Besser fett und fit
als schlank und schlapp

Warum es beim Sporteln nicht immer ums Abnehmen gehen muss

Nicht immer muss es beim Sporteln ums Abnehmen gehen: Wichtiger ist die Fitness. Experten raten daher auch adipösen Menschen, Bewegung in ihr Leben zu bringen. Denn wer dick und sportlich ist, kann gesünder sein als jemand, der dünn, aber unsportlich ist.

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Fettness - Besser fett und fit
als schlank und schlapp

Dass die Waage eine für andere unvorstellbar hohe Kilozahl anzeigt: Daran hat man sich über die Jahre gewöhnt. Dass die Kleider, Jeans und Shirts in Größe 50 aufwärts nicht so viel hermachen wie ihre kleinen Schwestern und Brüder in 36: Ist halt so. Die Fitnesstipps in TV-Formaten und Hochglanzzeitschriften, die im Frühjahr die fünf Kilo Gewichtsabnahme bis zur Bikinifigur versprechen? Nun, erstens: Die Bikinifigur ist eher 50 Kilo entfernt. Und zweitens: Beim Gros der hier vorgestellten Übungen würde der Körper schlicht sagen: "Mit mir nicht." Weil das Hüpfen einen sofort außer Atem geraten lässt. Weil man sich eben nicht so verbiegen kann, wie die Fitnessmodels in den Magazinen. Und dennoch, irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man/frau erkennt: Nein, mit dem Abnehmen wird das wohl nichts mehr. Aber bewegen will ich mich können. Schmerzfrei. Und Spaß dabei haben.

Ich war schon mehrmals an diesem Punkt. Nur: Das Gewicht, das man da als Rucksack mit sich trägt, ist auch im übertragenen Sinn schweres Gepäck. Die Sache mit dem Sport richtig in Angriff zu nehmen, ist gar nicht so leicht. Da war zum Beispiel der Versuch mit der Zumba-Heim-DVD. Erste Einheit: Bänder im Knöchel beleidigt. Zumba abgehakt. Anmeldung im Fitnessstudio (wieder einmal): Voller Motivation geht man die erste Woche hin. Mit der Kondition ist es ja noch nicht weit her, also: für den Anfang Gehen am Laufband mit etwas Steigung. Nach dem dritten Mal schmerzen die Knie so, dass ich am liebsten nur mehr auf der Couch sitzen bleiben würde. Und wieder einmal ruht eine Mitgliedschaft und Monat für Monat wird der Beitrag abgebucht. Wenn ich meinen Kontostand kontrolliere, versuche ich so zu tun, als ob dieser Posten gar nicht da wäre.

»Besser fett und fit als schlank und schlapp.«

Wie aber diesen Teufelskreis durchbrechen? Und warum ist es eben, selbst wenn man stark übergewichtig ist - Experten verwenden dann einen Begriff, den man so gar nicht gerne hört, der aber beschreibt, was es ist: adipös, also fettsüchtig -, wichtig, sich zu bewegen? Auch dann, wenn man den Wunsch nach einer Traumfigur für sich längst abgehakt hat?

Der renommierte Wiener Sportmediziner Paul Haber bringt es auf den Punkt: "Besser fett und fit als schlank und schlapp." Für ihn ist auch gar nicht der Body-Mass-Index (BMI), der Größe und Gewicht zueinander in ein Verhältnis setzt, immer aussagekräftig - sondern der Fettanteil des Körpers. Gerade Frauen, die immer wieder mit Nulldiäten stark abnehmen, aber danach nicht mit Krafttraining für Muskelaufbau sorgen, könnten bereits adipös sein. Denn bei jeder Diät baue man Muskelmasse ab. Und nimmt man danach wieder zu, ist es schlicht Fett. Das gilt auch für Frauen, die von der Konfektionsgröße her schlank zu sein scheinen. Bei einem BMI von 30,40 oder noch darüber, also Menschen eben jenseits der Hundert-Kilo-Grenze, ist die Sache aber ohnehin klar. Hier ist der Fettanteil immer zu hoch.

Doch auch Menschen mit einem BMI von 40 können sportlich sein. Dann haben sie auch ein geringeres Gesundheitsrisiko als Menschen, die zwar optisch schlank, aber untrainiert sind. Haber verweist auf eine epidemiologische Studie des US-Wissenschaftlers Steven Blair. Dieser hat Ende der 1990er Jahre nachgewiesen, dass fitte Menschen sogar mit einem BMI über 30 ein geringeres Sterberisiko haben als Personen mit einem BMI unter 25, die sich wenig bewegen.

150 Minuten Ausdauer

Fit ist nach den Leitlinien des Fonds Gesundes Österreich, wer mindestens 150 Minuten pro Woche Ausdauertraining mit mittlerer Intensität macht. Mittlere Intensität, das bedeutet, sich während des Sports noch unterhalten, aber nicht mehr singen zu können. Wer es wissenschaftlicher angehen möchte, trainiert mit einem Puls, der rund 60 bis 80 Prozent des Maximalpulses beträgt, so Haber. Um diesen zu eruieren, ist ein Ergometertest beim Arzt nötig. Der Sportmediziner empfiehlt zusätzlich zweimal pro Woche ein Muskeltraining. So hält man sich bis ins hohe Alter fit - und beugt vielen Krankheiten vor.

"Ob Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz, Diabetes, COPD, einige Krebsarten wie Brustkrebs oder Dickdarmkrebs: Heute wissen wir, dass Bewegung präventiv wirkt. Und mit leichtem Training kann man leichte Demenz sogar wieder verbessern." Hier hakt auch Werner Quasnicka, Geschäftsführer von Fit Sport Austria, ein: Ein Bewegungsprogramm für Schüler in den USA, mit dem Übergewicht reduziert werden sollte, führte auch zu besseren Lernerfolgen. Lange habe es bei Demenzerkrankten geheißen: Sudokus lösen oder Fremdsprachen lernen helfe, den Gedächtnisabbau hintanzuhalten. Doch inzwischen wisse man: Was wirklich wirkt, ist Bewegung. "Bewegung hilft auch, neue Zellen im Gehirn zu bilden - durch Bewegung bildet sich ein Eiweiß, das die Zellbildung überhaupt erst möglich macht. Man könnte es auch so formulieren: Sport kann der Humus sein, auf dem sich neue Synapsen bilden." Bewegung macht also auch abseits der ewigen Bemühungen Übergewichtiger, abzunehmen, Sinn. Haber betont: Es ist nie zu spät, mit Bewegung zu beginnen. "Selbst wenn ich 70 bin und mit Muskeltraining beginne, werde ich an Muskeln zulegen." Das Wichtigste ist, dranzubleiben. Nur wer mehrmals pro Woche trainiert, hält seinen Körper wirklich in Bewegung und damit fit.

Doch wie steigt man am besten in den Sport ein? "Man findet für jeden eine Sportart, eine Bewegung, die guttut und auch Spaß macht", ist der Wiener Sportarzt Peter Schödl überzeugt. Im Medical Center Hoch-Form in Wien-Liesing betreut er auch stark übergewichtige Patienten und Patientinnen. "Zu uns kommen viele Sportler, auch Leistungssportler, aber eben auch Menschen, die fitter werden wollen. Etwa jeder Vierte, den wir betreuen, hat einen BMI von 30 oder mehr." Er rät Menschen, die den inneren Schweinehund überwinden wollen, zunächst einen Arzt zu konsultieren. "Ich weiß, dass das für viele stark Übergewichtige eine Hemmschwelle ist. Aber eine Belastungsdiagnostik ist für jeden sinnvoll, der sich länger nicht bewegt hat - egal ob schlank oder übergewichtig."

»Man findet für jeden eine Sportart, die guttut und auch Spaß macht.«

Wer dazu einen Sportarzt aufsucht, bekommt nicht nur einen Check-up, sondern auch eine Trainingsanamnese und einen Bewegungsplan. Man kann aber auch zu einer Vorsorgeuntersuchung beim Allgemeinmediziner und einem Belastungs-EKG beim Internisten oder Kardiologen gehen. Gibt es Probleme mit dem Bewegungsapparat, ist zudem ein Besuch bei einem Orthopäden sinnvoll. "Es geht einfach darum, festzustellen: Bin ich gesund genug für mein Vorhaben?", betont Schödl. "Viele Dinge spürt man anfangs nicht. Da tut noch nichts weh. Trotzdem sollte man sie behandeln." Er empfiehlt auch, ein Blutbild anfertigen zu lassen - auch daraus lässt sich auf die Leistungsfähigkeit schließen. Wie sieht der Vitamin-D-Spiegel aus? Wie der Eisenwert? "Viele Frauen haben einen Eisenmangel. Da werde ich mit normalem Training relativ rasch anstehen - das ist, wie mit angezogener Handbremse zu fahren."

Chronische Krankheiten sind kein Hinderungsgrund, Sport zu machen, betonen Schödl und Haber unisono. Egal ob Diabetes, Bluthochdruck oder Rheuma: Konsequente Bewegung wird die Symptome sogar verbessern, sagt Haber. "Wichtig ist, dass die Krankheit behandelt wird und im Griff ist. Wenn ein Diabetiker einen Zucker von 400 hat, dann muss man diesen senken. Der Blutdruck sollte bei maximal 180 liegen. Mit 250 zu 130 Blutdruck sollte man nicht trainieren. Aber es dauert circa drei Wochen, bis das behandelt ist, und dann kann man anfangen." Später kann man die blutdrucksenkenden Medikamente vielleicht auch gemeinsam mit dem Arzt nach und nach reduzieren oder irgendwann sogar absetzen.

»Viele Frauen haben einen Eisenmangel - das ist, wie mit angezogener Handbremse zu fahren.«

Und dann kann es eigentlich schon losgehen mit der Bewegung. Der häufigste Fehler: "Viele starten mit zu hoher Intensität", sagt Schödl. Wer viel zu viele Kilos mit sich herumschleppt, für den wird dreimal in der Woche joggen eher nicht geeignet sein. Wenn man den richtigen Pulsbereich ermittelt hat, "dann glauben viele Leute nicht, dass das stimmt - weil das dann ja Gehen ist. Als Arzt sage ich dann: 'Ja, vielleicht müssen Sie jetzt einmal nur gehen, denn das ist schon genügend Intensität. Es wird dann ja besser.' Aber über diese Phase muss man drüber. Genau deshalb ist eben eine ärztliche Begleitung nicht schlecht."

Grundsätzlich gilt: Sportarten, bei denen der Körper nicht das ganze Gewicht tragen muss, sind bei massivem Übergewicht besser als etwa Laufen, das die Gelenke stark belastet. Geeignet für den Einstieg sind also: Radfahren, Ergometertraining, Schwimmen, Aquagymnastik - ergänzt um ein Muskeltraining. "Ein Zimmerfahrrad sollte eigentlich jeder zu Hause stehen haben", empfiehlt Haber. "Wenn man vor dem Fernseher immer wieder eine halbe Stunde radelt, hat man schon einen großen Teil des Ausdauertrainings erledigt."

Gemeinsam stark sein

Vielen Menschen tut aber auch das Training in der Gruppe gut. Fit Sport Austria ist eine Plattform der drei Sportverbände Askö, ASVÖ und Sportunion. Unter www.fitsportaustria.at kann nach Postleitzahl, aber auch nach Sportart abgefragt und so das nächstgelegene Sportangebot gefunden werden. Zu jedem Trainingsangebot gibt es einen Ansprechpartner, bei dem man sich erkundigen kann, ob die Sportgruppe, die man für sich ins Visier genommen hat, auch für Untrainierte beziehungsweise Übergewichtige geeignet ist. Die Trainer und Trainerinnen sind darauf geschult, auf die Bedürfnisse von Menschen, die lange nicht aktiv waren, einzugehen.

"Es gibt inzwischen in jedem Sportverein die Einstellung, dass man nicht gehänselt wird - man ist willkommen", sagt die Trainerin Piri Kelemen. In Wien und der Steiermark bieten Sportvereine inzwischen auch Gruppen für stark Übergewichtige an, erzählt Christian Lackinger von der Sportunion. Hier wird zweimal in der Woche jeweils 90 Minuten lang trainiert. Zunächst steht Herz-Kreislauf-Training auf dem Programm - zum Beispiel mit Spielen oder einem Parcours, der zu bewältigen ist, oder aber auch gemeinsames Ergometerfahren. Dann werden die Muskeln gestärkt - an Kraftgeräten oder aber auch mit dem Theraband. Hier wird in der Kleingruppe trainiert, und das mit Gleichgesinnten. "Das ist sehr motivierend", sagt Lackinger, denn hier komme das soziale Element zum Tragen. Selbst wenn man keine Lust hat, zum Training zu gehen: "Wenn ich weiß, die Rosi ist immer da, dann gehe ich auch eher hin."

Das Kleingruppentraining ist für die Vereine allerdings wesentlich kostspieliger als andere Sportangebote. Dennoch versucht man die Kosten im Jahr bei rund 350 Euro zu halten - durch Querfinanzierung innerhalb des breiten Kursprogramms. Die Nachfrage ist weit höher als die Zahl dieser spezialisierten Klassen. In Regionen, wo es solche Gruppen nicht gibt, rät Lackinger, im herkömmlichen Kursangebot nach etwas Passendem zu suchen.

Fitnesscenter sind für viele stark Übergewichtige oft immer noch Orte, an die man nicht gerne geht. Eine Möglichkeit ist, sich eines zu suchen, "an dem 'young and beautiful' keine Kriterien sind", sagt Haber. Aber auch das Flatrate-Fitnesscenter, das man vor allem in Ballungszentren heute überall findet, ist eine Option, wenn man es richtig nutzt: also etwa Crosstrainer, Ergometer, Gehen am Laufband in Kombination mit der Stärkung aller Muskelgruppen auf Kraftgeräten.

»Man muss sich davon trennen, dass nur schlanke Menschen schön sind.«

In einigen Gemeinden gibt es inzwischen aber auch eine Alternative zum Fitnesscenter: Fitnessgeräte, die man kostenfrei in einem Park benutzen kann. Einer der Hauptanbieter ist Freegym, an dessen Geräten man Ausdauer, Koordination und Kraft trainieren kann - im Alltagsgewand. Auch das senkt die Hemmschwelle, sagt Geschäftsführer Erwin Fried. Die Handhabung der Geräte ist intuitiv und selbsterklärend, man braucht keine Einschulung.

Ein Besuch einer solchen Anlage in Wien-Donaustadt zeigt: Hier trainieren am späteren Nachmittag sportliche Jugendliche neben jüngeren und älteren Frauen mit Migrationshintergrund. Das Kopftuch muss man hier nicht abnehmen und auch der lange Rock hindert nicht daran, den Walker, ein Ausdauergerät, zu nutzen oder Situps zu machen. Auch das Körpergewicht ist hier kein Thema. Um Missbrauch der Geräte zu vermeiden, wird zwar eine Kiloobergrenze angegeben. Laut TÜV-Zulassung sind die Stationen aber auch für Personen weit jenseits der 100 Kilo bedenkenlos zu nutzen, versichert Fried.

"Was wir immer wieder an Feedback bekommen: Jeder kann hier schnell ein Erfolgserlebnis verspüren", erzählt der Freegym-Geschäftsführer. Und: "Es sind ja genau die Nichtsportler, die Bewegungsmuffel, die wir auf unsere Geräte bringen wollen. Die richtigen Sportler, die muss ich nicht finden. Aber die, die um Fitnesscenter einen großen Bogen machen, die finden hier ein niederschwelliges Angebot. Vielleicht ist das dann der Einstieg in ein bewegteres Leben."

Piri Kelemen ist hauptberuflich im Musikmanagement tätig und im Nebenberuf Trainerin. Privat fährt sie Kajak, rudert und klettert. Seit einigen Jahren vermittelt sie vor allem Senioren Nordic Walking und Tanz. Im Zentrum im Werd in Wien-Leopoldstadt bietet sie unter dem Label "Dick und fit" einen Kurs für Übergewichtige an. Bewusst integriert sie hier Dinge wie Emotional Moves oder Tanz und Yoga. Denn gerade bei stark übergewichtigen Menschen gehe es zunächst auch darum, den eigenen Körper wieder besser zu spüren.

Rund und beweglich

Sie empfiehlt daher, vor dem Ausdauer- und Krafttraining mit Pilates, Authentic Movement (einer Art Bewegungsselbsterfahrung), Qigong oder Yin Yoga (einer sanften Yoga-Variante) zu beginnen. "So kann ich mich langsam an das herantasten, was mein Körper schaffen kann. Dann bekomme ich auch ein positives Körpergefühl - und kann viel motivierter ins Ausdauertraining einsteigen." Außerdem sagt Kelemen: "Ich bin immer wieder erstaunt, wie beweglich molligere Personen sind. Es ist in allen Körpern Schönheit - man muss sich davon trennen, dass nur schlanke Menschen schön sind. Es geht darum, sich anzunehmen. Und dann darauf zu schauen, dass man fit bleibt."

Wem Radfahren oder Schwimmen auf Dauer zu langweilig sind, dem empfiehlt sie Tanz. "Aber eher nichts mit Stampfen und Hüpfen wie Zumba oder Aerobic, da geht man dann wirklich mit Schmerzen nach Hause. Sondern etwas mit geschmeidigen, fließenden Bewegungen - gut geeignet sind zum Beispiel Folkloretänze, am besten aus dem eigenen Kulturkreis."

Tröstend und motivierend ist nämlich diese Beobachtung Kelemens: "Das Rundeste, was ich kenne, ist die Erde. Und sie bewegt sich." Wenn das nicht sogar den Rundesten unter uns den entscheidenden Drall gibt.

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