Die Anatomie eines Polizei-Skandals

Ermittlungen über Promi-Grüne Petrovic

Die Anatomie eines Polizei-Skandals © Bild: NEWS/Herrgott

Am 4. April 2007, um exakt 8 Uhr 40, greift Peter Graf, Hälfteeigentümer des Textilriesen „Kleider Bauer“, zum Telefon und ruft die Polizei an. Graf ist wütend. Und das völlig zu Recht. Bei seinem Mercedes E 280 wurden in der Nacht sämtliche Reifen aufgestochen, das Auto mit roter Farbe überschüttet. Dem BMW Cabrio seines Bruders Werner Graf, dem die andere Hälfte des Kleider Bauer gehört, widerfuhr zur selben Zeit Ähnliches: Zwei Reifen waren aufgestochen, die Karosserie mit einer ätzenden Flüssigkeit beschmiert.

Im Klartext: Es geht um Sachbeschädigung. Schon kurz darauf schaltet sich das Landesamt für Terrorismusbekämpfung Wien ein. Die Beamten mutmaßen in einem sofort erstellten „Lagebild“, dass die Sachbeschädigungen an den Autos in einem „Bezug“ zu einer Demonstration des „Vereins gegen Tierfabriken“ stünden, die vor Geschäftsstellen der Firma Kleider Bauer täglich eine angemeldete Kundgebung zum Thema „Aufklärung über das Leid der Pelztiere“ geben. Sofort wird veranlasst, dass das Landespolizeikommando Wien Beamte abstellt. Die Terrorfahnder schlagen allen Ernstes vor, man solle eine „Medienaktion“ starten und die beschädigten Fahrzeuge „zur Schau stellen“.

Generalmobilmachung im Innenministerium. Derselbe Tag. Um 12 Uhr 29 schickt Erik Buxbaum, der ranghöchste Beamte des Innenministeriums, eine brisante E-Mail ab. Sie geht an so gut wie jeden Spitzenbeamten von Polizei und Verfassungsschutz. Zitat: „Morgen um 10 Uhr findet im Sitzungszimmer der Generaldirektion eine Gesprächsrunde mit dem Eigentümer der Firma Kleider Bauer, Herrn Peter Graf, statt.“ Alle Topleute des Ressorts haben sich einzufinden. Ausgehend vom Bericht der Wiener Terrorfahnder, sollte dort über einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff nachgedacht werden. Nämlich, „ob es aus versammlungsrechtlicher Sicht zumindest vertretbar ist, ab sofort jedwede Versammlung in einem bestimmten Umkreis von Kleider-Bauer-Filialen zu untersagen bzw. aufzulösen“.

Er, Buxbaum , wolle zwar dem Ergebnis nicht vorgreifen, meine aber, dass diese Versammlungen nicht vertretbar erscheinen. Buxbaums Schreiben geht in Durchschrift an Helmut Tomac, den Mann fürs Grobe im Kabinett des damals noch amtierenden Innenministers Günther Platter. Man darf also getrost davon ausgehen, dass die plötzliche Generalmobilmachung im Innenministerium wegen zweier Kfz-Sachbeschädigungen direkt von Günther Platter veranlasst wurde.

Die Polizei zieht alle Register. Nächster Tag, 10 Uhr. Beim Generaldirektor treffen die Spitzen des Ministeriums ein. Verfassungsschutz, Terrorfahnder, Bundeskriminalamt, Wiener Polizei, alle sind da. Und die zu Recht erbosten Brüder Graf sind auch da und stellen ihre Sicht der Dinge dar. Das Ergebnis laut Protokoll: „Ausschöpfen sämtlicher administrativer Mittel, Übernahme der Koordination der Ermittlungstätigkeit national und international, Einrichtung einer Sonderkommission“. Danach schreibt Erich Zwettler, Spitzenbeamter im Haus, eine weitere E-Mail. Darin hält er fest, was alle wissen: Es gibt keinen Beweis für eine Täterschaft der Demonstranten, „keinerlei Tatverdacht“, gar nichts. Daher müsse jetzt „strukturiert“ und „zielgerichtet“ gearbeitet werden.

Die Sonderkommission wird personell massiv ausgestattet: sechs Beamte von der Kriminaldirektion 1, sieben Beamte von der KD3, drei Beamte vom Wiener Verfassungsschutz, elf Beamte vom Bundeskriminalamt, fünf Beamte vom Bundesamt für Terrorbekämpfung plus die Observationsgruppe des BKA. Man bedenke: Es geht noch immer um die Sachbeschädigung von zwei Pkws, und es gibt noch immer keinen Beweis, der in die Ecke der wenig sympathischen militanten Tierschützer führt.

Wie man die „passende“ Staatsanwaltschaft bekommt. Ein Problem wird schnell klar: Für die angedachten Ermittlungen ist die Zustimmung der Justiz nötig. Und angesichts der Beweislage würde man bei der Staatsanwaltschaft Wien günstigstenfalls mildes Lächeln ernten. Doch: Es gibt eine Staatsanwaltschaft, die in derartigen Angelegenheiten als wenig bürgerrechtsbewegt gilt. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Doch: Wie kommt man mit einem Wiener Tatort zu einer Zuständigkeit der Wiener Neustädter Staatsanwaltschaft? Das geht so: Die Ermittler erstatten Anzeige wegen des Verdachts der Sachbeschädigung gegen Mathias Podgorski, den Sohn des früheren ORF-Generals, der im Zuständigkeitsgebiet der Wiener Neustädter Justiz wohnt. Die Justiz nimmt den Ball auf. Ab sofort gibt es ein Verfahren gegen Podgorski „und andere“. Und zwar in Wiener Neustadt. Viel später wird sich herausstellen, dass die Vorwürfe gegen Podgorski derart hanebüchen waren, dass die Anzeige zurückgelegt wurde. Aber: Man hatte die Zuständigkeit jener Staatsanwaltschaft, die sich das Innenministerium offenbar wünschte. Die Sonderkommission hat jetzt freie Bahn: Es kommt zu den ersten Rufdatenabfragen, der Auswertung von Standortdaten, der inhaltlichen Überwachung von Telefongesprächen. Per „Sicherheitsmonitoring“ werden die Bewegungsprofile der Mobiltelefone von Verdächtigen mit Daten über einschlägige Sachbeschädigungen österreichweit abgeglichen. Der Staat zieht jetzt alle Register. Selbst „verdeckte Ermittler“ kommen zum Einsatz. 17 Personen werden observiert, drei sogar videoüberwacht. Die Ergebnisse scheinen angesichts des Aufwandes bescheiden: befreite Schweine dort, umgesägte Hochsitze da, Pkw-Beschädigungen, besprühte Auslagenscheiben. Alles sehr verwerflich – aber gemessen am Mitteleinsatz doch etwas dürftig.

Lesen Sie die ganze Story im aktuellen NEWS-Magazin