"Es werden immer mehr digitale Verbrechen begangen"

Wie seriös und empfehlenswert sind Bitcoin und andere virtuelle Investments? Der Unternehmensberater und Ex-Topmanager Cornelius Granig beschäftigt sich in dem Buch "Böses Geld" mit der digitalen Finanzwelt zwischen Heilsversprechen und Kriminalität. Und mit dem Risiko, das auf Anleger im Umgang mit Kryptowährungen lauert.

von "Es werden immer mehr digitale Verbrechen begangen" © Bild: iStockphoto.com
Der Politikwissenschaftler ist Unternehmensberater beim internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Grant Thornton und leitet eine Taskforce bei der Antikorruptions-NGO Transparency International. Nach zehn Jahren im Management bei IBM in Österreich und Osteuropa war Cornelius Granig ab 2008 Vorstand der Raiffeisen Bank Aval, danach Generaldirektor von Siemens in der Ukraine und Vorsitzender des Vorstands einer großen Versicherung. Granig hat auch das Buch "Darknet" geschrieben.

Herr Granig, was war der Anlass für Sie, sich dem Thema "Betrug mit Kryptowährungen" zu nähern?
Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeiten -jetzt als Unternehmensberater und früher schon als Bank-und Versicherungsvorstand - habe ich viel mit der Digitalisierung und Modernisierung der Finanzbranche zu tun. Dabei fällt mir auf, dass die neuen Technologien und vor allem deren Missbrauch für viele Menschen schwer zu verstehen und zu durchschauen sind. Das gilt besonders für Kryptowährungen und die dahinterstehende Technik. Viele Menschen hinterfragen da nichts und sagen sich: "Wenn mein Nachbar oder mein Chef da investiert, dann mache ich das auch" - und fallen dann leider häufig auf dubiose Anbieter herein.

Gibt es Personen, die besonders gefährdet sind?
Ich sehe drei Gruppen, die besonders gefährdet sind, auf Betrüger, die sich am Rande der Fintech-Szene bewegen, hineinzufallen. Das sind Menschen, die sehr wenig Wissen haben, sehr gierig sind oder sehr verzweifelt handeln.

Laut Finanzmarktaufsicht haben aktuell 80 Prozent aller Kryptoangebote dubiose Hintergründe ...
Ja, das ist unwahrscheinlich viel. Ich spreche im Buch ja eine Reihe von solchen Betrugsfällen an - etwa den Fall OneCoin - und beschreibe, wie da vorgegangen wurde. Die sogenannte Kryptoqueen Ruja Ignatova, eine gebürtige Bulgarin, die in Deutschland studierte, hat mit einer Schein-Kryptowährung ab dem Jahr 2014 Innerhalb von 18 Monaten zumindest vier Milliarden Euro eingesammelt und mehr als drei Millionen Menschen um ihr Investment gebracht.

© Manfred Weis Cornelius Granig: "Anleger werden oft mit Schulungsseminaren und der Aussicht auf enorme Gewinne geködert"

Wie funktioniert so etwas?
In ihrer Heimat, in Sofia, stand ein Computerserver, auf dem jeden Tag morgens der Kurs der angeblichen Kryptowährung OneCoin manuell geändert und den Kunden vorgegaukelt wurde, dass dahinter eine private Blockchain - also die für Kryptowährungen notwendige sichere Technik - stünde. Die Darstellung war nicht einmal besonders gut. Verkauft wurde fast ausschließlich über bunt zusammengewürfelte Strukturvertriebler - so wie man sie aus anderen Bereichen kennt.

Die Verkäufer hatten also gar kein Finanz-Know-how?
Die Verkäufer wurden nur kurz eingeschult. Man erklärte ihnen, dass die Währung seit Beginn schon um 1.000 Prozent gestiegen sei, und versprach ihnen, einen Teil der Vermittlungsprovision in dieser neuen "Währung" und einen Teil in einer echten Währung auszubezahlen -mit Multiplikationseffekten, je mehr Investoren sie finden konnten. Die Verkäufer wurden zum Großteil auch selbst enttäuscht. Durch dieses Pyramidenspielsystem haben sie aber immer mehr Verwandte und Freunde hineingeritten. Und obwohl die Gründerin längst von der Bildfläche verschwunden ist und Beteiligte verhaftet wurden, läuft der OneCoin-Betrug bis heute weiter, vor allem in Afrika, Asien und Südamerika.

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Die Währung gibt es aber nicht ...
Das Geschäft geht dennoch weiter. Das zeigt auch, wie sich solche Fälle von der realen Welt entkoppeln. Die Kommunikation mit den Kunden und Vertriebsmitarbeitern läuft heute über den Messengerdienst Telegram. Sehen Sie hier (Cornelius Granig zeigt auf sein Smartphone): Die Verkäufer nennen sich jetzt "Global One EcoSystem", beschreiben sich selbst als seriöse Handelsplattform und verschweigen, dass das, worüber sie laufend berichten, sehr dubios ist. Alles hat den Anschein einer gewissen Normalität und es ist keine Rede von den Verbrechen der Kryptoqueen. Ganz im Gegenteil möchte man mit der Sozialinitiative "OneLife" angeblich das Leben der Kunden verbessern und eine "natürliche Ausbildungsrevolution" auslösen, damit alle Menschen weltweit Zugang zu finanzieller Bildung haben.

Wie werden die Anleger von Krypto-Strukturvertrieben genau geködert?
Üblicherweise damit, dass ihnen Schulungsseminare über das Funktionieren von Bitcoins oder Blockchains und so weiter in unterschiedlichen "Paketen" verkauft werden: die kosten 1.000 Dollar oder mehr. Bei diesen Packages ist dann eine gewisse Anzahl einer unbekannten oder gar nicht existierenden Kryptowährung zu einem fiktiven Sonderpreis dabei -mit der Aussicht auf enorme Gewinne. Diese Angebote finden reißenden Absatz.

Sind das normale Seminare?
Diese Seminare finden in der Regel online statt. Corona hat die Verlagerung ins Internet noch zusätzlich befeuert. Da gibt es dann etwa sogenannte Global-Mentorship-Seminare via Zoom, bei denen auch eine Art Coaching stattfindet und aus Anlegern dann Mitarbeiter des Strukturvertriebs werden. Letztlich ist das eine riesige Betrugsmaschinerie.

GLOSSAR

Begriffe und Anbieter

Eine Kryptowährung ist ein digitales Zahlungsmittel, das - zumeist - auf der Blockchain-Technologie basiert. Diese entstand 2008 und ermöglicht eine dezentrale, kryptografisch verschlüsselte und unveränderbare Speicherung von Transaktionen. Fintech ist ein Kurzbegriff, der sich aus "financial services" und "technology" zusammensetzt und Unternehmen bezeichnet, die mit Hilfe moderner Technologien Finanzdienstleistungen anbieten.

Neben Marktführer Bitcoin und Ethereum gibt es ca. 5.000 weitere Kryptowährungen - wie Cardano, Chainlink, Uniswap oder Polkadot. Das wertvollste Fintech der Welt ist die chinesische Ant Group, eine Tochter der Alibaba Group. Die Nummer zwei ist US-Zahlungsverkehrsdienstleister Square und dahinter der an der New York Stock Exchange notierende Kryptohandelsplatz Coinbase. Der niederländische Zahlungsverkehrsdiensteanbieter Adyen liegt als wertvollstes europäisches Fintech unter den Top Ten.

Warum gelingt es nicht, den Betrügern das Handwerk zu legen?
Es gibt viele Anzeigen, die Behörden brauchen aber so lange, dass in der Zwischenzeit Menschen immer wieder alles verlieren. Und für die Ermittler ist die Dreistigkeit der Kriminellen oft erschütternd. Die Kryptoqueen Ignatova hat am Höhepunkt ihrer Aktivitäten 2016 sogar das Wembley-Stadion in London gemietet und dort einen Vortrag vor Tausenden Verkäufern gehalten, während die Ermittlungsbehörden in akribischer Kleinarbeit versucht haben, ihr das Handwerk zu legen.

Was ist aus ihr geworden?
Sie wurde 2017 das letzte Mal gesehen, als sie vom Flughafen Sofia entweder nach Wien oder Griechenland geflogen ist. Das weiß man nicht so genau. Seitdem ist sie verschwunden.

Wie viele digitale Währungen bzw. digitale Assets gibt es eigentlich?
Mehr als 5.000. Wobei viele davon in betrügerischer Absicht geschaffen wurden oder technisch gar nicht existieren.

Wo lauern die größten Gefahren für Anleger?
Ein Problem ist sicher die blinde Fortschrittsgläubigkeit vieler Menschen. Wenn jemand kein besonderes Wissen hat, glaubt er, Blockchains hätten ungefähr denselben Stellenwert wie die Erfindung des Computers. Die Blockchain-Technologie ist natürlich etwas Revolutionäres - und es gibt großartige Entwicklungen, die auf ihrem Einsatz basieren. Allerdings hat sich dadurch nicht die gesamte Finanzwelt dramatisch verändert. Betrüger behaupten einfach, sie hätten eine bessere Blockchain als zum Beispiel Bitcoin und diese werfe auch viel höhere Gewinne ab. Die Technologiediskussion, die im Vordergrund geführt wird, macht die Leute unaufmerksam und unvorsichtig. Sie glauben, das ist etwas ganz Besonderes. In vielen Fällen haben die kriminellen Anbieter aber gar keine Technologie, nicht einmal eine normale technische Lösung.

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Diese betrügerischen Firmen treten aber durchaus beeindruckend auf ...
Das ist ein weiteres Problem. Die Betrüger erklären, sie hätten nicht nur eine Kryptowährung, sondern sie seien quasi eine Familie mit vielen anderen tollen Angeboten. Etwa mit einem eigenen Charity-Fund, einer eigenen Uni oder mit Möglichkeiten zum günstigen Reisen und so weiter. Auf diese Schiene wieder springen andere Firmen auf, um daraus ein für sie lukratives Business zu machen. Für Anleger ist das oft sehr verwirrend und schwierig, zwischen Betrügern und Visionären zu unterscheiden.

»Ein Problem ist sicher die blinde Fortschrittsgläubigkeit vieler Menschen«

Ein Beispiel dafür?
Zum Beispiel gibt es eine in Kärnten gegründete Plattform namens EXW, die einen Kryptowährungshandelsplatz betreibt. Das Prinzip funktioniert folgendermaßen: Kunden zahlen bei EXW Geld ein, können damit Kryptowährungen kaufen und erhalten jeden Tag 0,1 bis 0,4 Prozent Zinsen. Wer sehr viel einzahlt, kann eine Luxuswohnung in einem anderen Land nutzen oder ein Luxusauto - eine ganze Palette an Produkten und Vorteilen. Am Ende erhalten die Kunden jedoch häufig die Auskunft, aufgrund technischer Probleme könne man nichts an sie auszahlen. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Warnungen von Finanzmarktaufsichten vor dieser Organisation - die offenbar zuerst von Österreich nach Slowenien, dann nach Liechtenstein, Estland und Thailand übersiedelt ist. Derzeit sitzt sie in Dubai und betreibt einen offiziellen Channel über den Messengerdienst Telegram, auf dem laufend verlautbart wird, dass demnächst mit einer Auszahlung an austretende Kunden zu rechnen ist. Wer jedoch sein Geld drinnen lässt, bekomme später mehr.

Wer glaubt denn so etwas?
Für den Glauben sorgt die Werbung: Es werden alle möglichen Marketingwerkzeuge verwendet, um große Gewinnmöglichkeiten zu illustrieren. Der EXW-Gründer, der laut besagtem Telegram-Channel aus der Plattform ausgestiegen ist, nutzt eine indische Spezialfirma, um über sich selbst weltbewegende Nachrichten in die Welt zu setzen -unter anderem auf einer Website namens "America Daily Post". Die sieht aus wie eine Internettageszeitung, und dort stehen dann Artikel wie "Der 23-jährige Entrepreneur und Millionär hat die neue Luxusmodemarke Understatement gegründet, die 2021 gelauncht wird". So wird er als erfolgreicher Geschäftsmann präsentiert, als Vorbild jedes Anlegers, der auf ähnliche Weise sehr reich werden könne.

Es wird aber hoffentlich auch seriöse Fintechs geben.
Natürlich: etwa die Internet-Direktbank Revolut, der schwedische Zahlungsverkehrsdienstleister Klarna oder der deutsche Onlinebroker Trade Republic. Im Bereich der Handelsplätze gelang es der New Yorker Coinbase, bei einem Börsengang im April fast 100 Milliarden Dollar einzusammeln. Auch in Österreich gibt es mit Bitpanda und Coinfinity interessante Anbieter. Aber es tummeln sich viele extrem dubiose Firmen in dem Umfeld und man muss die Bevölkerung darüber noch viel stärker aufklären und beim Konsumentenschutz mehr dagegen unternehmen.

Und was genau könnte die Regierung dafür machen?
In meinen Augen wäre es sehr vorteilhaft, wenn eine staatliche Hotline eingerichtet wird, die Privaten und Firmen hilft, die Fragen zu problematischen Fintech-Angeboten haben oder Geschädigte von dubiosen Anbietern sind. In Israel gibt es bereits die Cyber-Notfallnummer 119, die sich mit digitalen Notfällen beschäftigt - zusätzlich zu den Notfallnummern der Polizei, Rettung und Feuerwehr. Auch eine Liste "guter Anbieter" wäre überlegenswert, in der man Firmen aufführt, die transparent sind und sich laufenden externen Prüfungen unterziehen, um ihr nachhaltiges Geschäftsmodell und ihre Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen.

© Ricardo Herrgott Die Deutsch-Bulgarin Ruja Ignatova lockte Anlegern Milliarden heraus

MILLIARDENBETRUG

Mysteriöse Kryptoqueen

Die 1980 in Bulgarien geborene Ruja Ignatova ist wohl eine der schillerndsten Figuren in der Kryptoszene. Sie kam als Kind nach Deutschland, absolvierte zwei Studien und begann beim Unternehmensberater McKinsey. Als 30-Jährige übernahm sie mit ihrem Vater eine insolvente Gießerei in Bayern, die sie entgegen ihren Ankündigungen ausplünderte. Die Folge war eine Anzeige wegen Veruntreuung von mehr als einer Million Euro. Worauf sie abtauchte und die Firma OneCoin aufbaute - ein als Kryptowährung getarntes Schneeballsystem, das ihr einen luxuriösen Lebensstil ermöglichte. 2017 flog der Betrug auf. Bis dahin sollen Anleger mehr als vier Milliarden Dollar verloren haben. Sie wurde 2017 das letzte Mal gesehen, als sie in Sofia in eine Ryanair-Maschine in Richtung Wien oder Griechenland gestiegen ist. Seitdem ist sie verschwunden und wird vom FBI mit internationalem Haftbefehl gesucht. Gegen sie und OneCoin wird von mindestens 20 Strafverfolgungsbehörden weltweit ermittelt. Ihr Bruder Konstantin, der nach ihrem Verschwinden OneCoin weiterführte, wurde 2019 in Los Angeles verhaftet.

Gibt es international eine einheitliche Linie im Umgang mit Krypto-Crime?
Die einzelnen Länder gehen sehr unterschiedlich mit dem Thema um. In der Schweiz etwa, wo mit der Ethereum Foundation die Nummer zwei bei Kryptowährungen nach Bitcoin sitzt, wird schon jetzt vieles gut reguliert und transparent abgewickelt. In den letzten Jahren wurde ausgehend von der Stadt Zug das "Crypto Valley", eine Hightech-Ansiedlung mit inzwischen über 1.000 Firmen, geschaffen. Diese Fintechs nutzen die neuen Technologien für bahnbrechende Neuerungen. Viele davon haben mehr als eine Milliarde Euro Anlagevermögen. Im Vergleich dazu geschieht in Österreich oder Deutschland noch recht wenig.

Was passiert denn dort?
Ein bedenkliches Beispiel ist Karatbars aus Deutschland. Dahinter steht eine Stuttgarter Firma, die von einem ehemaligen Staubsaugerhändler gegründet wurde. Er hat am Anfang Goldbarren in ganz kleinen Stückelungen von 2,5 Gramm herausgebracht und dafür einen Aufpreis von 50 Prozent verrechnet. Oder mit Gold bedruckte Fantasiegeldscheine angeboten, die viel teurer sind, als wenn man das darauf befindliche Gold normal kaufen würde. 2018 hat er die Karatbit Foundation in Belize gegründet und 40 Millionen Euro mit der neuen Kryptowährung KBC eingesammelt. Karatbars behauptet, dass im Gegensatz zu anderen Anbietern alles zu 100 Prozent mit Gold unterlegt sei, das aus einer Goldmiene in Madagaskar stamme und in Hochsicherheitsspeichern lagere. Mittlerweile gibt es viele Warnungen vor diesem Anbieter.

Welche andern Kryptodelikte gibt es noch?
Jede Menge, etwa Kryptogeldwäsche. Dabei werden digitale Geldbörsen verwendet, deren Eigentümer nicht einer sorgfältigen Identitätsüberprüfung unterzogen wurden, wie bei seriösen Handelsplätzen üblich. Die Geldwäsche funktioniert auch mit gestohlenen Hardware-Wallets, das sind USB-Sticks, die wertvolle Kryptowährungen enthalten und keine Verbindung zum Internet haben. Wenn damit Drogenlieferungen oder Ähnliches bezahlt werden, kann ähnlich wie bei anonymen Sparbüchern die Transaktion nachvollzogen werden, nicht aber, in wessen Besitz die Wallet ist. Deshalb will die europäische Bankenaufsicht auch gegen diese Art der Anonymität vorgehen.

Sie widmen sich in Ihrem Buch auch Zahlungsverkehrsdienstleistern ...
Das ist ein Thema, von dem wir normalerweise sehr wenig hören, da es ein weltweit ziemlich klaglos und im Hintergrund funktionierendes System gibt, das über das SWIFT-Netzwerk arbeitet. Der Markt wird von riesigen amerikanischen und chinesischen Firmen dominiert, und das war ja auch das Problem bei Wirecard: Die Firma wollte hoch hinaus und verlautbarte jedes Jahr Umsatz-und Gewinnsprünge. Bei den in diesem Geschäftssegment üblichen sehr niedrigen Gebühren gingen sich ohne Buchhaltungstricks die Rekordergebnisse nicht aus. Am Ende war die Firma bankrott und es fehlten sogar zwei Milliarden Euro am Konto.

»Für den Glauben an große Gewinne sorgt die Werbung«

Wo können Zahlungsverkehrsdienste besonders hohe Gewinne erzielen?
Das sind Segmente, die seriöse Unternehmen meiden, etwa Transaktionen mit Pornowebseiten, Onlinecasinos und Händlern problematischer Substanzen. Hier können Zahlungsverkehrsabwickler zehn bis 20 Prozent Gebühren kassieren, vor allem wenn sie auch die Art des Geschäfts gegenüber den Kreditkartenfirmen verschleiern. Auf der Kreditkartenabrechnung steht dann zum Beispiel "400 Euro für Tierfutter oder Blumen", obwohl stattdessen ein Escortservice mit jungen Mädchen oder Burschen in Anspruch genommen wurde. Es gibt Anbieter wie SkaDate, die sich auf die Einrichtung von Billigdatingplattformen ab 1.000 Dollar spezialisiert haben. Auf solche Seiten können Kriminelle gestohlene Fotos hochladen, und mittels einer automatischen Verbindung zu einem dubiosen Zahlungsabwickler ohne aufwendigen Identifikationsprozess für den Betreiber können sofort Kreditkartentransaktionen durchgeführt werden.

Und so ähnlich lief es neben normalen Geschäften auch bei Wirecard?
Während Wirecard mit über 25 Milliarden Euro an der Börse in Frankfurt bewertet wurde und Vorstandschef Markus Braun als "Vordenker aus der Wirtschaft" galt, wurde seine Firma am Schluss gleichzeitig von 20 internationalen Behörden - vom amerikanischen Justizministerium über den Secret Service bis zur deutschen Bankenaufsicht - verfolgt. Die Vorwürfe waren mannigfaltig und zeichneten ein Bild von einem global agierenden Unternehmen, das in viele düstere Geschäfte verstrickt war. Braun präsentierte sich nur einer ausgewählten Öffentlichkeit bei noblen Elitekonferenzen und hatte wenig Kontakt zu den Mitarbeitern, da er am liebsten auf einer Jacht durchs Mittelmeer kreuzte. Seine Verteidigungslinie, er hätte von den Malversationen nichts gewusst, die vor allem sein Vorstandskollege Jan Marsalek zu verantworten habe, erscheint mir mehr als fragwürdig. Unternommen wurde gegen Wirecard bis zum Platzen des Skandals aber auch nicht viel.

Warum?
Offenbar haben Brauns Popularität und systematisches Lobbying dazu beigetragen, dass die Blase nicht schon früher geplatzt ist. Es gelang Wirecard immer wieder, Anzeigen als Aktivitäten von dubiosen Kritikern und Neidern darzustellen, auch wenn der Inhalt schon wert gewesen wäre, sich diese genauer anzusehen.

© Manfred Weis Autor Granig über Verschleierungsmethoden dubioser Bezahldienstleister: "Hauptservice ist, dass auf der Kreditkartenrechnung etwas anderes steht, als wofür tatsächlich bezahlt wurde"

Sie beschreiben auch, wie Wirecard in Österreich groß geworden ist.
Ja, wie etwa eine kleine Firma von einem Kärntner Unternehmer gekauft und umbenannt wurde, die fortan als Wirecard-Österreich-und -Zentraleuropazentrale fungierte. Dieses Modell wurde häufig gewählt: Kauf einer unbedeutenden kleinen Firma, Umbenennung und Integration in einen globalen Kontext, den häufig niemand genau erklären konnte. Jedes Jahr wurde auf diese Weise ein Wachstum zwischen 13 und 87 Prozent erzielt.

Wirecard hatte ja in Österreich prominente Kunden ...
Ja, und die wurden letztlich sehr enttäuscht -darunter sind die Post, ÖBB und eine Großbank, die noch wenige Monate vor dem Zusammenbruch mit dem deutschen Konzern eine internationale Kooperation vereinbarte, um das "Gesamtkundenerlebnis" im Zahlungsverkehr zu verbessern. Österreichische Banken haben überdies Hunderte Millionen Euro Kredite an Wirecard und Braun vergeben.

Das Buch

Mit der digitalen Finanzwelt zwischen Heilsversprechen und Kriminalität beschäftigt sich das Buch "Böses Geld"* von Cornelius Granig. Verlag Kremayr &Scheriau, 256 Seiten, 24 Euro

Was sind die Lehren, die aus diesen ganzen Betrügereien gezogen werden können?
Vor allem, dass Fintechs und Kryptowährungsfirmen nach ganz normalen betriebswirtschaftlichen Kriterien, so wie andere Unternehmen auch, gemessen werden müssen. Bei vielen von ihnen besteht Handlungsbedarf -für bessere IT-Systeme, mehr Sicherheit und gutes Personal. Man muss als Anleger darauf achten, wie deren Bilanz aussieht und wer die Schlüsselpersonen sind. In meinen Augen müssten auch die Strafen für die Computerkriminalität erhöht und generalpräventive Verfahren durchgeführt werden. In den USA ist man in dieser Hinsicht schon viel weiter -nicht umsonst fürchten sich alle Fintech-Betrüger vor den US-Behörden. Die Behörden bei uns benötigen zusätzliche Mitarbeiter mit entsprechenden digitalen Kompetenzen -die Digitalisierung der Kriminalität schreitet ja mit großen Schritten voran. Und last but not least bedarf es supranationaler Regulierungen, weil die Betrüger immer international ausweichen können.

Dieses Interview erschien ursprünglich im News 44/2021.

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