"Der Zeitfaktor ist wirklich entscheidend":
Bei kompletter Ischämie nur 6 Stunden Zeit

Gefäßverletzung entsteht durch Bruch der Knochen Ohne Amputation kommt es zu Blutvergiftung & Tod

Bei schweren Beinfrakturen, bei denen Gefäße verletzt werden wie bei Skirennläufer Matthias Lanzinger, ist der Zeitfaktor entscheidend. Ist die Blut- und somit die Sauerstoffzufuhr zum Unterschenkel und die Zehen komplett unterbrochen, hat man nur sechs Stunden Zeit, um das Bein zu retten, erklärte der Gefäßchirurg Peter Polterauer im APA-Gespräch.

"Der Zeitfaktor ist wirklich entscheidend":
Bei kompletter Ischämie nur 6 Stunden Zeit

Auch der Wiener Unfallchirurg Rudolf Schabus setzte sechs Stunden als kritischen Zeitrahmen bei derartigen Verletzungen an. "Bei jeder Unterschenkel-Fraktur werden Gefäße und Weichteile mitverletzt", sagte Schabus, der immer wieder von österreichischen Spitzensportlern konsultiert wird und u.a. das österreichische Tennis-Daviscupteam betreut hat.

Gewebe stirbt innerhalb von sechs Stunden ab
Die Gefäßverletzung bei Lanzinger dürfte durch den Bruch der Knochen entstanden sein, meinte Polterauer. "Wenn im Kniegelenksbereich oder im Unterschenkelbereich die Knochen brechen, können sich Splitter direkt in die Schlagadern, in die Venen hinein bohren und sie dadurch aufspießen, zertrennen oder zerreißen", erklärte der Gefäßchirurg. Gelangt dann kein Sauerstoff reiches Blut mehr in den Fuß und in die Zehen und gibt es auch keine Umgehungskreisläufe, dann stirbt das Gewebe unterhalb der Verletzung - also hier im Unterschenkel - innerhalb von sechs Stunden ab, sagte Polterauer.

Zeitfaktor wirklich entscheidend
Dabei spricht man von einer kompletten Ischämie, die aber eher selten bei Skiunfällen der Fall sind, sagte Polterauer. Eine solche komplette Nichtversorgung des Beines mit Sauerstoff komme etwa bei Schussverletzungen vor. Dann müsse schnell operiert werden. "Der Zeitfaktor ist wirklich entscheidend", meinte Polterauer.

Bleibt jedoch eine kleine Schlagader oder ein Gefäß übrig, dann ist die Versorgung gegeben. Vom Knie gehen drei ganz feine Schlagadern weg in den Unterschenkel und die Zehen. "Das sind drei Äste. Wenn nur zwei abgerissen sind und der dritte funktioniert, dann könnte man sich vorstellen, dass man sogar nahezu unbegrenzt Zeit hat und das Bein auch zwei Tage später retten kann."

Möglichkeit eines Bypasses
Sind die Schlagadern im Bein komplett zerfetzt, besteht auch die Möglichkeit, durch einen Bypass - wie es auch bei Lanzinger erfolgt ist - einen Ersatz zu finden, erläuterte Polterauer. "Da ist die beste Chance durch körpereigenes Material."

Als Schlagaderersatz nimmt man beispielsweise Venen, die im Körper eine weniger wichtige Rolle spielen. "Das kann man sich wie eine Autobahn vorstellen, die repariert wird, und als Überbrückung fährt man über eine Landstraße." Solche Bypasses können von einem gesunden Bein oder einem Arm genommen werden. Körpereigenes Material ist besser als Kunststoff wie Goretex oder Teflon. "Da sind die Ergebnisse schlechter", sagte der Gefäßchirurg.

Nichtamputation führt zum Tod
"Ändert sich die Farbe der Zehen nicht, sind die Nerven geschädigt, kann der Patient die Zehen nicht bewegen, hat er kein Gefühl, wird wahrscheinlich innerhalb von 24 Stunden eine Amputation notwendig werden", sagte der Chirurg. Denn durch das abgestorbene Gewebe kommt es zur Blutvergiftung und die führt bei Nichtbehandlung schließlich zum Tod.

Heutzutage bemüht man sich, die Amputation unter dem Knie zu halten, um Prothesen ansetzen zu können. "Die heutige Technologie ermöglicht es dem Patienten, in drei, vier Monaten ein nahezu normales Gangbild zu entwickeln", so Polterauer. Auch gewisse Sportarten seien möglich.

Vorsicht bei Schuldzuweisungen
Ob es sich bei Matthias Lanzinger um eine komplette Ischämie gehandelt habe oder nicht, "wird niemand mehr sagen können", betonte der Mediziner. Wird das Bein amputiert, dann könne man annehmen, dass irgendwann im Zeitbereich eine komplette Ischämie vorgelegen habe. Diese könne auch später durch eine sekundäre Thrombose oder ein Blutgerinnsel entstanden sein. "Da muss man vorsichtig mit Schuldzuweisungen sein", meinte Polterauer.

Es besteht laut dem Gefäßchirurgen auch die Möglichkeit, dass wegen der Schwere der Verletzung eine Rekonstruktion nicht mehr möglich war. "Wenn es dort eine Totalzerreißung gab, dann ist es von der Chirurgie zuviel verlangt, da noch etwas zu retten."

Der im Fall Lanzinger herbeigezogene österreichische Gefäßspezialist Thomas Hölzenbein sei "wirklich eine Kapazität auf dem Gebiet", sagte Polterauer. Bis vor einem Jahr habe er mit Hölzenbein noch im Team zusammengearbeitet.

(apa/red)