Wie inszeniert man
seinen Rücktritt richtig?

Die Nachfolgedebatte um Michael Häupl als Modellfall für Taktik und Machtpolitik

Die Debatte über einen Abgang Michael Häupls als Wiener Bürgermeister und SPÖ-Chef rollt in Wellen durch die Stadt. Steht, wie diese Woche, die Klubtagung der roten Rathausfraktion an, ist die Erregungswelle höher. Denn dann wollen alle wissen, ob Häupl bei dieser Gelegenheit irgendwelche Details irgendeines Zeitplans oder irgendeine Nachfolgevariante preisgeben wird. Sagt er Tage vor dem Ereignis so zwischen grantig und amüsiert, dass er natürlich beim Wiener Parteitag Ende April wieder antreten wird, und sagt dann der im Moment einzige ausgemachte "Konkurrent", Michael Ludwig, das Erwartete, nämlich dass er gegen den Chef eher keine Kampfabstimmung riskieren wird, dann atmen wieder einmal alle tief durch. Doch Häupls Gegner nehmen schon den nächsten Anlauf: Der Stadtchef solle wenigstens als Parteivorsitzender abtreten, aber noch ein bisschen Bürgermeister bleiben.

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POLITIK - Wie inszeniert man
seinen Rücktritt richtig?

Was ist das eigentlich, was sich rund um Michael Häupl abspielt? Ist ihm die Regelung seiner Nachfolge entglitten? Muss er sich von den Kollegen Landesfürsten in Nieder-und Oberösterreich, Erwin Pröll und Josef Pühringer, vorhüpfen lassen, wie man mit Eleganz abdankt, während in Wien sprichwörtliches Heumarkt-Catchen zwischen Innen-und Flächenbezirken, linken und rechten Parteiflügeln herrscht? Beherrscht Häupl die Kunst des richtigen Augenblicks - zu gehen?

(Un)glückliche Übergabe

"Große Politiker, die viel geleistet haben, wie in der Vergangenheit ein Helmut Kohl in Deutschland oder Bruno Kreisky, unterliegen wahrscheinlich irgendwann dem Trugschluss, dass ohne sie nichts mehr geht", sagt Krisenberater Daniel Kapp, der in seiner Zeit als politischer Pressesprecher von ÖVP-Ministern den einen oder anderen Rücktritt erlebt oder orchestriert hat. "In ihrer eigenen Wahrnehmung stimmt das ja auch. Schließlich hat man jahrelang die eigene Position gefestigt und neben sich niemand hochkommen lassen. Ich habe selten jemand dieses Formats gesehen, dem es gelungen ist, einen zukunftsgerichteten Übergang selbst zu moderieren", erklärt Kapp.

Christine Bauer-Jelinek, Autorin, Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin, hat Machtmenschen und ihre Spielregeln analysiert. "Macht macht süchtig. Man gewöhnt sich an sie, genießt sie, und viele bekommen Entzugserscheinungen, wenn sie nicht mehr da ist. Das Gehirn ist ja mit Adrenalin geflutet. Das muss man erst einmal abbauen wie ein Spitzensportler, wenn er sich zurückzieht." Dass es so schwierig ist, zu gehen, habe aber oft gar nicht mit einem Narzissmus dieser Mächtigen zu tun, sondern auch mit Verantwortungsgefühl und Bindung zu ihrem Lebenswerk, sagt Bauer-Jelinek. "Viele machen sich Sorgen, wie es mit ,ihrem Baby' weitergeht." Kapp ergänzt: "Die Vorstellung, aus einem System hinauszutreten, in dem man akklamiert wird, ist schwierig. Das ist ja auch ein Schritt, eine neue Form der Relevanz. Nämlich weg von der verliehenen Bedeutung, rein in den Pensionsschock."

Keiner ist so gut wie ich

Die eigene Nachfolge offensiv in seinen Zirkeln zu diskutieren, könnte von Parteifreunden als Schwäche wahrgenommen werden. "Stellt man seine Macht infrage, ist sie auch schon Geschichte. Dann sagt dein Umfeld: ,Wir arrangieren uns jetzt neu'", erklärt Kapp. Weil man das als Machtmensch weiß und vielleicht im Laufe seiner Karriere selbst so gemacht hat, scheut man sich, seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin aufzubauen. "Keiner war gut genug, oder es gab solche Konflikte unter den Kandidaten, dass man nicht entscheiden konnte, ohne das ganze System zu gefährden", analysiert Bauer-Jelinek die möglichen Gedankengänge bei einer missglückten Kronprinzen-oder -prinzessinnenwahl.

Wer sich seinen Nachfolger allerdings tatsächlich aussuchen und aufbauen will, müsse diesen sehr gut führen, damit er nicht vor dem geplanten Zeitpunkt gestürzt wird. "Man muss klare Bedingungen festsetzen, dem Neuen etwas bieten. Denn hoch qualifizierte Leute bleiben nicht jahrelang in der Warteschleife. Die sind irgendwann weg, und dann bleibt die dritte Garnitur", warnt die Machtanalytikerin.

Fühlen sich allerdings mehrere Personen im Umfeld eines Mächtigen zu seiner Nachfolge berufen und tragen diese Rivalität auch aus, gibt es mehrere Möglichkeiten für einen Silberrücken. Entweder man schafft es, die Streithansln ohne großes Aufsehen zu trennen und eine öffentliche Schlammschlacht zu vermeiden. Oder, erklärt Bauer-Jelinek, das Gemetzel ist sogar erwünscht: "Geübte Machtstrategen lassen ihre Wunschnachfolger gegeneinander antreten, um zu sehen, wie sie sich bewähren. Das ist ein gutes Training, und es zeigt sich rasch, ob der Kandidat oder die Kandidatin Verbündete findet, Mehrheiten bilden und Konflikte managen kann."

Erwünschte Nebenwirkung solcher öffentlichen Diadochenkämpfe: Das Publikum hat etwas zum Schauen, die Funktionäre haben etwas zum Diskutieren, die Medien etwas zum Berichten, während man dahinter halbwegs in Ruhe sein Süppchen kocht. Oder, wie es Bauer-Jelinek eleganter umschreibt: "Was die Öffentlichkeit erfährt, ist meist ein Ablenkungsmanöver von der Strategie dahinter."

Wiener Kalamitäten

Trifft diese Analyse auf Wien zu? Jedenfalls hat es Michael Häupl bisher vermieden, viel zu Kandidatinnen und Kandidaten zu sagen. Selbst als kolportierte Nachfolgerinnen wie Renate Brauner und Sonja Wehsely politisch oder medial angegriffen wurden, hielt sich der Bürgermeister zurück. Dass er einer dieser Personen öffentlich und wortgewaltig die Mauer gemacht hätte, war nicht zu bemerken. Andererseits ist ihm auch zu jenem Mann, der nun von innerparteilich Unzufriedenen immer mehr in Stellung gebracht wird, nämlich Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, wenig zu entlocken. Weder eine verbale Breitseite noch ein Lob. Doch was Häupl sagte, als er Ludwig 2009 zum Vizebürgermeister machte, ist aus heutiger Sicht interessant: "Es ist Zeit, auf diese breiten Schultern mehr Verantwortung zu laden. Und diese Schultern sind sehr breit."

Was immer nun Häupls Taktik ist, die Begleitmusik zu einem Wechsel an der Wiener SPÖ-Spitze, der so oder so irgendwann kommen wird, wird immer schriller. Da melden sich Parteifunktionäre zu Wort, die jahrelang ein unbemerktes Dasein fristeten, da begehren Bezirksorganisationen auf, die nervös sind, weil genau bei ihnen die FPÖ immer stärker wird und sie kein Rezept dagegen wissen. "Die SPÖ ist in Wien nicht mehr auf Zug", sagt Kapp. "Die großen Bezirke brechen weg, und der Parteiapparat hat keine Antwort darauf gefunden." In großen Organisationen, nicht nur der Wiener SPÖ, sei dann oft zu beobachten, dass einzelnen Funktionären ihr Selbsterhalt wichtiger wird als der Organisationszweck. "Da kann der Misserfolg des anderen ein Vorteil sein, und man zieht nicht mehr am selben Strang."

Wie also sieht die ideale Übergabe aus? Schnell und überraschend, sagen die Experten. Wie SPD-Chef Sigmar Gabriel die Kanzlerkandidatur an Martin Schulz weiterreichte und eine völlig überrumpelte Partei diese Entscheidung abnickte, kann für Michael Häupl als Inspiration dienen.

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