gefleckte Ziege quert anmutig zügig von links nach rechts die leere Bühne. Das brave Tier trabt unbeirrt voran, nichtsahnend, dass es als Symbol herhalten für das Diabolische herhalten muss. Diese Leere, dieses einsame, unschuldige Tier irritiert. Der nächste Schlag folgt scharf nach Ende der Ouvertüre in Form eines silbergrauen PKWs, der mit Krach auf dem Platz einschlägt. Leporello ist damit angekommen. Donna Anna ganz in Schwarz gekleidet, lässt erahnen, das sie der Auslöser zum direkten Weg in Tod für Don Giovanni ist. Sein Erscheinen wird von einem Klavier, das von oben auf die leere Bühne kracht, begleitet. Er und sein Diener Leporello gleichen einander zum Verwechseln. Jede Szene ist präzise durchdacht, jede Figur erzählt schon durch ihre Kleidung und ihr Auftreten ihre Geschichte.

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Donna Elvira im korrekten Kostüm, Don Ottavio einmal in weißer Uniform, einmal als Skifahrer mit Holzbrettern am Rücken und als eine Art Faschingsprinz. Einmal zieht er einen kleinen, halb geschorenen, weißen Pudel mit, ein anderes Mal einen Königspudel. Wie diese Tiere gestylt sind, mag man als Verweis auf die Dekadenz einer Gesellschaft verstehen, die nichts für ihre Gefährten übrig hat, die sie nur als Zier verwendet. Im Gegensatz dazu steht eine Ratte, die von einem der Bauernmädchen liebevoll vom Bühnenrand geborgen wird. Zentrale Momente setzt Castellucci verblüffend mit einfachen, klaren Bildern stark in Szene. So etwa lässt er bei der Register-Arie zwei Kopierer miteinander in Interaktion treten. Beim „La ci darem la mano“ findet sich Don Giovanni mit Zerlina unter einem Baum ein, die wird von einer entblößten Darstellerin gleichsam verdoppelt. Seine Fantasie, ihre Fantasie? Schlüsse zu ziehen, überlässt dieser Regisseur dem Betrachter.

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Im zweiten Teil ist die Bühne von einem transparenten Vorhang umflort. 150 Frauen, jene, die als Zahlen in der Register-Arie genannt wurden, werden da zu wirklichen Menschen. Fulminante Bilder entstehen durch ihre Bewegungen. Erst treten sie in zartem, schattierten Pastellrosa auf, dann wandeln sich diese in schwarz gewandete Furien.

Absolute Beklemmung dann bei Don Giovannis „Höllenfahrt“. Diese zentrale Gestalt wirkt geschwächt, ein gebrochener Mann taumelt da einsam über die Bühne, der immer mehr verblasst, bis er als weißes Wesen ins Nichts verschwindet. Zurückbleibt eine verlorene Gesellschaft beim Schluss-Sextett. Die Figuren mutieren zu Gipsgestalten, die jenen nach dem Ausbruch des Vesuvs 79 nach Christus nachempfunden sind.

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Aus dem Ensemble ragen Fedrica Lombardi und der Tenor Michael Spyres heraus. Lombardi ist eine grandiose Donna Elvira. Spyres ist ein brillanter Don Ottavio, einer der faszinierendsten Mozart-Tenöre der jüngeren Generation. Er lässt sich auch von der extrem gedehnten Tempoführung beim „Da la sua pace“ nicht beirren. Davide Luciano zeichnet darstellerisch ein packendes Psychogramm von Don Giovanni, phrasiert sehr schön, trumpft jedoch sängerisch nicht auf. Vito Priante ist ihm als Leporello ein ordentlicher Partner.

Nadezhda Pavlova ist eine intensive Donna Anna, die auch Mut zur Selbstentäußerung nicht scheut. Anna Lucia Richter ist eine kraftvolle Zerlina. David Steffens ergänzt sehr gut als Masetto. Mika Kares komplettiert achtbar als Comtur.

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Über Teodor Currentzis Lesart ließe sich diskutieren. Nicht nachvollziehbar sind die Verzierungen bei den Rezitativen. Manches schrammt am Rande des Kitsch. Er setzt auf wahre Exzesse. Manche Passagen aber klingen atemberaubend, etwa, wenn es für Don Giovanni zu Ende geht. Das Publikum - auch die Berichterstatterin – bejubelte diese Produktion. Dieser „Don Giovanni“ wird Festspielgeschichte schreiben. So stellt man sich das „Epizentrum des Besonderen“ vor.