Das andere Niederösterreich

Widerstand und Rettung der Verfolgten

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

In Schützenberg, einem kleinen Ort bei Weitra im nördlichen Waldviertel, besaß das Ehepaar Maria und Ludwig Knapp ein Sägewerk. Als immer mehr Männer zur Wehrmacht verpflichtet wurden, ersetzten Zwangsarbeiter die fehlenden Arbeitskräfte, die aus den besetzten Gebieten mit Unterstützung der Wehrmacht verschleppt wurden. Unter ihnen etwa 40.000 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, die auf österreichischem Gebiet arbeiten mussten. Ludwig Knapp stellte bereits 1943 einen Antrag für zusätzliche Arbeitskräfte. Die Behörden schickten ihm französische Kriegsgefangene und 26 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter.

Erinnerung

Unter ihnen der elfjährige György Karman, der in seinen Erinnerungen das Leben in dem Sägewerk festhielt: "Bereits im Juli 1944 sei er nach Weitra gebracht worden. Täglich mussten sie zu Fuß nach Schützenberg und seien aufgrund der mangelnden Ernährung völlig erschöpft angekommen. Ludwig Knapp und seine Frau Maria versuchten, mit zusätzlichen Essenrationen die Lage der Arbeiter zu verbessern, doch sie seien aufgrund der Erschöpfung und Unterernährung kaum fähig gewesen, zu arbeiten. Knapp hätte daraufhin den französischen Gefangenen den Auftrag gegeben, eine Holzbaracke auf dem Gelände des Sägewerks zu bauen. Weiters habe er Kleidung, Schuhe und Lebensmittel verteilt.'

Im Februar und März 1945 begann die Gestapo, jüdische Zwangsarbeiter und Arbeiterinnen aus den Fabriken und Bauernhöfen abzuholen. Die meisten wurden nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Als die Information über die geplante Deportation Knapp erreichte, beschloss er, die jüdischen Arbeiter zu retten. Er bat die französischen Gefangenen, mit ihm zu kooperieren. Dann fuhr er mit seiner Familie nach Wien, um nicht erreichbar zu sein.

Spürhunde

Als er nach zwei Tagen zurückkehrte, meldete er der Gestapo, dass die jüdischen Frauen und Männer während seiner Abwesenheit geflohen seien, und stellte sich freiwillig zur Verfügung, bei der Suche mitzuhelfen. Er führte die Gestapo in der Umgebung des Sägewerks in eine falsche Richtung, so dass die Spürhunde die Spuren der Versteckten nicht finden konnten.

Karman schrieb in seinem Bericht, wie die Familie Knapp gemeinsam mit den französischen Gefangenen ihnen das Leben gerettet hätten. Die Franzosen sammelten sie am Tag der geplanten Abholung und versteckten sie in den Wäldern der Umgebung. Nach ein paar Tagen brachten sie sie zurück und bauten den Dachboden des Lagerhauses, wo das Stroh für die Pferde gelagert war, zu einem Versteck um. Drei Wochen hätten sie auf dem Dachboden verbracht, der so niedrig gewesen sei, dass sie nie aufrecht stehen konnten. Die Franzosen versorgten sie mit Essen. Niemand entdeckte sie trotz Durchsuchung des Sägewerks. Am 9. Mai 1945, als der Krieg zu Ende war, konnten sie endlich den Dachboden verlassen.

Theresienstadt

Wolfgang Katzenschlager, Stadthistoriker von Weitra, erklärte in einem Interview: "Auf diesem Weg sind die 26 Zwangsarbeiter dem sicheren Tod im KZ-Theresienstadt entkommen. Es war eine große Tat von Maria und Ludwig Knapp, und es war auch sehr gefährlich. Die Familie Knapp riskierte mit dieser Aktion ihr eigenes Leben." Arthur Buchhöcker, der Enkel des Ehepaars Knapp, berichtete: "Mein Großvater hat gesagt, dass ihm diese Menschen anvertraut wurden, sie hätten für ihn gearbeitet, daher sei er auch für sie verantwortlich, damit sei für ihn klar gewesen, dass er sie retten müsste." Die Hilfsbereitschaft der Familie Knapp endete nicht mit der Befreiung. In den ersten Wochen versorgten sie die ehemaligen Gefangenen mit Kleidung und Lebensmittel und gaben ihnen Geld für die Heimfahrt. Am 28. April 1968 wurde das Ehepaar Knapp durch den Staat Israel geehrt und im Holocaust Museum in Jerusalem als "Gerechte unter den Völkern" aufgenommen . In Weitra gibt es einen "Ludwig und Maria Friedensweg" und eine Gedenktafel.

Kirchl-Trauttmansdorff

Die Widerstandsgruppe Kirchl-Trauttmansdorff bestand aus etwa 400 Mitgliedern. Bauern, Arbeiter, Polizisten und Gutsbesitzer mit den verschiedensten politischen Überzeugungen schlossen sich im Frühjahr 1945 zusammen. Die wichtigsten Organisatoren waren der Polizeidirektor Otto Kirchl und Josef Trauttmansdorff-Weinsberg, der Besitzer von Schloss Pottenbrunn.

Rote Armee

Als die Rote Armee sich im März 1945 der Stadt näherte und die Gestapo den Befehl gab, wichtige Gebäude und die Brücken über die Traisen zu zerstören, beschloss die Gruppe, die Stadt gewaltfrei der Roten Armee zu übergeben. Sie planten, die Gestapo zu entwaffnen und festzuhalten, bis die Sowjets die Stadt erreicht hätten.

Am 7. April 1945 hörte der Gestapo-Spitzel Franz Brandtner ein Gespräch von drei Mitgliedern der Gruppe und gab die Information an Johann Reichel weiter, den Kommandanten der Gestapo von St. Pölten. Wenige Tage später ließ Reichel das Schloss Pottenbrunn von SS-Truppen umstellen. 14 Personen wurden verhaftet. Unter ihnen Otto Kirchl und seine Ehefrau Hedwig, Josef Trauttmansdorff-Weinsberg und seine Ehefrau Helene, der Polizeioberleutnant Johann Schuster, die Polizisten Johann Dürauer, Josef Heidmeyer, Felix Faux und Johann Klapper und die Landwirte Josef Böhm, Konrad Gerstl und Josef Koller.

Nach den ersten Verhören im Schloss brachte die SS die Gefangenen in die Polizeizentrale von St. Pölten, wo sie brutal gefoltert wurden. Kirchl wurden beide Arme gebrochen. Johann Schuster erhängte sich in der Zelle.

Genickschüsse

Am frühen Morgen des 12. April wurden die Verhafteten von einem fünfköpfigen Standgericht zum Tode verurteilt. Am gleichen Tag führte die Gestapo sie in den Hammerpark in St. Pölten, wo bereits ein Massengrab ausgehoben worden war. Die Polizisten unter ihnen mussten die Uniformjacken auszuziehen und sie verkehrt tragen, um die "Entehrung" der Uniform zu symbolisieren. Danach wurden sie durch mehrere Genickschüsse ermordet und im vorbereiteten Massengrab verscharrt. Zwei Tage später, am 14. April verließ die Wehrmacht fluchtartig die Stadt. Am 15. April erreichte die Rote Armee St. Pölten.

Die Leichname der Ermordeten wurden später exhumiert und den Familien übergeben, einige der Opfer in einem Ehrengrab am Hauptfriedhof von St. Pölten mit anderen Widerstandskämpfern beigesetzt. Es dauerte bis 1988, bis im Hammerpark ein Mahnmal im Gedenken an die Widerstandsgruppe errichtet wurde.

Vergessene Helden

In den Archiven des DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstand) finden sich Hunderte Namen von zum Tode Verurteilten aus Niederösterreich. Unter ihnen 1939: elf Mitglieder der Widerstandszelle in der Voith-Maschinenfabrik. 1941: 28 Mitglieder der Widerstandszelle der Reichsbahnbetriebe. 1943: Maria Kafka, wegen "Feindbegünstigung" zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1942: Ferdinand Strasser, ehemals Vizebürgermeister in St. Pölten, wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1944: Franz Toifl aus Dallein bei Retz, wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1944: Roman Scholz aus Klosterneuburg, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Doch in den Listen tauchen Namen auf ohne weitere Hinweise auf Hintergründe der Verhaftung und Verurteilung. Wurden sie als Kritiker denunziert, waren sie Mitglieder des Widerstands, haben sie Verfolgten geholfen? Für jeden Verurteilten und jede Verurteile existiert jedoch eine Sterbeurkunde. Ich versuchte, eines der handgeschriebenen Dokumente zu entziffern:

Name der Verstorbenen: Augustine Dousa, Wohngemeinde: Baden, Adresse: Jägerhausgasse 10, Sterbetag: 28. Jänner 1943, Geburtstag: 20. August 1902, Eheschließung: 29.6.1923, Zahl der Kinder: 1, Religiöses Bekenntnis: Katholisch, Beruf: Postfacharbeiterin, Ort des Todes: Wien 8, Landesgerichtsstraße 11, Todesursache: enthauptet.

Ich fand keine weiteren Informationen über die Postfacharbeiterin Augustine Dousa, keine Dokumente, keine Erwähnung in Büchern oder Zeitschriften, keine Fotos, kein Lebenslauf, keine Prozessakten, keine Begründung ihres Todesurteils.