Das Ende der Sozialdemokratie?

Der tiefe Fall vom höchsten Gipfel der Macht. Wie konnte das passieren?

Nach dem Dirty-Campaigning-Skandal sind die Chancen der SPÖ, die Wahl noch zu gewinnen, denkbar schlecht. Doch auch über die Landesgrenzen hinaus scheint es um die Sozialdemokratie nicht gut zu stehen. So fiel beispielsweise die SPD bei der Bundestagswahl auf 20 Prozent. Ein historischer Tiefstwert. Viel wird vom „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ gesprochen. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?

von Politik - Das Ende der Sozialdemokratie? © Bild: Sozialdemokratische Partei Österreichs / rotbewegt.at

1970 zählte die Sozialistische Partei Österreichs noch über 719.000 Mitglieder. 2017 kommt die SPÖ gerade einmal auf 180.000. Und während 1979 noch 65 Prozent der Arbeiter für die SPÖ stimmten, waren es bei der letzten Nationalratswahl nur noch 25 Prozent. Der Großteil der Stimmen der Arbeiter ging an die FPÖ. Zahlen, die alle zur gleichen Aussage führen: Die Sozialdemokratie hat viel von ihrer einstigen Stärke verloren.

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Dabei hat alles so gut begonnen. Mit einer Bewegung, die eine Vision hatte und das Leben der arbeitenden Bevölkerung verbessern wollte. Die Missstände in Ziegelfabriken aufdeckte und gegen die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeiter ankämpfte. Im Gegenzug verhalf die aufsteigende Arbeiterklasse der europäischen Sozialdemokratie zu ihrem Siegeszug und trug sie bis ganz nach oben. Anfang der 1970er Jahre stand sie am Gipfel politischer Macht. Doch: What goes up, must come down – was hinaufgeht, muss auch wieder hinuntergehen.

Den eigenen Kindern wird es einmal schlechter gehen

Den Niedergang der Sozialdemokratie analysiert Philipp Blom ausführlich in seinem neuesten Werk „Was auf dem Spiel steht“. Während der gesamten Nachkriegszeit bis in die frühen 2000er Jahre lautete der Grundsatz: „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Menschen gut“. Wenn also die Industrie mehr verdiente, bekamen auch die Arbeiter mehr. Dann aber setzte ein dramatisches Auseinanderdriften ein.

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Moderne Technologien verdrängten nach und nach menschliche Arbeit. Diese wird folglich zusehends weniger wichtig für die Produktivität einer Gesellschaft. Das bedeutete auch das Ende zweier großer Versprechen in den liberalen Ländern: 1. Wer hart arbeitet, kann sich ein Leben aufbauen, sozial aufsteigen und am Wirtschaftswachstum teilhaben. 2. Den eigenen Kindern wird es einmal besser gehen.

»Mit den Arbeitsplätzen verschwand eine ganze Kultur. Arbeiter zu sein war nicht nur eine Einkommensquelle, sondern ein immenser Stolz auf die eigene Identität, eine hart erkämpfte Zukunftssicherheit.«

Linke Parteien stützten sich seit ihrem Beginn auf organisierte Arbeitnehmer. Viele von ihnen waren in der Industrie tätig. Mit der Verlegung der Produktion an billigere Standorte wie China oder Indien verschwand zwar die Arbeit, nicht aber die Arbeiter. „Mit den Arbeitsplätzen ging auch eine ganze Kultur unter. Arbeiter zu sein war nicht nur eine Einkommensquelle, sondern ein immenser Stolz auf die eigene Identität, eine hart erkämpfte Zukunftssicherheit und eine Lebenswelt, eine Kultur mit eigenen Strukturen und Freizeitaktivitäten – von Fußballverein bis hin zu Blaskapellen – und einer Stimme, die bis ins Parlament gehört wurde“, schreibt Blom. Und weiter: „Zurück blieb ein Prekariat ohne soziale Sicherheit, ohne Stolz auf den eigenen Job, ohne Stimme, ohne einen Platz am Tisch der politischen Entscheidungsfindung.“ Das führte dazu, dass sich viele der ehemaligen Arbeiter von der Politik im Stich gelassen fühlten.

»Ein Arbeiter war nichts für sie!«

So auch Johann S. Bereits sein Vater war Sozialist und zahlte sogar noch nach der Machtergreifung Hitlers seinen Mitgliedsbeitrag ein – zur damaligen Zeit ein Verbrechen, für das er drei Jahre seines Lebens im KZ verbüßen musste.

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Johann S. war ein Arbeiternehmer mit rotem Parteibuch. Enttäuscht hat ihn nicht nur die Sozialdemokratie an sich, sondern vor allem die roten Gewerkschaften: „Ein Arbeiter war nichts für sie. Die haben nur auf sich selbst geschaut und sich selbst bereichert. Für uns haben sie nichts gemacht. Einmal haben wir bis in die Nacht gearbeitet während die Gewerkschafter ein großes Essen veranstaltet haben. Als wir fragten, ob wir auch was bekommen könnten, meinten sie nur ‚So weit kommt‘s noch‘“, erzählt er.

Der Beginn einer Abwärtsspirale

Und so begann sich die Abwärtsspirale zu drehen: Die Wahlbeteiligung der Arbeiter sank und sozialdemokratische Parteien suchten sich als Folge eine neue Wählerbasis: Höher gebildete Menschen in den Städten. „Der enorm gestiegene Bildungsgrad der Mitglieder der SPD in Deutschland spiegelt diesen Wandel wider. Gleichzeitig begannen sozialistische Parteien auch, mit Begeisterung die damals modernen neoliberalen Wirtschaftsideen in ihre Programme zu integrieren. Die Schicht ihrer ehemaligen Wähler fühlte sich zu Recht betrogen.“, schreibt Blom.

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Das stellt auch Thomas Nowotny, Politikwissenschaftler und ehemaliger Sekretär von Bundeskanzler Kreisky fest. In seinem Werk „Das Projekt Sozialdemokratie. Gescheitert? Überholt? Zukunftsweisen?“ schreibt er: „Die Versuche der sozialdemokratischen Parteien, sich dem neuen, von Individualismus, Egoismus, Entsolidarisierung und Gewinnstreben geprägten Zeitgeist anzupassen, haben deren Niedergang sogar noch beschleunigt. Verstrickt in politische Taktik haben sie viel von ihrem einstigen Gestaltungsanspruch verloren.“

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Vertrauensverlust bei den Wählern

Ähnlich sieht das Andreas Höferl, Klubdirektor der SPÖ, ein, wenn er sagt: „Ja, man hat diesen Karren des Neoliberalismus zwei Jahrzehnte mitgezogen. Die SPÖ genauso wie die SPD haben bei der Verringerung der Staatsausgaben mitgemacht, die letztendlich konkret geheißen haben: Sozialabbau, Pensionskürzungen und Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Da ist viel Vertrauen bei den Kernwählern verloren gegangen.“ Er will sich auf die Verteilungsfrage konzentrieren, denn diese sei eine der Grundideen, warum Sozialdemokratie und Gewerkschaften entstanden sind: Das Ringen darum, wer bekommt wie viel von der gemeinsamen Arbeit und gemeinsamen Wertschöpfung.

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Was bleibt?

Große Veränderungen in der Gesellschaft führten die Sozialdemokratie vor große Herausforderungen. In bewegten Zeiten wie diesen, steigt zusätzlich dazu das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Die Sicherheit, dass Politik für ihre existentielle Lebensgrundlage Sorge trägt. Wie aber lassen sich Krisen wie wachsende Arbeitslosigkeit, zunehmende Ungleichheit und andere Probleme der heutigen Zeit bewältigen? Wenn man Thomas Nowotny Glauben schenken mag, dann mit der praktischen Anwendung sozialdemokratischer Werte. Denn auch wenn sich seit den Anfängen der Sozialdemokratie vieles verändert hat, sind diese doch immer gleich geblieben: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität.