Die Deix-Welt dreht sich weiter

Vor einem halben Jahr starb der Cartoonist Manfred Deix. Die Welt unternimmt alles, um seine Visionen einzulösen. Ein Abschiedsbuch hält Rückschau auf 40 Jahre

von Kultur - Die Deix-Welt dreht sich weiter © Bild: Deix

Was die Welt ohne Manfred Deix anfangen sollte, war schon bei seinem Tod am 25. Juni 2016 rätselhaft. Aber jetzt, nach der US-Wahl, mit dem blondierten Kampfgrapscher in ständiger Reichweite des Roten Knopfs? Mit dem bewaffneten Ingenieur als womöglichem Bundespräsidenten, der bei der Regierung die Ordnung mit der Pumpgun wiederherstellt? Kein Tag vergeht, an dem sich die Deix’schen Visionen nicht in Realität verwandeln. In diesen Tagen ist sein letztes Buch erschienen: Die "Cartoons vom Meister" – Untertitel: "Politisches und Unanständiges" – rufen vier Jahrzehnte eines vergleichslosen Schaffens auf.

Die Lebensfreunde Peter Pilz (Grüne), Herbert Lackner ("Profil"), Heinz Sichrovsky (News) und Josef Votzi ("Kurier", vormals News) führen durch die vier Jahrzehnte, deren oft leicht verderbliche Protagonisten von Deix einem Stück Unsterblichkeit anheimgegeben wurden. Lesen Sie Heinz Sichrovskys Nachruf und im Anschluss seine Erinnerungen an das herrliche und anstrengende Leben mit Manfred Deix im News der Neunzigerjahre.

Ein Brief an den verstorbenen Manfred Deix

Lieber Manfred,
Du wirst mir, nicht zum ersten Mal, die Offenheit verzeihen: Du wärest in diesen Zeiten gebraucht worden, dringender als in den vergangenen 40 Jahren unserer Freundschaft. Du hättest es in der Hand gehabt, wenn Du nur das Nötige befolgt, die Zigaretten weggelegt und das Leben eines gesundheitlich beeinträchtigten älteren Herrn geführt hättest. Und ich hätte, von allem anderen abgesehen, doch zu gern erfahren, wie es mit Deinem Spätwerk weitergegangen wäre, in dem sich alles Schwere in einer leichten, melancholischen Altersweisheit aufzulösen begann.

Aber schon merke ich, dass Dich die mehr oder weniger verhohlenen Vorwürfe in den Nachrufen nicht treffen können. Du warst nicht undiszipliniert, im Gegenteil; die Krone, die Du anstelle eines i-Punktes über Deine Signaturen gesetzt hast, ist der Schlüssel zu Deinem ganzen Leben: Du warst konsequent bis zum Äußersten, der Herr über Dein eigenes Königreich. Als Du endlich zugestimmt hast, Dich ins Allgemeine Krankenhaus aufnehmen zu lassen, war es schon zu spät. In einem hässlichen Gebäude könne ein Maler nur sterben, -hattest Du eingewendet, und daran war in Deinem Kosmos nichts Unlogisches. Als Du dann in qualifizierte Hände kamst, hatte Dir das Schicksal zur Lungenpest COPD eine zweite, noch schwerere Krankheit aufgebürdet. Einige wenige Deiner Freunde wussten es, aber Du selbst nicht: Deine unglaubliche Ehefrau Marietta hatte beschlossen, die Last auf der letzten Weg-strecke allein zu tragen; der letzte Beweis einer in 53 Jahren nie erkalteten Liebe.

Im Keller lachen
Unsere gemeinsame Geschichte beginnt, metaphorisch betrachtet, im Keller des Vorwärts-Verlagsgebäudes an der Rechten Wienzeile. Dorthin gingen wir, die jungen Redakteure des sozialdemokratischen Parteiorgans „Arbeiter-Zeitung“, mit Deinen Cartoons lachen. Denn bei den Alten, die das Sagen hatten, warst Du alles andere als wohlgelitten. Die Karikaturisten der österreichischen Zeitungen verharrten damals in Hofnarrenkumpanei mit der Macht. Selektiv böse waren nur diejenigen, die das Unglück hatten, bei einer Parteizeitung auf Pfiff und Zuruf den Kampfhund geben zu müssen. Seit dem Erscheinen Deiner ersten Bilder im noch jungen „Profil“ aber war nichts mehr wie vorher. Niemand war vor Dir sicher, vor Deiner Abneigung so wenig wie vor Deiner Liebe. Du duldetest keinen Grundkonsens, auch nicht den zwischen den Künstlern und der SPÖ, und Du hast dem Roten Wien unter den Bürgermeistern Slavik und Gratz altrömische Verfallstendenzen diagnostiziert. Nicht einmal der bei den Künstlern kanonisierte Kreisky war vor Dir sicher.

Vernarrt in Kurt Krenn
Dafür warst Du in Kurt Krenn vernarrt, den St. Pöltner Bischof und fundamentalistischen Gottseibeiuns. Für unser Tête-à-Tête mit dem klugen, bösen Mann hast Du die stundenlange Autofahrt in die weltentlegene Propstei Eisgarn – nachmals Schauplatz eines homoerotisch grundierten -Kirchenskandals erster Ordnung – auf Dich genommen. Krenn hat Dich mit der Mahnung zur Einkehr, der Hoffnung auf Gottes Gnade und einem Kreuz auf der Stirn entlassen, und Dein Lachen schien mir von eher bewegter als ironischer Beschaffenheit. Die korpulente Exzellenz hat dir später angeboten, dein sündiges Langzeitverhältnis mittels zeugenfreier Geheimtrauung im nächtlichen Dom vor dem Herrn zu legitimieren. Marietta wäre bereit gewesen, aber du hast das Angebot ausgeschlagen, vielleicht, weil du mit dem Aktionismus nie etwas im Sinn hattest.

Deshalb habe ich mich für einen anderen Versuch der Kontaktanbahnung auch bei beiden Beteiligten entschuldigt. Du hattest Dich nach langen Vorbehalten zu einem Besuch bei Hermann Nitsch in Prinzendorf überreden lassen, und nach weniger als einer Viertelstunde drohten sich Handgreiflichkeiten zu entwickeln. Wenn es um Tiere ging, kanntest Du keine Contenance. Also bist Du den Gastgeber wegen seiner Schlachtungsrituale anstelle einer Begrüßung grob angeflogen. Das Gespräch verlief eisig, zumal Du, ein Meister der malerischen Technik, einen engen – um nicht zu sagen: intoleranten – Kunst-begriff pflegtest. Beim anschließenden Heurigen kam ein labiler Friedensschluss zustande. Freunde wurdet ihr nie.

Dabei wart ihr beide Verhasste, denn ihr habt, jeder auf seine Art, die österrei-chische Harmoniesucht beleidigt. Krank vor Sehnsucht nach Weite und süchtig nach Amerika, hast Du im elterlichen Dorfgasthaus bei St. Pölten den österreichischen Menschen in seiner adipösen -Anmut studiert. Du hast ihn in die Kunstgeschichte erhoben, aber er hat Deine zärtliche Liebe nicht erkannt.

Die Politiker waren Dir schon zu Zeiten, als sie noch Gesichter hatten, nicht vorrangig wichtig, so kalt Du sie auch zwei Jahrzehnte lang für News ins Herz getroffen hast. Unter Deinem Blick verzerrte sich Jörg Haiders Bubengesicht zur Fratze und Kurt Waldheims biegsame Gestalt zur Kenntlichkeit. Deine Blätter waren genial, doch auf sie zu warten, war die Hölle. Oft hast Du den Andruck in Gefahr gebracht; die Vielfalt Deiner Ausflüchte war ohne Maß.

Lebensverschleiß
Das Bild, das mir von Dir bleibt, ist das eines bedrohten Königs. Auf dem Höhepunkt Deines Ruhms hatte Dir der Diogenes--Verlag eine Gründerzeitvilla in Klosterneuburg vorfinanziert. Als Gegenleistung hattest Du einen jährlichen Bildband mit neuen, in keiner Zeitschrift erschienenen Blättern zugesagt. Dass das nicht zu bewältigen sein könnte, schien Dir nicht der Erwägung wert. Deine Kräfte schienen unerschöpflich, aber damals bahnte sich das Verhängnis an.

Der Bezug einer geräumigen Villa mit solide umzäuntem Park war wegen der Dutzenden Katzen nötig geworden, die im kinderlosen Haushalt die Macht übernommen hatten und deren standesgemäßes Auskommen Du zuletzt kaum noch finanzieren konntest. Die Liebe zu diesen Tieren hat uns verbunden und getrennt. Denn bei aller veterinären Obsorge ging bei Dir der Tod in Seuchengestalt um. Du hast jeden Verlust beweint. Ich wiederum lebte nach jedem Besuch in der Angst, meinen alten Kater zu infizieren, und unterzog meine Schuhe und meine Oberbekleidung komplizierten Desinfektionsritualen.

Ein Geständnis ist noch fällig: Die Volontärin Claudia, die wir Dir in unserer Not geschickt haben, um Deinen wöchentlichen Cartoon einzutreiben, war gar keine Katzenallergikerin. Sie bezog nur in der Winterkälte vor Deinem Haus Stellung, um Dich mit moralischen Instrumentarien zur Finalisierung Deiner Arbeit zu nötigen.

Jetzt ist auch das heraußen. Schlaf gut. Ich vermisse Dich mehr, als sich mit diesen Zeilen sagen lässt.
Dein Heinz

Erinnerungen an die Ära Deix - Auszug aus dem Abschiedsbuch

Als Manfred Deix Anfang der Neunzigerjahre vom Nachrichtenmagazin profil zur Neugründung NEWS wechselte, herrschte in der österreichischen Politik stürmischer Stillstand. Die Große Koalition unter Franz Vranitzky (SPÖ) war noch mittelgroß. Die ÖVP verdämmerte sprach- und ratlos. Die Grünen hatten sich von einem Trüppchen kauziger Ökologen zu halbschicken Rollerbladern umgestylt. Greifbare Probleme hatte das Land nicht. Doch es lag etwas in der Luft, die so gesättigt war vom sich Anbahnenden, dass im Jänner 1993 250.000 Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gingen. Anlass des Lichtermeers war das von der FPÖ initiierte Volksbegehren "Österreich zuerst", das im Wesentlichen die "regulierenden" Regierungsmaßnahmen von heute einforderte (und wenig Zuspruch fand). 1997 wurde der Sozialdemokrat Viktor Klima Bundeskanzler. Damit war die gesichtslose Politik Realität geworden, eine Katastrophe für einen politischen Cartoonisten.

Aber Deix war ja kein politischer Cartoonist, sondern ein Diagnostiker, der Ideologien übergreifend die Wahrheiten hinter den Gesichtern freilegte. Und ein Gesicht gab es unter den Gesichtslosen: Jörg Haider hatte sich 1986 an die Spitze der FPÖ geputscht, und er wurde immer stärker. Es war ein Schock, was Deix hinter dem gewinnenden Bubengesicht fand: die Fratze eines Borderliners, einen zuinnerst unheimlichen Menschen. Deix ging freie Herzensallianzen ein. Die Grünen gehörten nie, die Sozialdemokraten seit Langem nicht mehr dazu. Aber 1994 erklärte sich Bundespräsident Thomas Klestil öffentlich als Ehebrecher. Deix war begeistert: ein konservativer, umständlicher Diplomat, der sich, vom Trieb übermannt, selbst in die Luft jagte! Auch Deix selbst pflog eine große Liebe: Der St.Pöltner Bischof Kurt Krenn, Gottseibeiuns der Reformchristenheit, wurde Gegenstand erotischer Darstellungen von adipöser Anmut. Maler und Modell trafen einander einmal, auf NEWS-Betreiben. Die Deix’ sche Eröffnung "Herr Bischof, Sie sind ein Gottesgeschenk" parierte der Kirchenfürst: "War das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?" Wenig später paktierten Wolfgang Schüssel und Jörg Haider die schwarz-blaue Regierung, und Krenn wurde nach einem homoerotisch grundierten Diözesanskandal abgesetzt. Es war ernst geworden im Land. (Heinz Sichrovsky)

© Deix

Titel: Cartoons vom Meister – Politisches und Unanständiges
ISBN: 978-3-8000-7652-9
Seitenanzahl: 160 Blätter
Preis: € 24,90

Kommentare