Das letzte Leuchten
zur Unsterblichkeit

Zwei Jahre lang arbeitete der sterbende David Bowie an einem verstörenden Stück Musiktheater: Lazarus wird im Volkstheater zur österreichischen Erstaufführung befördert. Das Haus sucht damit auch den Ausweg aus Problemen

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Lazarus im Volkstheater - Das letzte Leuchten
zur Unsterblichkeit

Eine alte, massivhölzerne Schranktür öffnet sich. Dahinter liegt einer, aufgebahrt in der Matratzengruft, den Kopf in Augenhöhe bandagiert. In die Augäpfel scheint ein Stollen getrieben zu sein, denn aus dem fleischfarbenen Textil starren zwei pupillengroße, unheimlich beredsame Sehbehelfe. Der strichdünne Mund des alterslosen Kindgreises mit der grauen Punk-Bürste öffnet sich: Der Sterbende hat etwas zu sagen. Aber der Text ist verrätselt, vieldeutig, kaum übersetzbar. "Sieh herauf, ich bin im Himmel. Meine Narben kann keiner sehen, mein Drama kann keiner stehlen, jeder kennt mich jetzt." David Bowies "Lazarus", geschrieben für das gleichnamige Musiktheaterprojekt, ist ein Abschiedslied, und es endet in Euphorie: "Ich bin so high, dass mein Hirn sich dreht ich werde frei sein wie das Blaukehlchen. Ist das nicht typisch für mich?"

Bowies Vermächtnis

Zur Premiere am 7. Dezember 2015 verbeugte sich Bowie noch vor dem ebenso verstörten wie euphorisierten Publikum des New York Theatre Workshops in Manhattan. Es war sein letztes Erscheinen in der Öffentlichkeit. Er starb am 10. Jänner an Leberkrebs.

"Lazarus" ist das Gegenteil der infektiös grassierenden "Mamma Mia"- und "I am from Austria"-Epidemie. Nur behelfshalber, weil es sich keiner Gattung einverleiben lässt, wird es als Musical tituliert, sagt der frühere Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann, der vor drei Monaten am Düsseldorfer Schauspielhaus die deutschsprachige Erstaufführung in Szene setzte. Nun verantwortet das Volkstheater die Österreich-Premiere am 9. Mai und zieht sich dabei elegant aus dem Auslastungsdilemma - die sechzehn Vorstellungen bis zum Sommer sind schon gut vorverkauft.

Der gefragte serbische Regisseur Miloš Lolić, Jahrgang 1979, gibt dem Abend die Gestalt: 17 von Bowie ausgewählte Lieder - vier von ihnen für das Projekt geschrieben -, allesamt eher anspruchsvoll und abseits der Bowie'schen Hit-Maschine, werden durch Texte des irischen Stardramatikers Enda Walsh zusammengehalten.

Grundlage des Ganzen ist Walter Tevis' Science-Fiction-Roman "The Man Who Fell To Earth" ("Der Mann, der vom Himmel fiel", 1963), der 1976 von Nicolas Roeg verfilmt wurde. Bowie verkörperte den Außerirdischen Thomas Jerome Newton, halb Mensch, halb Reptil, der auf der Suche nach Wasser für seinen Planeten auf der Erde strandet und Milliardär werden muss, um das Rückkehr-Raumschiff bauen zu können. Jahrzehnte später gab dieser Film Bowies letztem Projekt eine Art Halt.

Leben und Licht

"Mich fasziniert die pulsierende Todeserfahrung, gemischt mit etwas Hoffnung, etwas Leben, etwas Licht; der träumerische Nebel der ungreifbaren, vielschichtigen Narrative", charakterisiert Lolić, der am Volkstheater schon geglückte Wolfgang-Bauer-und Jelinek-Produktionen verantwortete. "In allem, was Bowie gemacht hat, findet sich Undefinierbares, seine humane Existenz jenseits von Geschlechtern, sein Bedürfnis, Wahrheit laut auszusprechen, aber ohne alle Geheimnisse preiszugeben."

Elf Schauspieler des Ensembles wurden vom musikalischen Leiter, Bernhard Neumaier, nach ihren Stimmumfängen eingesetzt. Denn jeder muss hier ein Stück aus Bowies Schaffen vortragen -fordernde sieben sind dem Hauptdarsteller Günter Franzmeier zugedacht, dem Aktiv-Doyen des Ensembles, der seine Karriere schon in der lang verflossenen Erfolgsdirektion Emmy Werners begann.

Auf der Bühne agiert eine achtköpfige Band in traditioneller Besetzung. Bowie hat die Arrangements autorisiert, und ausdrücklich wollten er und seine Nachlassverwalter das Werk an Sprechbühnen, nicht in Musical-Hallen aufgeführt wissen.

"Ich bin besessen"

Librettist Enda Walsh ("Disco Pigs","Chatroom") erzählt vom verstörenden und beglückenden Arbeitsprozess. Bowie hatte den Wunsch nach Zusammenarbeit geäußert, also unterbrach Walsh einen Urlaub und eilte nach New York. "Ich bin besessen von der Figur Thomas Newtons", ließ ihn der berühmte Mann wissen. "Er hat mich nie wirklich losgelassen." Zwei Jahre lang arbeiteten die beiden daraufhin an dem Projekt, Bowie im Wissen um den sicheren Tod, Walsh ahnungslos, denn der Partner der Expeditionen in grenzenlose Fantasiewelten informierte ihn erst ein halbes Jahr vor seinem Ende über das Unabwendbare. Aber beide sprachen ständig über das Sterben, das Newton ersehnt, ohne die Welt verlassen zu können. Wie ein Morphium-Trip solle das Stück angelegt sein, befanden beide und ersetzten die Droge am Ende doch durch Gin. Man habe auch viel gelacht während der Arbeit, erzählt Walsh, ehe er zum Grundsätzlichen kommt: "Man könnte so weit gehen, zu sagen, dass ,Lazarus' insgesamt eine Meditation darüber ist, wie sich das Nachgeben zum Tode hin anfühlt." Und endlich sei der biblische Lazarus ja auch ein Gesegneter, den Jesus vom Tod erweckt habe.

"Tief in uns"

"Als Bowie das Video machte, wusste er schon, was los war", kommt Franzmeier auf den Angst erregenden Bildträger zum Titellied zu sprechen. "Es war eine Abrechnung mit sich selbst." Anders als in Düsseldorf, wo Hartmann seinen Protagonisten in Bowie-Adjustierung auftreten ließ, wird er dem Verewigten nicht zu gleichen versuchen. "Wenn man versucht, Bowie zu imitieren, kommt man nie zu Bowie. Man muss eine eigene Figur finden.""Ich denke, wir sind es ihm schuldig, tief in uns zu gehen, und er wäre vielleicht stolz darauf", ergänzt Lolić. "Die Welt, um die es in diesem Musical geht, ist ein dunkler, mythologischer Ort der Einsamkeit, die er selbst in so vielen Alben gezeichnet hat, besonders in seinem letzten, ,Black Star'."

Aus diesem Grund ist auch die Bühne von Wolfgang Menardi von allem Realismus befreit: ein sich raketenartig nach oben verjüngender Turm aus übereinander gestapelten Vitrinen, in denen der rastlos über die Bühne Geisternde die Erinnerungsrequisiten seines irdischen Lebens aufbewahrt.

Bowie sei ein Ungreifbarer, Vielgestaltiger gewesen, ergänzt Matthias Hartmann, dessen Düsseldorfer Inszenierung einer der spärlichen Quotenkracher der deutschen Theatersaison wurde. "Wie viele große Künstler wollte er immer ein anderer sein, als er war. Er war ein grandioser Songwriter, aber er nahm es nicht ernst. Er wollte Schauspieler werden, er wollte kein Mann sein, er wollte nicht auf der Erde sein. Er wollte alles nicht sein, was er war. Er war ein Zwischenweltler, depressiv, ein Borderliner, immer auf der Suche nach sich. Deshalb ist er vor sich geflohen."

Und endlich in der letzten seiner Welten angekommen.

Dieser Artikel ist der Printausgabe von News Nr. 17/2018 erschienen.