Das "Geheimnis von Cordoba": "Wichtig
für die innere Staatenbildung Österreichs"

"Nur gemeinsam mit Erfolgen im Skisport denkbar"

Was am 21. Juni 1978 im Stadion von Cordoba passiert ist, ist bekannt. Welche latenten Sinnstrukturen liegen aber hinter dem Mythos von Cordoba? Und warum verfolgt uns dieses rot-weiß-rote Heldenepos mit einer derartigen Hartnäckigkeit? Roman Horak, fußballbegeisterter Kunst- und Kultursoziologe an der Universität für angewandete Kunst Wien, sieht die Antworten im Interview mit der APA vor allem in der politisch-kulturellen Verfasstheit der 70er-Jahre begründet und konstatiert eine "Aushöhlung" eines einst staatsbildenden Mythos' - dessen Genesis nur gemeinsam mit den Erfolgen im alpinen Skisport denkbar gewesen sei.

Frage: 30 Jahre nach Cordoba und angesichts zweier Spiele gegen Deutschland innerhalb weniger Monate hat der Mythos wieder Hochkonjunktur. Worin liegt seine über das Sportliche hinausgehende Bedeutung?
Horak: "Cordoba war ein ganz wichtiges Nachkriegsdatum im Hinblick auf eine innere Staatenbildung Österreichs. Die Zustimmung zur österreichischen Nation war bis in die 60er-Jahre relativ gering. Vereinfacht und etwas polemisch gesagt, war das Land ins 'rote Wien' und die 'schwarze Provinz' geteilt. Es gibt dann einige Faktoren, die das verschmelzen lassen. Die sportlichen Geschichten waren dabei ganz wichtig. Wie etwa das ,Wunder von Bern' 1954 für die Deutschen."

Frage: Welche sportlichen Faktoren waren das?
Horak: "Fußball bleibt bis rauf in die 70er-Jahre vor allem eine Wiener Angelegenheit. Im Bereich der Bundesländer war Skifahren ganz wichtig. Im Skifahren gibt es zwei Schlüsseldaten: 1972 durfte Karl Schranz in Sapporo nicht starten, wurde in Wien von Massen empfangen. Das war sozusagen Kapitel eins der Leidensgeschichte: Die Österreicher sind die Armen. Vier Jahre später hat Franz Klammer doch noch die Abfahrt mit einem Husarenritt gewonnen. Ich habe damals als Schankbursch bei einem Wirten gearbeitet und das Rennen im Radio verfolgt. Das war eine richtige Erlösung. Er wurde im ganzen Land zu ,unserem Franz'. Kein Kärntner mehr, sondern ein großer Österreicher. Der Schranz war doch immer noch ein ,Bergler' gewesen."

Frage: Und der Fußball?
Horak: "Parallel dazu verpasste Österreichs Fußballteam äußerst knapp die Qualifikation für die WM 1974, wieder eine Tragödie. Dann 1978 haben wir es bei der WM in die Zwischenrunde geschafft und das entscheidende Spiel gegen die Deutschen gewonnen. Diese beiden Bewegungen, jeweils in zwei Schritten: Tragödie - Erlösung, sind '76 und '78 in diesem eigenartigen Österreich-Ding kulminiert. Und das passt ganz gut zusammen mit diesem eigentlich unerklärlichen Erfolg von Kreisky mit hohen Zustimmungsraten über 13 Jahre. Trotz der Krisen, die es in den Siebzigern gab, fand da so richtig die Formation zu einer Eigenstaatlichkeit statt. Aber das ist parallel mit dieser skifahrerischen Geschichte zu sehen. Allein ist es zu wenig, meine These ist, dass es zum Klammer dazugehört. Das ist das Geheimnis von Cordoba."

Frage: Wird das rückblickend als das "österreichischte" aller Jahrzehnte gelten?
Horak: "Das könnte man so sagen. Das war eine Art Zwischenphase auch von Politik, mit einer Idee von Reform und Aufbruch, die breite Schichten erfasst hat. Die Deutschen, die ,Piefke', haben wir immer schon nicht so wollen, aber der Hauptgegner waren bis in die 60er-Jahre die Ungarn. Das passt ganz genau zu 1978, dass wir uns in diesen Jahren in Differenz zu Deutschland definieren. Mit der Mannschaft, in dem eben auch Spieler aus dem Westen stehen. Und auf einmal sind wir Österreicher. Da kommt auch dieser ,Immer wieder Österreich'-Ruf besonders auf, dazu diese komischen rot-weißen Hüte. Das war das zentrale fußballerische Ereignis, das im Kontext dieser reformerischen, veränderten 70er-Jahre so etwas wie ein Bewusstsein von Österreich hergestellt hat."

Frage: Welche Rolle spielt im Hinblick auf das Zustandekommen des Mythos' der "I wer narrisch"-Radiokommentar Edi Fingers?
Horak: "Er wird wohl eine große Rolle gespielt haben. Ich kann mich erinnern, die Presse war damals voll mit Berichten. Aber es braucht solche Zeichen, an denen man das aufhängen kann. Und der Kommentar vom Finger ist einfach so gut gewesen, dass er sehr bald zu einem Teil dieser Geschichte geworden ist."

Frage: Warum ist das Thema so hartnäckig?
Horak: "Auf der Fußball-Ebene kam nichts Besseres nach. Und dann ist offenbar so eine Dynamik entstanden, dass man glaubt, dass das wiederholbar wäre. Aber es war viel mehr als das. Auch wenn das wohl kaum bewusst ist und immer als reines Sportding verkauft wird."

Frage: Besitzt "Cordoba" nach wie vor diese Funktion, oder ist es nur mehr eine von den Medien hochgekochte Sache.
Horak: "Ich glaube dass die Wirkung nachgelassen hat. Wenn man dramatisieren will, dann bringt man halt die Cordoba-Geschichte - in verschiedenen Kontexten, eben auch in anderen Sportarten. Vielleicht steckt tief drinnen auch noch ein winziger Rest von diesem Gefühl von Inferiorität gegenüber den Deutschen."

Frage: Hängt die abnehmende Wirkung auch damit zusammen, dass diese Stereotypen in dieser Ausprägung so nicht mehr existieren?
Horak: "Die Idee von dem, was Österreich und Deutschland ist, hat sich verändert. Die Idee vom deutschen Michel und vom österreichischen Jodler oder Fiaker gibt es schon noch, trifft aber nicht mehr ganz die Wirklichkeit. Es gibt einfach einen hohen Migrationsanteil in beiden Ländern. Wir haben ja jetzt auch die Debatte, was Österreich ist. Da ist wohl auch eine Art von Ungewissheit da, was Österreich ausmacht."

Frage: Kann man dem Cordoba-Mythos gar integrative Wirkung zuschreiben?
Horak: "Das wäre wohl zu weit hergeholt. Freilich: Wenn zum Beispiel ein österreichisches Team mit Spielern mit Migrationshintergrund ein paar Spiele gewinnt, dann könnte das sozusagen als Cordoba der Zukunft stehen. Aber man darf das auf keinen Fall überschätzen, siehe Frankreich nach dem WM-Gewinn 1998."

Frage: Ist Cordoba aber auch ein verklärter Rückblick in eine heile rot-weiß-rote Welt, in der noch alle an einem Strang ziehen?
Horak: "Das wird wohl so sein. Denn trotz der ganzen Krisen in den 70er-Jahren bleibt so eine Stimmung, dass die Welt noch übersichtlicher, handhabbarer, steuerbarer und linearer war. Aber das passt genau in Zeiten, wo der Blick nach vorne ein ungewisser ist. Ich glaube halt nur, dass wenn man solche wichtigen Dinge immer wiederholt und ritualisiert, werden sie immer leerer und verlieren ihre Kraft. Sie haben nur mehr die Funktion, zu erinnern und wirken schon fast störend. Da kommt zum Ausdruck, dass Zukunft nur mehr als Verlängerung von Vergangenheit denkbar ist. Dieses nostalgische Inszenieren, wie es etwa auch bei Falco passiert, nimmt den eigentlichen Figuren aber das Besondere. Und das ist schade."

Frage: Werden wir in 20 Jahren auch noch über Cordoba sprechen?
Horak: "Ich hoffe nicht."

(apa/red)

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