Stradivari gegen LED

David Garretts Tourstart mit Geigensound, dröhnenden Bässen und blitzeweißen Zähnen

Der Begriff Tourstart trifft bei David Garrett eigentlich schon lange nicht mehr zu. Er impliziert nämlich, dass die Tour irgendwann aufgehört hätte. Aber der US-deutsche Schnellgeiger mit dem Dauerlächeln, den Doc Martens und der blonden Mähne ist seit Jahren unterwegs, mal mit Klassik, mal mit jener Rockmischung aus Geigensound, dröhnenden Bässen und blitzend weißen Zähnen, die ihn zum Kreischobjekt seiner Fangemeinde gemacht hat.

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    Violinist David Garrett während eines Konzertes am 10. April 2012 in der Stadthalle in Wien.

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    Violinist David Garrett während eines Konzertes am 10. April 2012 in der Stadthalle in Wien.

Gestern, Dienstag, Abend startete er in der ausverkauften Wiener Stadthalle jedenfalls die Tour zu "Rock Anthems", die ihn in den kommenden Wochen durch Deutschland und die Schweiz führen wird. Im neuen Programm tritt seine Stradivari nicht nur gegen Band und Orchester, sondern auch gegen eine gewaltige visuelle Show an.

Nachdenklicher Stand-Up-Comedian
Auf Riesen-LED gibt es noch mehr David Garrett: Kinderfotos, Urlaubsfotos, David Garrett als James Bond, David Garrett in Nahaufnahme. Zwischen jedem Lied betätigt er sich mit Anekdoten aus seinem Leben als Stand-Up-Comedian. Da geht es um Falschparken und um Dirigieren mit offenem Füllfederhalter, um den verpassten Geburtstag beim Flug von New York nach Sydney und um die chronische Unordnung im Hotelzimmer. Manchmal wird es nachdenklich, wenn der Superstar von einem Alltag auf Flughäfen erzählt, mit Freunden, "die alle für dich arbeiten", und dann sein ganzes Team mit Fotos und persönlichen Dankesworten auf der Leinwand vorstellt.

Bass siegt über härteste Gitarre
Meistens aber ist es laut: Wenn David Garrett den Bogen wetzt, wird das Orchester zum Statisten. Da knallt die E-Saite über dem Rock-Arrangement eines Beethoven-Scherzos, den Soundtracks zu "Fluch der Karibik", "Pulp Fiction" oder "James Bond", über schon bekannten Garrett-Covernummern wie Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" (diesmal fliegt der Mann mit der Geige dabei sogar übers Publikum) oder "Live and Let Die". Neue Bearbeitungen legt er zu Billy Joel, Coldplay und Guns N Roses hin, als Virtuosenstück packt er den "Serbentanz" aus, als Schmachtnummern kommen "Let it Be" und "Yesterday" zum Zug. Da siegt das wummernde Vibrato selbst über das härteste Gitarrenriff.

Wohlfühl-"Crossover"
Mit Tänzerinnen, die eher unschlüssig zwischen den vielen Musikern herumhopsten, einer vernünftigen Dosis Pyrotechnik und jeder Menge Visuals verschreibt sich Garrett, der sich mit seiner jüngsten CD "Legacy" wieder auf das klassische Metier berufen hatte, immer weiter der Arena-Ästhetik. "Crossover", wie er den Mix mit den im Showgetöse kaum erkennbaren klassischen Einsprengseln gerne nennt, ist da kaum etwas - außer das Hochgefühl des bunt durch Generationen und Geschlechter gemischten Publikums, das sich pudelwohl damit fühlt, zur "Crossover"-Familie zu gehören.

Marke Garrett sitzt perfekt
Das macht nichts. David Garrett muss sich nach zehn Jahren Rockgeige nicht mehr mit Andre Rieu oder Rondo Veneziano vergleichen lassen. Die Marke Garrett sitzt ebenso perfekt wie jeder noch so exponierte Ton. Auch in seinen Klassikkonzerten - nächstes Jahr "startet" er mit Brahms' Violinkonzert auf "Tour" - muss der ehemalige Perlman-Schüler nicht mehr beweisen, dass er "trotzdem" ein ziemlich guter Geiger ist. Das bestreitet längst keiner mehr. Und selbst den aufregenden "Tourstart" gönnt man dem sympathischen Vielarbeiter. Der nächste kommt sicher bald.