Das Ende der ORF-Gebühren? Brüssel sieht Finanzierung nicht im Einklang mit EU-Recht

Öffentlich-rechtlicher Auftrag "nicht präzise definiert" Online-Aktivitäten und Sportsendungen in der Kritik<br><b>PLUS:</b> Was sagen Sie zur ORF-Gebührenerhöhung?

Die EU-Kommission fordert von Österreich Aufklärung über die Gebührenfinanzierung des ORF. "Nach mehreren Beschwerden ist die Kommission vorläufig zu dem Schluss gelangt, dass das derzeitige Finanzierungssystem nicht mehr mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang steht", teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. Österreich wird in einem Brief der Brüsseler Behörde aufgefordert, den öffentlich-rechtlichen Auftrag, die Finanzierung und die Kontrolle des ORF klarzustellen.

Das Ende der ORF-Gebühren? Brüssel sieht Finanzierung nicht im Einklang mit EU-Recht © Bild: NEWS/Beck

Seit 2004 seien mehrere Beschwerden über die staatliche Finanzierung des ORF eingegangen, teilte die Kommission mit. Die EU-Behörde sei zu dem Schluss gelangt, "dass der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF insbesondere im Hinblick auf die Onlinetätigkeiten und die Sportsendungen nicht präzise genug definiert ist und dass die Erfüllung dieses Auftrags nicht angemessen überwacht wird. Zudem fehlen anscheinend angemessene Mechanismen, um eine Überkompensation auszuschließen und sicherzustellen, dass der ORF seine kommerziellen Tätigkeiten im Einklang mit den Grundsätzen des Marktes ausübt", kritisierte die EU-Behörde.

Stellungnahme Österreichs gefordert
Österreich müsse formal binnen eines Monats zu dem Brief der EU-Kommission Stellung nehmen, könne aber auch um Fristverlängerung ersuchen, sagte Kommissionssprecher Jonathan Todd. Die Kommission sei zuversichtlich, mit Österreich eine Lösung zu finden, wie dies auch mit Deutschland, Frankreich und Spanien gelungen sei. Auch gehe es jetzt nicht um die Rückerstattung von Geldern, sagte der Sprecher. Sollte Österreich zu keiner Lösung bereits ein, könnte die Kommission auch ein formelles Beihilfenverfahren starten und Österreich eine Entscheidung auferlegen. "Wir brauchen mehr Klarheit und Transparenz bei der Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrages und bei der Finanzierung", sagte der Sprecher. Es gehe vor allem darum, Querfinanzierungen kommerzieller Tätigkeiten des ORF zu verhindern.

Sollten die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission ausgeräumt werden, "könnte die Kommission ihr Prüfverfahren einstellen, wie sie es beispielsweise kürzlich im Falle Deutschlands getan hat", betonte die EU-Behörde. Die EU-Kommission hat vergangenen April das Vorverfahren gegen ARD und ZDF einstellt, nachdem die beiden öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunkanstalten ihren öffentlichen Auftrag genauer bestimmen und mehr Transparenz in ihre Finanzierungsstruktur und -kontrolle bringen müssen, um die Gebührenfinanzierung zu rechtfertigen. Im Fall der beiden deutschen Sender dauerte die Voruntersuchung der Kommission zwei Jahre. Derzeit prüft die EU-Kommission auch die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Sender in Belgien, den Niederlanden und Irland.

Nicht transparent genug
Im Fall des ORF hätten die Beschwerdeführer geltend gemacht, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag und die Finanzierung des ORF nicht transparent genug geregelt sind und dass es an einer angemessenen Aufsicht mangelt. "Beanstandet werden auch der Umfang und die öffentliche Finanzierung der Onlinetätigkeiten und der Sportsendungen des ORF", teilte die Kommission mit. Zudem fehlten "anscheinend angemessene Mechanismen, um eine Überkompensation auszuschließen und sicherzustellen, dass der ORF seine kommerziellen Tätigkeiten im Einklang mit den Grundsätzen des Marktes ausübt".

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz beurteilt die Schlussfolgerungen der EU-Behörde überwiegend positiv. "Die grundsätzliche Finanzierung des ORF sei außer Streit gestellt. Das ist positiv zu vermerken", sagte Wrabetz. Auch den Auftrag für die Fernsehprogramme des ORF hält die EU-Behörde hinreichend definiert. ORF 1 und ORF 2 seien ebenso wie die Radioprogramme der öffentlich-rechtlichen Anstalt "kein Thema". Lediglich zum Spartensender Sport plus/TW1 sowie zu den Onlineaktivitäten würden Fragen gestellt. "Das war zu erwarten."

Wrabetz erwartet nun eine Präzisierung bzw. gesetzliche Änderungen für den Spartensender TW1. Bei neuen Diensten und Medien im Online-Bereich stellt er vor einem Aktivwerden des ORF - ähnlich wie bei der BBC in Großbritannien oder bei ARD und ZDF in Deutschland - einen Public Value Test in Aussicht. Zu Verhandlungen bereit sei der ORF auch in Sachen Online-Werbung, auch wenn diese von der EU gar nicht angesprochen worden sei. Eine Verschiebung der Abstimmung im ORF-Stiftungsrat über die Erhöhung der ORF-Gebühren, wie von der ÖVP gefordert, kommt für den ORF nicht in Frage. "Die Gebührenerhöhung hat damit überhaupt nichts zu tun", so Wrabetz.

Änderung des ORF-Gesetzes?
Medienministerin Doris Bures kündigte eine Änderung des ORF-Gesetzes an. Einen Seitenhieb auf die ÖVP konnte sie sich nicht verkneifen. Man werde sich gemeinsam mit der Kommission und dem ORF daran machen, "die Schwächen des 2001 beschlossenen ORF-Gesetzes so rasch wie möglich zu beheben". Nach einer Einigung mit der EU-Kommission werde man "die notwendigen gesetzlichen Anpassungen vornehmen". VP-Mediensprecher Franz Morak forderte von der ORF-Führung einen vorläufigen Verzicht auf die geplante Gebührenerhöhung. Der Befund, dass angemessene Mechanismen zur Prüfung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und Überkompensation fehlen, zeige darüber hinaus klar, dass Österreich eine verfassungsmäßig unabhängig gestellte Medienbehörde brauche.

Beschwert hatten sich bei der EU-Kommission im Jahr 2004 der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und 2005 der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP) sowie der Privatsender Premiere. Der VÖZ erhob den Vorwurf, dass der ORF mit staatlichen Mitteln Online Dienste anböte, die über den Versorgungsauftrag hinausgingen, wie aus dem Schreiben der Kommission hervorgeht. Die Beschwerde des VÖP betrifft einerseits die bestehenden Finanzierungs- und Kontrollmechanismen, zum anderen die Einführung eines Sport-Spartenprogramms durch den ORF. Auch Premiere beschwerte sich in Brüssel wegen des Sport-Spartenprogrammes. (apa/red))