Dauerwahlkampf in Österreich: Warum das ein Problem ist

Die Landtagswahlen 2023 werfen schon ihre politischen Schatten voraus. Wäre eine Zusammenlegung von Wahlterminen sinnvoll, um dem Stillstand entgegenzuwirken?

von Landtagswahlen Oberösterreich 2021 © Bild: imago images/Rudolf Gigler

Eigentlich ist es noch eine Weile hin, bis in Niederösterreich, Tirol und Salzburg neue Landtage gewählt werden. Erst 2023 muss Johanna Mikl-Leitner ihre hauchdünne absolute Mehrheit in Niederösterreich verteidigen, Günter Platter zeigen, ob er jene in Tirol zurückerobern kann, und Wilfried Haslauer beweisen, dass er trotz seiner hilflosen Corona-Performance im Herbst das Salzburger Ruder noch fest im Griff hat.

Doch die Landtagswahlen werfen schon ihre politischen Schatten voraus. Die raschen Corona-Öffnungsschritte seien eine Konzession an die bald wahlkämpfenden Bundesländer, wird gemutmaßt. Oder gar, dass die einflussreichen Landeshauptleute Interesse an vorgezogenen Nationalratswahlen haben könnten, einerseits um den für die ÖVP unangenehmen U-Ausschuss abzudrehen, anderseits, damit sich der (Corona-)Volkszorn auf Bundes- und nicht auf Landesebene entlade.

Zumindest letztere Theorie halte sie nicht für plausibel, sagt die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. "Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem vorgezogene Nationalratswahlen etwas für die Landtagswahlen bringen würden. Hohe Unsicherheit - und das wäre die Folge - nützt einem Landeshauptmann nie." Tatsächlich zeigen Umfragen, dass eine Regierungsbildung derzeit kompliziert wäre. Allenfalls eine Neuauflage der großen Koalition wäre rechnerisch aussichtsreich.

Positionierung

Aber natürlich, sagt Stainer-Hämmerle, "denken die Landeshauptleute, die ja maßgeblich sind in ihren Parteien, schon jetzt darüber nach, wie sich manche Vorhaben und Maßnahmen auf ihre Wahl auswirken könnten, und manche Wortmeldung der letzten Woche ist sicher in diese Richtung zu deuten. Wir befinden uns ein Jahr vor der Wahl, da geht es schon um Positionierung, Strategie und natürlich auch um den Druck der Opposition." Stichwort FPÖ und MFG, die neu gegründete Kleinpartei "Menschen -Freiheit -Grundrechte" also, die gegen Coronamaßnahmen und -impfungen auftritt und als neues Schreckgespenst der etablierten Parteien gelten darf.

Österreich, ein Land im Dauerwahlkampf, in dem ständig auf irgendeine Wahl Rücksicht genommen werden muss? Als Extrembeispiel gilt vielen die oberösterreichische Landtagswahl im vergangenen September. Härtere Corona-Maßnahmen verordnete die Bundesregierung erst, nachdem ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer Ende September seinen Wahlkampf beendet hatte. Viel zu spät, wie sich bald herausstellte -und eigentlich vorher schon klar gewesen war.

»Der Dauerwahlkampf, in dem sich Österreich befindet, ist eines der größten Probleme, die wir haben«

Der Schaden, der dadurch entstehe, meint Neos-Verfassungssprecher Niki Scherak, sei enorm. "Der Dauerwahlkampf, in dem sich Österreich befindet, ist eines der größten Probleme, die wir haben. Er führt zu einem dauerhaften Stillstand." Um solche Szenarien zu verhindern, könnten Wahltermine zusammengelegt werden, lautet eine Idee, die im politischen Diskurs immer wieder vorgetragen wird und auch zuverlässig immer wieder verhallt. Neos zum Beispiel sind dafür, zumindest die Landtagswahlen an einem Superwahltag zusammenzulegen. Das würde enorme Kosten sparen, meint Scherak, und endlich Möglichkeiten für dringend notwendige Reformen geben.

Niki Scherak
© imago images/SEPA.Media Neos-Verfassungssprecher Niki Scherak

In Ländern wie Schweden ist dieses Modell gebräuchlich, in Österreich wurden entsprechende Vorstöße -etwa der früheren SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer - stets abgeschmettert. Weil, vermutet zumindest Scherak, man leichter Wahlgeschenke verteilen kann, wenn nicht alle Länder gleichzeitig wählen. Und weil die Abhängigkeit von bundespolitischen Tendenzen durch gestreute Wahltermine reduziert wird. "Wenn es gerade schlecht läuft, würden alle Bundesländer gleichzeitig abgewatscht, nicht nur eines." Das will keiner. Mangels Aussicht auf Erfolg verfolgen Neos das Thema auch gar nicht besonders intensiv, sagt Scherak.

»Dafür die notwendigen Mehrheiten zu bekommen, ist schwierig«

Auflösungsrechte

Das Hauptargument der Gegner eines Superwahltags lautet, dass er "nur mit einem Verzicht auf die Auflösungsrechte des Parlaments und der Landtage realisiert werden könne", wie es SPÖ-Verfassungssprecher Jörg Leichtfried formuliert: "Dafür die notwendigen Mehrheiten zu bekommen, ist schwierig. Aktuell ist für Österreich vorrangig, dass die Bevölkerung möglichst bald ein Urteil zu den bundespolitischen Vorgängen abgeben kann. Angesichts der Handlungsunfähigkeit von Türkis-Grün sollte die Regierung deshalb rasch den Weg für Neuwahlen freigeben."

Jörg Leichtfried
© imago images/SEPA.Media SPÖ-Verfassungssprecher Jörg Leichtfried

Auch die grüne Verfassungssprecherin Agnes Prammer argumentiert, dass es Situationen gebe, in denen man Wählerinnen und Wähler vorzeitig zur Wahl rufen müsse. "Man denke nur daran, dass nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos Türkis-Blau bis zum Ablauf der regulären Gesetzgebungsperiode weitere drei Jahre hätte regieren müssen."

Anders ausgedrückt: Die Parteien, die sich zu diesem Zeitpunkt in Opposition befinden, haben ein Interesse daran, dass jederzeit Neuwahlen möglich sind. Weitere "gewichtige" Argumente, die aus Prammers Sicht dagegen sprechen: Ein Superwahltag setze zunächst eine Vereinheitlichung des Wahlrechts des Bundes und der Länder voraus, und die Legislaturperioden der einzelnen Vertretungskörper müssten aufeinander abgestimmt werden.

Auch der Verfassungsrechtler Heinz Mayer hält eine Zusammenlegung der Wahltermine für "weder sinnvoll noch möglich". Er analysiert: "Das Ganze ist ja Ergebnis einer Politik, die zu führen verlernt hat. Sie fürchtet sich vor Wahlen und dreht ihre Fahne sofort nach ihrem Wind, wenn irgendwo eine Stimmung in der Bevölkerung auftaucht." Mit Blick auf die oberösterreichischen Landtagswahlen urteilt Mayer: "Das war ja direkt peinlich."

Seine Lösung des Problems ist ebenso radikal wie schwer umzusetzen: "Sie braucht ein anderes Führungspersonal. Führungspersonal, das ein Ziel hat und auf dieses Ziel zusteuert, aber sich nicht sofort ängstlich wegduckt, wenn irgendetwas Unpopuläres zu tun ist. Politik zu machen, heißt, auch Unpopuläres zu tun, wenn es notwendig ist." Eine Zusammenlegung der Landtagswahlen würde auch deswegen zu kurz greifen, meint Mayer, "weil sie sich ja sogar vor Personalvertretungswahlen fürchten, selbst die blockieren wichtige Vorhaben, wie wir erlebt haben. Wo führt denn das hin? Dann haben wir nicht nur Gemeinderatswahlen, Landtagswahl, Nationalratswahlen, sondern auch Personalvertretungswahlen, die zusammengelegt werden müssen. So geht das nicht."

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle hat für die Ängstlichkeit, die Österreichs Politik oft lahmzulegen droht, eine andere Erklärung: "Ich glaube, dass dieser Dauerwahlkampf eher dadurch entstanden ist, dass man durch Umfragen ständig alles abtestet. Nicht nur die Medien, auch die Parteien in internen Umfragen. Dieser Horse-Race-Journalismus ist ein riesiges Problem. Ein unglückliches Zusammenspiel von Politik und Medien, das ständig die Platzierung abfragt. Es bräuchte dahingehend mehr Selbstbeschränkung und mehr Disziplin. Die Parteien müssten sich vornehmen, nicht so sehr auf Umfragen zu schauen und 'ihr Ding' zu machen. Ich glaube, dass das belohnt werden würde."

Verkürzte Periode

Die Idee, Wahlen zusammenzulegen, hält sie dennoch für "überlegenswert". Am Recht des Parlaments und der Landtage, sich vorzeitig aufzulösen, müsse man festhalten. Sollte es vorgezogene Neuwahlen geben, müsste sich die Periode allerdings auf den Rest bis zum nächsten "Superwahltag" verkürzen, schlägt sie vor. Positiver Nebeneffekt: Der Anreiz, in vorzeitige Neuwahlen zu gehen, wäre geringer.

Auch andere Argumente sprächen dafür, mehrere Wahlen an einem Tag abzuhalten, meint die Politologin. Es müsse nicht ständig auf Wahltage Rücksicht genommen werden, die Abwicklung sei ressourcenschonender, und die Parteien hätten die Chance, ein bisschen langfristiger zu denken. Auf der Negativ-Seite: Die Menschen würden den Überblick verlieren, und die unteren Ebenen würden von übergeordneten Ebenen thematisch dominiert. Ein Landeswahlkampf stünde also im Falle einer Zusammenlegung mit den Nationalratswahlen unter dem Eindruck von Bundesthemen, ein Gemeinderatswahlkampf im Schatten von Landtagswahlen. Ein "interessantes Gedankenexperiment", sagt Stainer-Hämmerle, sei so ein "Superwahltag" aber allemal.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 08/2022.